Barockschloss als zeitgenössische Spektakelkammer: Die Akademie Schloss Solitude in Stuttgart hat mit einem gelungenen Sommerfest ihren 25. Geburtstag gefeiert.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Scheitern gehört zur Kunst dazu. Seltener ist, dass das Scheitern für Jubel und Applaus sorgt. Über mangelnde Unterstützung des Publikums konnten die Amerikanerin Rebecca Armstrong und die Polin Alicja Bielawska sich jedenfalls nicht beklagen. Die Künstlerinnen starteten am Samstagabend „Erste Flugversuche“, so ihre Aktion zum Sommerfest der Akademie Schloss Solitude. Auf der Wiese vor dem Schloss wollten die beiden ein aufwendiges Flugobjekt zum Schweben bringen. Auf das Kommando „One, two, three: run“ jagten zehn flinker Läufer die Wiese hinab und versuchten das mehrere Meter breite Gerät in die Lüfte zu stoßen. Aber anstatt elegant zu fliegen, krachte das Flugobjekt auf die Gruppe, die keuchend übers Gras kullerte.

 

Aber Risiko gehört zum künstlerischen Geschäft, wer nichts wagt, wird nie hoch hinaus kommen – und so passte die Performance bestens zum Geburtstag der Akademie Schloss Solitude. Seit 25 Jahren können Stipendiatinnen und Stipendiaten aller Sparten hier ihrer Arbeit nachgehen, ohne sich um das tägliche Brot mühen zu müssen. Grund genug, zu feiern mit einem schönen Sommerfest, politischen Dankesworten, Lesungen, Performances, Ausstellungen – und etwas Salz in der Suppe.

Düsteres Bild der literarischen Welt

Denn die kroatische Schriftstellerin Dubravka Ugresic skizzierte in ihrer Festrede ein düsteres Bild der literarischen Welt und watschte nicht nur die neue Zeit ab, in der offensichtlich Geld das Maß aller Dinge sei, sondern gleich noch ihre Kollegen. Schriftsteller seien im heutigen Betrieb auf die Rolle eines marginalen Arbeiters reduziert, der Inhalt zu liefern habe, mehr nicht. „Russische Schriftsteller hatten den Mut, gegen stalinistische Kulturpraktiken aufzubegehren“, sagte Ugresic, heute dagegen erhebe „kaum ein Schriftsteller seine Stimme gegen irgend etwas.“ Ugresic hat gerade den Taxischein gemacht, notgedrungen. 1997 war sie sechs Monate lang auf der Solitude – und „hätte nichts dagegen, den Rest meines Lebens hier zu verbringen“, wie sie sagte und damit bestätigte, worüber sich alle an diesem lauen Sommerabend einig waren: „Die Akademie Schloss Solitude ist eine feine Einrichtung“. So nannte es Teresia Bauer, die Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst.

Auf ihren Reisen ins Ausland werde sie immer wieder von jungen Leuten angesprochen, die Danke sagen wollten und ihr mit leuchtenden Augen von ihrer Zeit auf der Solitude berichteten. Bauer lobte, dass die Akademie sich in diesen 25 Jahren kritisch hinterfragt und laufend neu erfunden habe. Das Modell habe viele Nachahmer, aber Bauer stellte mit Genugtuung fest: „Die Solitude hat die Nase vorn.“

Hehre Kunst und gewöhnlicher Alltag

Gäste aus Warschau, Budapest und Belgrad waren zum Jubiläum angereist, die ehemaligen und die aktuellen Kuratoriums- und Beiratsmitglieder kamen, Kolleginnen und Kollegen anderer Kulturinstitutionen sowie interessierte Gäste, die durch Studios schlenderten, in der alten Scheune Videos anschauten oder in einer Fotoausstellung 25 Jahre Revue passieren ließen: Erinnerungen an die Sanierung der Gebäude oder eine Performance mit Axt auf der Bühne. Erinnerungen an das Daumenkinofestival vom Stuttgarter Künstlerduo Böller & Brot oder eine Aktion von Andrej Kritenko. Hier Fotos der neuen Teller für die Cafeteria, dort Bilder der Stipendiaten am Tischkicker – hehre Kunst und gewöhnlicher Alltag.

Barbara Stoll zieht derweil von Tisch zu Tisch. Man kann die Stuttgarter Schauspielerin herbeiwinken und sich zwischen Würstchen, Flammkuchen und Tabouleh Texte aus dem „Solitude Atlas“ vorlesen lassen. 150 Stipendiatinnen und Stipendiaten haben in der Festschrift nicht über die Solitude geschrieben, sondern über die Stadt, in der sie leben. Auf der Wiese hinter der Akademie lädt das Künstlerduo Hagen Betzwieser und Sue Corke inzwischen zum „Live Moon Smelling“ ein – und eine neugierige Menschenschar versammelt sich im Kreis mit weißen Luftballons in der Hand. Auf Kommando lassen sie diese nicht etwa fliegen – sondern platzen. Der Mond, berichten einige später verzückt, habe nach Zitrus gerochen. Kunst und Kultur schafften „Lebensqualität“, sagte die Ministerin Bauer in ihrer Ansprache – und das Jubiläum gab ihr Recht.

Barockschloss für das Zeitgenössische

Das Sommerfest auf der Solitude war jahrelang für sein schlechtes Wetter bekannt, 1998 gab es sogar ein schweres Unwetter. Diesmal zeigten sich der Himmel milde und das Ambiente von seiner schönsten Seite. Zu Beginn habe er Sorgen gehabt, ob man auf einem Barockschloss überhaupt zeitgenössisch arbeiten könne, sagte der Direktor Jean-Baptiste Joly. Kein Problem, bewies Dodo Schielein, die mit Clusterbrettern am Flügel Kompositionen von John Cage oder Claude Debussy zusammenfasste: sämtliche Töne erklingen hier zugleich.

Lothar Späth, dem geistigen Vater der Akademie, hätten die Ohren klingen müssen, denn der SPD-Politiker Dieter Spöri, der inzwischen dem Kuratorium vorsitzt, lobte den ehemaligen Ministerpräsidenten als einen der kreativsten Köpfe des Landes, der ein „Feuerwerk von neuen Ideen“ gehabt habe. Aber auch Joly dürfte nach diesem erfolgreichen Jubiläumsfest über dem Boden geschwebt haben. Denn das größte Lob aller Redner ging an ihn, der als Direktor ebenfalls sein 25-jähriges Dienstjubiläum feiern konnte. Er sei „ein Glücksfall“ für Stadt und Land, meinte Teresia Bauer, die gleich mehrere Geschenke mitbrachte: nicht nur die Erhöhung des Etats der Solitude um 100 000 Euro, sondern auch 390 000 Euro zum Aufbau des Webportals für das neue Förderprogramm Digital Journalism. Und noch eine gute Nachricht präsentierte die Ministerin, die zwar nicht primär mit der Kunst zu tun hat, es den Künstlern aber heimelig machen wird, gerade im Winter: 2016 bekommt die Akademie ein Blockheizkraftwerk.