Zum 25-Jährigen des Arbeitskreises Essstörungen hat es im Stuttgarter Delphi Kino eine Jubiläumsvorstellung gegeben: Im Dokumentarfilm „Ich hab’s geschafft“ wurden persönliche Wege aus der Krankheit gezeigt.

S-West - Ihre Fröhlichkeit steckt an. „Jetzt brauche ich die Essstörung nicht mehr!“, lacht Anika befreit. Sie hat die Bulimie überwunden. Das Essen und danach sich Erbrechen der Bulimie sei für sie wie ein Ventil gewesen, um schlechte Gefühle auszuhalten oder Konflikte zu vermeiden. Nun sei die Essstörung in einer Schublade – und da könne sie bleiben. Die 25-Jährige und sieben weitere Frauen – Kira, Lisa, Sonja, Oona, Juliane, Kersten und Marret – sowie ein Mann, Marek, schildern im Dokumentarfilm „Ich hab’s geschafft“ offen und berührend die Geschichten ihrer Essstörung und ihres Heilungswegs.

 

Seit 25 Jahren gibt es die Anlaufstelle für Essstörungen im Westen

Gedreht hat ihn die Systemische Therapeutin Shirley Hartlage 2018 für das Hamburger Fachzentrum für Essstörungen Waage. Nun war er in Stuttgart zu sehen: Zum 25. Geburtstag des Arbeitskreises Essstörungen lud ABAS Anlaufstelle bei Essstörungen ins Delphi-Kino zur Jubiläumsvorstellung. Im Arbeitskreis sind Fachleute unterschiedlicher Disziplinen und Einrichtungen, also Kliniken, Beratungsstellen, niedergelassene Therapeuten und Experten zusammengeschlossen. Er ging aus der ersten Stuttgarter Suchthilfekonferenz 1994 hervor. So entstand etwa der „Stuttgarter Behandlungspfad“, der Wege zu Therapien und Einrichtungen zeigt. Land und Stadt unterstützen dies: Laut Gabriele Reichhardt von der städtischen Sozialplanung bezuschusst die Landeshauptstadt jährlich alle Stuttgarter Träger der ambulanten Suchthilfe mit rund fünf Millionen Euro aus kommunalen Mitteln. ABAS hat 1,25 kommunal geförderte Fachkraftstellen, die Angebote reichen von Beratung bis Therapie, es gibt Elterngruppen genauso wie eine „Offene Jugendsprechstunde Essstörungen“. ABAS entstand im Jahr 2003 wegen der großen Nachfrage.

Zum 25-Jährigen habe man in Kooperation mit dem Stuttgarter Sozialamt positive Behandlungs- und Heilwege zeigen wollen, so ABAS-Leiterin Marianne Sieler. „Der Film macht Mut und bringt ein ernstes Thema in die Öffentlichkeit.“ Angesichts der Körperbilder, die in sozialen Medien und TV-Topmodel-Formaten propagiert werden, nehmen die Anfragen nicht ab. Nach der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZGA) leiden von 1000 Personen etwa 30 bis 50 an einer Essstörung, die bekanntesten sind Anorexie, also Magersucht, Bulimie und Binge Eating. Letzteres, Essattacken, klassifiziert nun die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als eigene Diagnose. Nach der BZGA sind am häufigsten Mischformen.

Männer fallen bei Behandlungsmöglichkeiten immer noch durchs Raster

Regisseurin Shirley Hartlage suchte daher bewusst Betroffene verschiedenen Alters mit verschiedenen Krankheitsbildern, die Vielschichtigkeit, die multiplen Ursachen und den Bedarf an Multiprofessionalität zu zeigen. „Es kann früher und später anfangen, es gibt Gemeinsamkeiten und Unterschiede.“

Marek, einstiger Anorexiepatient, litt unter dem Jugendwahn seiner Eltern. Seine Crux: Da mehr Frauen unter Essstörungen leiden, fielen Männer lange durchs Raster, obwohl die Zahl der Betroffenen steigt. Allen im Film gemeinsam ist, dass die Essstörung zum Zufluchtsort wird, zum Dreh- und Angelpunkt, weil sie zunächst eine Bewältigungsstrategie für andere Probleme ist.