Als Schnapsidee schätzen viele die Filmakademie Baden-Württemberg bei ihrer Gründung ein. 25 Jahre später ist sie weltweit renommiert. Zum Jubiläum spricht ihr Direktor Thomas Schadt über systematische Überforderung und die Probleme des Standorts.

Stuttgart - Keine nennenswerte Filmszene drumherum, nicht einmal eine richtige Filmförderung wie in anderen Bundesländern: die Filmakademie entstand 1991 im medialen Brachland. Ihr Gründer Albrecht Ade wollte aber nicht bewährten Vorbildern nacheifern, sondern etwas Neues schaffen. Thomas Schadt, Akademiedirektor seit 2005, sieht den Aufbruchsgeist als Verpflichtung. Zum Jubiläum spricht er über ein Studium auf Augenhöhe, systematische Überforderungen und die Gefahr des Stillstands.

 
Herr Schadt, was war Ihre erste einprägsame Erfahrung mit der Akademie?
Mein erstes Gespräch mit Albrecht Ade im Blauen Engel. Er hat mir eine Art Marschbefehl erteilt, möglichst bald hierherzukommen als Dozent für Dokumentarfilm. Bevor ich antworten konnte, musste er zum nächsten Termin und hat mich mit dieser Anweisung sitzenlassen. Ich hatte gar keine Vorstellung von Ludwigsburg. In Berlin hat man das milde belächelt: Was wollen die mit noch einer Filmhochschule? Aber der Campus hier hatte so einen Charme, und aus dieser Charmefalle kommt man nicht mehr raus.
Die Filmakademie war sehr schnell sehr erfolgreich. Warum eigentlich?
Der Gründer Albrecht Ade hat auf abteilungsübergreifenden, praxisorientierten Unterricht gesetzt, die Studierenden sollten vor allem Filme machen und entlang dieser Projekte von Dozenten angeleitet lernen. Das gab es sonst so konsequent nirgends. Genau wie die flexible Struktur mit wenig festen Professoren und dafür Dozenten direkt aus der Praxis.
Man spricht von Münchner Handschrift und Berliner Schule – was zeichnet Ludwigsburg aus?
Mit solchen Schubladen tue ich mich schwer. Jeder Film ist anders, jeder Filmemacher ist anders. Über dieser Schule lag nie ein Dogma, hier herrscht ein sehr offener Geist und es geht darum, Studenten in den Talenten zu befördern, die sie mitbringen. Hier wird niemandem vorgeschrieben, wie er sich entwickeln soll. Die Studenten haben viele Freiheiten, aber sie werden hinterfragt, und zwar permanent. Unser einziges Dogma ist vielleicht ein dialogisches Prinzip, wir kommunizieren mit den Studenten auf Augenhöhe. Ein zweites ist das unbedingte Streben nach Qualität.
Kommen alle Studierenden mit der großen Freiheit zurecht?
Das ist eine durchaus gewollte Überforderung. Wer hier rausgeht und nicht mindestens zwei handfeste Krisen durchlebt hat, der hat keine förderliche Ausbildung genossen. Die müssen sich in Frage stellen, an die Wand laufen, mit sich hadern, Grenzen überschreiten und damit Probleme kriegen - wie sollen sie denn sonst die Emotionalität herstellen, die wir im Film haben wollen? Wir geben ihnen aber dafür ausreichend Zeit, rechtzeitig zum Diplom die Kurve zu kriegen.
Was ist die wichtigste Voraussetzung, um an der Filmakademie angenommen zu werden?
Talent erkennen lassen für das, was man studieren will. Wenn sich einer für Kamera bewirbt, wollen wir schon sehen, dass er ein Talent hat fürs Visuelle. Und er muss bereit sein, seine Persönlichkeit zu entwickeln. Der Markt braucht starke und zugleich dialogfähige Charaktere, und eine Akademie hat die Aufgabe, die zu finden und zu fördern.
