24 Stunden Ludwigsburg – in einer 24-teiligen Serie erzählen wir wie die Ludwigsburger und die Gäste der Stadt leben und arbeiten. Zwischen 17 und 18 Uhr herrscht auf der Bundesstraße 27 mitten in der Stadt Hochbetrieb. Fußgänger müssen mitunter lange warten bis sie beim Marstall über die Schlossstraße kommen.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Ludwigsburg - Ungezählte Autos mit LB-Kennzeichen sauen vorbei. Dazwischen immer wieder Fahrzeuge mit HN- und S-Schildern, also aus Heilbronn und aus Stuttgart. In der Schlange stehen und rollen auch Wagen, die weiter weg zugelassen sind. Ein Mercedes mit HB-Nummer zum Beispiel, also aus der Hansestadt Bremen, und ein VW mit HDH, aus Heidenheim. Die meisten Männer und Frauen hinter dem Steuer sind bestimmt Pendler auf dem Weg von der Arbeit nach Hause. Und alle müssen mitten durch Ludwigsburg. Mit müden Gesichtern sitzen die Damen und Herren am Lenkrad.

 

Es gibt schönere Orte in Ludwigsburg als die Bundesstraße 27 an einem frühen Abend gegen 17 Uhr. Aber die Autofahrer müssen durch –durch die Barockstadt, vorbei am imposanten Schloss. Und auch die Fußgänger müssen durch – durch die sich immer wieder stauenden Autos. Ihre Rettung ist die Fußgängerampel zwischen Marstall und Barockschloss.

Ausharren auf der Fußgängerinsel mitten auf der B 27

Ein Passant kommt die Marstallstraße hinterunter gelaufen. Voll bepackt mit seine Einkäufen, vermutlich soeben im Marstall gekauft. Er drückt auf den Kopf der Lichtzeichenanlage – und muss warten. Ein stechendes „piep-piep-piep“ ertönt, das Grünlicht leuchtet, fast 30 Sekunden lang. Wer etwas zu spät kommt, den bestraft das Rotlicht. Einer Frau geht das so, sie marschiert kurz nach dem Herr mit seinen Einkäufen in Richtung Fahrbahn, trotz Stechschritts schafft sie aber nur die Hälfte der Straße. Auf der Fußgängerinsel mitten auf der B 27 muss sie ausharren. Auf beiden Seiten sausen jetzt wieder die Autos vorbei, bergauf in Richtung Stuttgart, bergab in Richtung Marbach und Bietigheim.

Schlossstraße – der Name klingt bombastisch. Bei dem Spiel Monopoly ist die Schlossstraße das Nonplusultra. In Ludwigsburg kann man das nicht behaupten. Die Fassaden einiger Häuser an der Straße sollten dringend aufgehübscht werden. Der Verkehr erzeugt ein permanentes Brummen. Und die Luftwerte sind ganz bestimmt nicht die besten.

„Ein Tunnel für die Bundesstraße wäre schön“

Trotzdem gibt es Menschen die entlang dieser Hauptverkehrsader joggen. Zum Beispiel jener Mann, der eben aus Richtung Süden angerannt kommt. Er hat Glück, erwischt eine Grünphase der Fußgängerampel und ist im Nu auf der anderen Seite der Fahrbahn. Dann steht er vor der Zufahrt zum Schloss und studiert die Straßenkarte auf einem Schild am Rande des Fuß- und Radwegs. Er sei 46 Jahre alt, komme aus Karlsruhe und sei erst vor ein paar Stunden in Ludwigsburg angekommen, wohne während eines geschäftlichen Seminars im Hotel Monrepos und sei vorhin einfach losgerannt. Zunächst durch den Favoritepark, diese Strecke sei ja ganz hübsch gewesen, sagt der Mann mit der neongelben Jacke. Jetzt will er sich schnell das Schloss von außen anschauen, dann hinunter zum Neckar rennen und über Hoheneck zurück zum Hotel. Schöner wäre es mitten in Ludwigsburg, sagt der Sportler, wenn die Bundesstraße in einem Tunnel durch die Stadt geführt würde. Dann rennt er auch schon weiter. Eine Unterführung für all die Autos – keine schlechte Idee, aber auch keine neue. Über so ein Mammutprojekt, das viele Millionen Euro kosten dürfte, wird in der Stadt immer mal wieder diskutiert.

