Drei Stunden im Hauptklärwerk Mühlhausen, wo mehr als die Hälfte des Stuttgarter Abwassers gereinigt wird. Auch was der Bad Cannstatter den Abfluss hinab jagt, landet dort. Wenn das Wasser gereinigt ist, wird es in den Neckar geleitet.
Mühlhausen/Bad Cannstatt - Es liegt was in der Luft am östlichen Rand der Stadt. Ein leicht fauliger Duft. Kein Wunder, hier wird mehr als die Hälfte des Stuttgarter Abwassers gereinigt. Rolf Pfeiffer, Leiter des Hauptklärwerkes Mühlhausen, nimmt das kaum mehr wahr. „Das ist für uns Alltag“, stellt er routiniert fest. Punkt 15 Uhr, Freitagnachmittag: ein guter Zeitpunkt, um einen Blick auf ein paar Abläufe zu werfen, denn jetzt ist Schichtwechsel im 24-Stunden-Betrieb an der Aldinger Straße. Nicht an Faul- und Gastürmen oder an den Klärbecken, wo sich die Enten tummeln. Sondern im heißen Herzen der Anlage. Dort, wo längst alles geklärt ist, wo der gesammelte Kehricht und der mit gewaltigem Aufwand leidlich getrocknete Klärschlamm, zusammen 30 Tonnen am Tag, in staubfeine Asche verwandelt und später in einem aufgelassenen Salzbergwerk bei Bad Friedrichshall endgelagert wird.
Die „Warte“ nennen sie den großen Raum im dritten Stock des Gebäudekomplexes, der nicht nur wegen des 99 Meter hohen Schornsteins alles überragt auf dem 25 Hektar großen Areal: In der Warte haben sie alles im Blick. Verteilt auf ein Dutzend kleinere und sechs große, zwei Kinoleinwände füllende Monitore. Hier laufen die Daten aus allen Teilbereichen des Klärwerkes ein, von hier aus wird die Anlag kontrolliert und „gefahren“.
„Alles im grünen Bereich“
Und Sergej Remchen hält hier seinen Posten auch dann, wenn sich die Kollegen zum Schichtwechsel um den Konferenztisch setzen und vor der Übergabe „die Lage“ beschreiben. Elektriker, Schlosser, Industriemechaniker, Ver- und Entsorger, diese neuerdings im Berufsbild „Fachkräfte für Abwassertechnik“ zusammengefasst.
Der Azubi Sebastian Grimmelmann hat die längste Liste, berichtet etwa, dass „der Service in Bio 1 und 2 zwei Teile getauscht“ hat, dass „die Arbeiten am E-Filter abgeschlossen“ sind. Lina Popal meldet einen kaputten Schieber in einem der Gasspeicher: „Kann von unseren Schlossern ausgetauscht werden.“
„Alles im grünen Bereich“, findet der Schichtmeister Reinhold Bomans gegen 15.30 Uhr und wirft einen Blick auf die Temperatur im Wirbelschichtofen: „850 Grad, das ist okay. Ein paar Grad mehr wären optimal.“ Also gibt es jetzt ein bisschen zusätzliches „Stützfeuer“, mit Gas aus den Faultürmen, das sonst zur Stromerzeugung genutzt wird, was bis zu 50 Prozent des Eigenbedarfs deckt.
Zehn Minuten später kommt Murat Akca herein, wäscht und desinfiziert sich die Hände: „Ich habe die Schnecke freigemacht“, sagt er den Kollegen. Er riecht eher streng, kommt direkt „aus dem übelsten Teil der Anlage“, aus dem Wickelbunker. Seine Erfolgsmeldung ist von kurzer Dauer. Windeln, Hygiene-Tücher und anderes Grobzeug, das nichts im Abwasser verloren hätte, haben die Schnecke erneut gestoppt. Murat Akca flucht, muss noch einmal runter. Um 16.05 Uhr steht fest: Nichts zu machen! Der Elektriker Ali Yayla wird hinzugezogen, vier Leute stecken die Köpfe zusammen. Wenn nichts mehr geht, müssen sie das Teil auseinandernehmen. Mitten im Dreck.
30 Tonnen Klärschlamm aus Ditzingen
Um 16.25 Uhr kommt ein Lastwagenfahrer herein. Er hat aus Ditzingen 30 Tonnen Klärschlamm gebracht, lässt sich den Übernahmeschein quittieren. Zeit für Murat Akca, am höchsten und heißesten Punkt der gut 20 Meter hohen Anlage die Dampftrommel in Augenschein zu nehmen: „Nichts seift, alles ist dicht.“ Der Druck: „68 bar. Das passt.“ Zeit auch für Rolf Pfeiffer, in den Emissionsraum zu schauen, wo die Werte aufgezeichnet und ständig online ans Gewerbeaufsichtsamt geschickt werden. Zeit, um durch die Unterwelt zu führen, vorbei am Höllenlärm des Blockheizkraftwerkes. Auch für einen Blick übers riesige Areal des Klärwerkes, von einem der Gaskessel. En gros und en détail erklärt Pfeiffer, wie in sechs Klärschritten das Abwasser, das aus Duschen, Klos, Spülbecken und über die Gullis hier landet, so sauber wird, dass man es getrost in den Neckar leiten kann. Um 17.50 Uhr nimmt er eine Probe, hinterm letzten Sandfilter: „Klar wie Trinkwasser!“, freut Rolf Pfeiffer sich, fügt aber hinzu: „Es ist nicht trinkbar, Keime und Viren erfassen wir nicht.“ Auch nicht Rückstände aus Arzneimitteln. Dann zeigt er noch kurz die Versuchsanlage zur Spurenstoff-Elimination: „Das wird kommen, kostet aber Geld.“
Im Flug sind die drei Stunden verrauscht. Und was macht „der verdammte Wickler“? 18.03 Uhr, gute Stimmung in der Warte: „Wir haben alles gelockert, den Motor umgeklemmt, vor- und rückwärts laufen lassen“, sagt Ali Yayla, „jetzt läuft die Schnecke. Mal sehen, wann der nächste Schub kommt.“ Ist ja noch ein bisschen Zeit auf der Schicht.