Der Aufbau von Europas modernsten Autoproduktionsstätten und der Erhalt traditioneller Industriestandorte sind nicht genug – der Osten schafft es einfach nicht, wirtschaftliche Eigenständigkeit zu erlangen. Dafür wurden zu viele Fehler gemacht.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Eine Erkenntnis genügt, um die ganze Misere der ostdeutschen Wirtschaft zu beschreiben: Binnen 25 Jahren hat nicht ein Dax-Konzern seine Zentrale in den neuen Ländern angesiedelt. Auch über diese 30 Vorzeigeunternehmen hinaus finden sich die meisten Hauptverwaltungen im Westen. Folglich sind dort die hochwertigen Arbeitsplätze angesiedelt. „Die Beschäftigten in Forschung und Entwicklung sind wichtig, weil sie gut verdienen und mit ihren Innovationen Wachstum produzieren“, sagt Reint E. Gropp, der als Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) sozusagen umgeben ist vom Schlamassel. „Diese Mitarbeiter sind leider alle nicht im Osten.“

 

Solange der Osten – von Berlin abgesehen – von den Konzernoberen gemieden wird, bleibt auch seine Abhängigkeit vom Westen erhalten. Denn wo die Unternehmen ihren Sitz haben, zahlen sie ihre Steuern – und wo gut entlohnte Beschäftigte leben, wird die Kaufkraft gestärkt. Dies beflügelt wiederum die lokale Dienstleistungsbranche. Die namhaften Industriespieler sind zwar zuhauf vertreten im Osten: VW, Porsche, Opel und BMW haben modernste und hochproduktive Produktionsstätten dort errichtet. Daimler hat mit MDC Power im thüringischen Kölleda eines der leistungsstärksten Motorenwerke in Europa. Doch allgemein bleiben die Jobs mit der hohen Wertschöpfung im Westen, die hoch qualifizierten Kräfte auch aus dem Raum Stuttgart pendeln bei Bedarf. Das Schlagwort von der verlängerten Werkbank Ostdeutschland gelte nach wie vor, sagt der Wirtschaftsprofessor Gropp. „Daran wird sich so schnell nichts ändern – außer es ändert sich etwas an der Struktur.“

Die ostdeutsche Wirtschaft ist zu kleinteilig

„Die ostdeutsche Wirtschaft ist sehr kleinteilig“, stellt IG-Metall-Vorstandsmitglied Wolfgang Lemb fest, der den Aufbau Ost als Geschäftsführer der Gewerkschaft in Gera und Erfurt mitgestaltet hat. Um die industriellen Strukturen auszubauen, sollten mehr Forschung und Entwicklung in den Betrieben integriert sowie die wirtschaftsnahe Forschung verstärkt werden, fordert er.

Direkte Förderinstrumente, die auch die kleinen und mittleren Betriebe begünstigen, seien nötig. Zwar hätten sich leistungsfähige Industriecluster gebildet, und die Automobilhersteller sowie der Maschinenbau legten bei Umsatz und Beschäftigung wieder zu. Auf der anderen Seite seien in den angrenzenden, oft ländlichen Bereichen gravierende Nachteile erkennbar, so Lemb. Gemeint ist die spärliche Breitbanderschließung, aber auch der Nahverkehr.

Der Industrieverfall auf dem früheren DDR-Gebiet führt zur Abkopplung vom internationalen Geschäft. Die ostdeutsche Wirtschaft ist wenig exportorientiert und kann kaum von Wachstumsmärkten wie den USA oder China profitieren. Bekannte Namen wie Ebay, Amazon und Zalando, die sich im Osten niedergelassen haben, lindern die Not keineswegs. Den großen Logistikunternehmen bietet der Raum Halle/Leipzig mit seiner zentralen Lage in Europa und einem schwach ausgelasteten Flughafen zwar einen echten Standortvorteil. „Das ist aber nicht die Art von Arbeitsplätzen, die das Problem des niedrigeren Pro-Kopf-Einkommens im Osten beheben“, sagt Gropp.