Haben sich die Studenten im Lauf der Jahre verändert? Wie macht sich die Generation Facebook?
Wir versuchen, ihr kritische Distanz zu verschaffen, damit sie darüber Geschichten erzählen können. Viele denken, Studierende heute wollten nur Web-Formate machen, aber die meisten gehen in die klassischen Formate wie den 90 Minuten Film. Ich sehe da fast eine Sehnsucht, aus den eigenen medialen Abhängigkeiten herauszukommen durch archaische Erzählformen. Das hat fast etwas Romantisches.
Der Mythos Kino lebt also weiter?
Ja. Aber die Studierenden müssen lernen, sich auch mit dem Fernsehen auseinanderzusetzen, denn das ist in Deutschland der potenteste Arbeitgeber, an dem auch das Kino hängt. Ich sage das komplett wertfrei. Qualität ist überall möglich – und halt auch nicht. Da es kein Überangebot an guten Geschichten gibt, geht es am Ende nur um die Frage: Ist dein Stoff erzählenswert? Jede Form muss aus einem Inhalt heraus begründet sein. Es ist wichtig, nicht über Form und Technik zum Inhalt zu finden, sondern umgekehrt.
In den USA arbeiten Autorenteams an großen Serien, die das Geschichtenerzählen auf ein neues Niveau gebracht haben. Wieso tut man sich in Deutschland damit so schwer?
In Deutschland gibt es traditionell nur einen Autoren, die Studenten brechen das jetzt langsam auf. Es ist hier einfach schwierig, so ein Produktionsvolumen zu generieren. Für Tom Tykwers Wahnsinnsgeschichte „Babylon Berlin“ musste sich die ARD komplett zusammenschließen. Aber es muss ja nicht immer so teuer sein. Ich halte es durchaus für möglich, in absehbarer Zeit auf ein internationales Serien-Niveau zu kommen.
Immer mehr Absolventen machen gar keinen Film mehr …
Eine Absolventin hat im Fach „Interaktive Medien“ Diplom gemacht mit einem Konzept, wie Kinder spielerisch und künstlerisch mit Technik umgehen können. Ein anderer wollte auf Lesbos einen Film über Flüchtlinge drehen, hat sich dann aber stark in einem sozialen Projekt engagiert. Wir hielten das für abschlusswürdig, denn er hat sich persönlich entwickelt und Material gesammelt, aus dem er mit Abstand einen reflektierten Debütfilm machen könnte.
Wie sieht die Branche solche Entscheidungen?
Wir können mit unserer Reputation mehr als zufrieden sein. Beim Deutschen Filmpreis haben gerade unser Absolvent Thomas Stuber mit dem Spielfilm „Herbert“ und Nicolas Steiner mit seinem Diplom-Dokumentarfilm „Above and Below“ jeweils Lolas gewonnen. Erfolg schafft Freiräume.
Wie groß ist die Konkurrenz um Dozenten? Ist es schwer, gute Leute zu bekommen?
Ich habe noch nie eine Absage bekommen außer aus Zeitgründen. Und nicht jeder gute Filmemacher ist ein talentierter Pädagoge. Der Dokumentarfilmer Volker Koepp saß schweigend mit den Studenten im Seminarraum, bis klar war: Das wird nichts. Manchmal möchten auch Leute hier ihren Weltschmerz verbreiten. Die schieße ich sofort vom Acker, denn das Märchen, früher sei alles besser gewesen, bringt den Studenten nichts.
Die Region Stuttgart hat sich als starker Standort für Animation und Effekte etabliert, auch wegen des Animationsinstituts der Filmakademie. Was bislang fehlt, sind Produktionen vor Ort. Wie kann man die auf die Beine bringen?