Die nächste Grünphase für die Fußgänger: ein älterer Herr mit freundlichem Gesicht läuft in Richtung Schloss. Edmund Banhart ist 77 Jahre alt. Er ginge glatt als Mitte 6o durch und erzählt, dass er in Ludwigsburg geboren wurde und schon immer in seinem elterlichen Haus gleich neben der Gaststätte Zum Roßknecht beim Marstall wohne. Banhart hat miterlebt, wie Ludwigsburg gewachsen ist, wie sich die Stadt gewandelt hat von der Kasernen- zur Studentenstadt. Er erzählt von früher, wie er als Kind zusammen mit seinen Kumpels auf der Straße neben dem Schloss Schlitten gefahren ist. Lange her. Damals, sagt Banhart und lacht, sei man noch ohne Ampel über die Fahrbahn gekommen. Autos waren selten in den Nachkriegsjahren.

Dann muss er weiter: Seit er Rentner ist, arbeitet er als Schlossführer. In einer halben Stunde wird er wieder Besucher durch die stattlichen Räume losten. „Demnächst habe ich meinen 20 000. Gast“, erzählt er stolz. Nur noch eine schnelle Frage: Wie gefällt dem Ludwigsburger seine Stadt? „Mann muss es nehmen, wie es ist“, lautet die diplomatische Antwort. Hat er mal überlegt wegzuziehen? Banhart schüttelt den Kopf: nein, noch nie! Auch seine Gattin, die auf dem Land groß geworden ist, sei in Ludwigsburg zufrieden.

Ein Mann mit einem Trekkingbike strampelt auf dem Radweg neben der Schlossstraße hoch, hält an und wartet auf Grün. Er wolle zu dem Elektromarkt im Marstall, die Infrastruktur für Radfahrer sei in Ludwigsburg „viel besser als in Stuttgart“, sagt er und saust über die Fahrbahn. Auch er hat ja nur eine halbe Minute Zeit.

Die Autos auf der B 27 werden immer mehr

Nächste Grünphase, die nächste Passantin: Die Dame, geschätzt Ende 60, wohnt in Schlösslesfeld, sie ist eben durch den Schlosshof in Richtung die Innenstadt gelaufen. Ludwigsburg, sagt sei, sei fußgängerunfreundlich. Die Grünphasen der Ampeln seien viel zu kurz. Andere Städte gefielen ihr besser, Augsburg zum Beispiel. Wegziehen ist aber auch für sie keine Option. Eigentlich, sagt sie, „gefallen mir kleinere Städte besser“, aber in 5000-Einwohner-Kommunen gebe es oft keine Ärzte und nur schlechte Busverbindungen. Also bleibe sie eben in Ludwigsburg.

Es wird dunkel, die Autos auf der B 27 werden gegen 17.45 Uhr immer mehr. Die Scheinwerfer der Fahrzeuge sehen im vorbeirollen aus wie ein funkelnder Lindwurm. Ein Autofahrer biegt aus dem Parkplatz beim Schloss auf die Bundesstraße ein und missachtet das Fußgänger-Grünlicht. Zum Glück haben die Passanten es bereits bis zur Verkehrsinsel geschafft.

Vor dem stattlichen Gebäude der Gaststätte Waldhorn parkt ein Mann seinen Mercedes. Das Restaurant hat Betriebsferien, bis Ende Februar, das ist auf einem Aushang zu lesen. Saban Osmanoski steigt aus dem Wagen, erzählt, dass er und seine Frau die Tochter besuchen wollen, die im zweiten Stock des Waldhorns wohnt. Sie kämen fast jeden Tag den kürzlich geborenen Enkel besuchen. Auch Osmanoski und seine Frau wohnen in einem Haus direkt an den B 27, am Stadtrand in Richtung Stuttgart. Ist es nicht zu laut an der Bundesstraße? Wohnt man tatsächlich halbwegs angenehm direkt neben der Hauptverkehrsader, die die Stadt in zwei Hälften teilt? Kein Problem, sagt der 66-jährige Mazedonier, der seit rund 30 Jahren in Ludwigsburg lebt und früher als Sozialberater bei der Arbeiterwohlfahrt beschäftigt war.

Sein Haus stehe etwas abseits der Straße. Und die Wohnung der Tochter sei ordentlich isoliert. Die junge Frau mit Kleinfamilie wolle trotzdem umziehen – sie könne aber in Ludwigsburg keine bezahlbare Eigentumswohnung finden. Also bleibt sie vorerst an der Bundesstraße wohnen. Beim Blick aus den Fenstern sieht sie das Schloss und – speziell am frühen Abend und morgens – jede Menge Autos.