Montreux, Rotterdam – Stuttgart: Wie es die Jazz Open es in die erste Reihe der europäischen Festivals geschafft haben.

Stuttgart - So lässt sich ein Jubiläum feiern: Starkes Programm, fast alles ausverkauft, 45 000 Besucher anvisiert. Und der attraktive Spielort Altes Schloss bietet seit 2017 neue Möglichkeiten. „Jetzt haben wir eine ideale Bühne für namhafte Jazz-Acts wie Stanley Clarke, für die der Schlossplatz zu groß ist“, sagt Schlensog. „Im Alten Schloss machen wir jetzt vor allem Jazz, auf dem Schlossplatz vor allem Pop. Das Kriterium ist aber Qualität, Genre-unabhängig.“ Die alte, langbärtige Diskussion um die Frage, wie viel „Open“ ein Jazz-Festival verträgt, wäre damit beantwortet. Immer wieder war der Versuch gescheitert, Jazz größer aufzuziehen. Vor spärlicher Kulisse spielten 2014 Herbie Hancock und Wayne Shorter auf dem Schlossplatz und wirkten dort verloren mit ihrem introvertierten Kammerjazz. Bei Hancocks Konzert 2017 im Alten Schloss dagegen stimmte alles.

 

Den Anstoß gab der Ausstieg des Sponsors Mercedes, an dem das Amphitheater am Mercedes-Museum hing. Diese Bühne war stets problematisch, weil sie weit vom Schuss liegt und es nicht allen Künstlern gelang, gegen die monumentale Konzernkulisse anzuspielen. Gregory Porter brachte es 2014 auf den Punkt: „Did you see that big Mercedes sign?“, fragte er schelmisch. „That’s biiig!“ In Erinnerung bleiben wird die Balkan-Party, die Goran dort 2011 bei strömendem Regen inszenierte.

Die Fantastischen Vier schafften den Spagat

Am Anfang aber stand die Liederhalle. 1994 veranstaltete die neu gegründete Firma Opus, in der der Stuttgarter Konzertveranstalter Michael Russ eine tragende Rolle spielte, die ersten Jazz Open mit Ornette Coleman, 1996 kam der Posaunist Albert Mangelsdorff. 1997 illuminierte B. B. King auf der Höhe seines Könnens den Beethovensaal mit seinem sonnigen Blues. Von Beginn an stand der Zusatz „Open“ für die Öffnung zum Pop – doch die Programmierung wirkte manchmal beliebig. Eine Band, die den Spagat schaffte, waren die Fantastischen Vier. 1998 belebten Thomas D. und Smudo den Auftritt des Funk-Papstes Bootsy Collins und beeindruckten mit ihrem zungenbrecherischen deutschsprachigen Rap sogar dessen Backgroundsängerinnen. 2003 gaben die Fantastischen Vier dann ein eigenes, starkes Jazz Open-Heimspiel im brechend vollen Beethovensaal.

Im Zuge der Sanierung des Bosch-Areals entstand zwischen Liederhalle und Literaturhaus ein Platz, der sich für eine Open-Air-Bühne eignete. Der Lautmaler Al Jarreau trotzte da 2001 mit Hingabe und Seele widrigem Wetter, doch die Freude währte nur kurz: Die Stadt sperrte den Platz mit einer Groß-Plastik. 2005 brachte die Landesbank als damaliger Hauptsponsor den Pariser Platz ins Spiel, einen Unort inmitten der Bankenfestung hinter dem Hauptbahnhof. Die Jazz Open erfanden sich nun neu als Open-Air-Veranstaltung, und gleich im ersten Jahr sorgte der späte James Brown für einen Glanzpunkt. 2007 spielten Steely Dan ein Konzert, für das ausnahmsweise die Vokabel „legendär“ verwendet werden darf, und 2008 interpretierte Paul Simon seine großen Hits völlig neu im Geiste des Jazz.

Denkwürdige Konzerte im Jazzclub Bix

Inzwischen bot sich der 2006 gegründete Jazzclub Bix als Ort für kleinere Bands an und entwickelte sich schnell zur Wundertüte. Nur zwei der vielen denkwürdige Abende seien hier erwähnt: 2008 blies die singende Bassistin Esperanza Spalding das Publikum förmlich weg, und die 19-köpfige französische Bigband Le Sacre du Tympan quetschte sich auf die kleine Bühne und erschütterte mit ihrem Filmmusik-Sound die Grundfesten des Sieglehauses.

Mit der neuen Stadtbücherei und der Bebauung der angrenzenden Brache fiel auch der Pariser Platz weg, und innerhalb der Opus GmbH kam es zu einer Veränderung: Jürgen Schlensog, seit 2002 Gesellschafter und seit 2007 aktiv in der Planung tätig, übernahm die Jazz Open 2008. „Es gab unterschiedliche Auffassungen“, sagt er. „Ich war der Ansicht, dass es eine klare Handschrift braucht. Michael Russ hat dann entschieden, Opus zu verlassen.“ Der Unternehmer Schlensog, der seine Firma 2004 verkauft hatte, war nun plötzlich Konzertveranstalter – ein Neuling in einer komplexen Branche. Fürs Jahr 2009 wählte er die neue Messe als Spielort, doch der Aufwand und die Halle erwiesen sich als zu groß, das Jazz-Publikum blieb weg, die Kosten liefen aus dem Ruder.

2011 kam das Festival auf dem Schlossplatz an

„Die Messe war für mich wichtig als Lehrgeld“, sagt Schlensog. Katie Melua gab dort zwar das größte Jazz Open-Konzert aller Zeiten mit 8500 Zuschauern, doch der Jazz-Saxofonist Sonny Rollins verlor sich und nicht einmal Grace Jones und Marianne Faithfull lockten ausreichend Zuschauer an. „Ich habe zu schnell zu viel gewollt“, sagt Schlensog. „Die Jazz Open waren noch nicht soweit.“

Schon 2008 hatte er den Anspruch formuliert, den Schlossplatz zu bespielen, 2011 bekam er erstmals den Ehrenhof vor dem Neuen Schloss mit einer Kapazität von 5500 Zuschauern. „Zu Madness kamen 2012 1300 Leute, da ging auch nicht alles sofort“, sagt Schlensog. In den Folgejahren spielten Diana Krall und Lang Lang (2013), Van Morrison (2014), die Französin Zaz (2015). 2016 ließen dann die Gitarristen David Gilmour und Carlos Santana das Festival wirklich groß wirken, Künstler wie der Stuttgarter Panda-Rapper Cro (2016) und der Hamburger HipHop-Zampano Jan Delay (2017) brachten frischen Wind.

„Wir haben gelernt, um Künstler zu werben“, sagt Schlensog. „David Gilmour hat Bild- und Videomaterial vom Schlossplatz bekommen, die Atmosphäre gesehen. Er hat auf dieser Tour Geld verloren, weil es ihm wichtiger war, an schönen Orten zu spielen: Pompeji, Verona – Stuttgart.“