Andreas Hykade, der Leiter des Animationsinstituts, sagt: Man muss dahin kommen, dass hier abendfüllende Animationsspielfilme hergestellt und nicht nur Dienstleistungen zugeliefert werden, die majoritär woanders entstehen. Die kreative Potenz ist da, doch die Filmförderung kann das alleine nicht stemmen, und das Wirtschaftsministerium sagt in der Regel, es wäre für Film nicht zuständig. Film wäre aber in so einem Fall sowohl eine kulturelles als auch eine wirtschaftliches Gut, da fehlt noch ein übergreifendes Verständnis. Und die Banken im Land haben auch kein Fachpersonal, das sich wirklich mit Filmfinanzierungen auskennt.
Sie leiten eine Akademie, machen Filme, bringen Bücher heraus, inszenieren am Theater – der erste Eintrag bei Wikipedia aber verweist auf „DJ Mogga“, „ehemals DJ Schadtstoff“. Was steckt dahinter?
Ich habe immer wieder mal in einer unserer Studentenkneipen aufgelegt, und unser Bibliothekar Hansl Schulder hat das ins Netz geschrieben. Ich habe es nicht gelöscht, weil es zeigt, wie wir miteinander umgehen. Für mich ist der lebendige Dialog mit den Studenten das wichtigste. Ich kenne nicht jeden einzelnen, aber alle müssen das Gefühl haben, dass jemand auf sie schaut, gerade wenn es nicht so viele feste Professoren gibt. Derzeit lege ich nicht mehr auf, weil ich zu den 500 großen Kindern noch zwei kleine eigene dazu bekommen habe.
Studentenfilme sind alles andere als perfekt. Was ist für Sie der Reiz daran?
Natürlich ist da vieles unausgegoren gepaart mit einer für Filmstudenten typischen Hybris. Aber das war bei uns auch schon so, das macht die Auseinandersetzung interessant. Alle Dozenten sagen: Das hält einen jung, man ist am Puls der Zeit. Dieser Job ermöglicht es auf gewisse Weise, selbst weiter Filmstudent zu bleiben.
Als Direktor müssen Sie auch für Ihr Haus werben und repräsentieren. Wussten Sie damals, was Sie erwartet?
Ich bin sehr naiv in diesen Beruf gegangen und habe auch Fehler gemacht. Man weiß am Anfang nicht, dass man eine öffentliche Person ist. Der Hausmeister schaut auf die Uhr, wann der Direktor zur Arbeit kommt, die Mitarbeiter haben Erwartungen, der Lehrkörper möchte jemanden, mit dem er auf Augenhöhe sprechen kann, der Aufsichtsrat erwartet saubere Berichte. Das alles musste ich erst lernen.
Was hat sich verändert an der Akademie, seit Sie angefangen haben?
Es gab viele interne Grabenkämpfe. Ich bin da voll hineingeraten, und irgendwann ist der kaufmännische Geschäftsführer auf eigenen Wunsch ausgeschieden. Nach drei Jahren war das Betriebsklima da, wo ich es haben wollte: Transparenz, flache Hierarchien, hohe Eigenständigkeit der Mitarbeiter, Austausch unter den Fachbereichen. Im Dokumentarfilm wusste damals ja keiner, was der Spielfilm macht, und umgekehrt. Wenn es mir nicht gelungen wäre, das aufzubrechen, hätte ich nicht weitermachen können.
Die Akademie gewinnt Preise, genießt großes Ansehen – was kann da noch kommen?
Die größte Gefahr ist, es sich im Erfolg bequem zu machen. Ich muss das immer neu befeuern, für Unruhe sorgen, Dinge in Frage stellen und dabei alle mitnehmen. Wenn es den Leuten gut geht mit ihren Teilverantwortungen, wollen sie erst mal nichts verändern. Man muss sich aber immer wieder neu erfinden und jede Form von Stillstand unterbinden, damit nicht alles erstarrt. Dann wäre der akademische Geist in Gefahr. Das ist vielleicht das Schwierigste an meinem Job.