Vor 25 Jahren gelang Forschern die erste kontrollierte Kernfusion auf der Erde, mit der ansonsten die Sonne Energie erzeugt. Doch es ist schwerer als gedacht, die Fusion auf der Erde dauerhaft zu nutzen. Milliarden von Euro und intensive Forschung sollen zum Ziel führen.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Culham - Mit zwei Litern Wasser und einem halben Pfund Gestein lässt sich der Strombedarf einer Familie für ein ganzes Jahr decken: Die Kernfusion nach dem Vorbild der Sonne soll der Menschheit eine nahezu unerschöpfliche Energiequelle erschließen. Vor 25 Jahren, am 9. November 1991, holten Forscher das Sonnenfeuer auf die Erde: Für zwei Sekunden brannte die erste kontrollierte Kernfusion der Welt im europäischen Experimentalreaktor JET (Joint European Torus) im britischen Culham bei Oxford. Der internationale Testreaktor Iter, der zurzeit in Südfrankreich entsteht, soll der Technik nun den Weg in die Praxis ebnen. Dieser Weg verläuft allerdings noch holprig.

 

Energie aus der Sonne

Die Kernfusion gewinnt enorme Mengen Energie, indem sie leichte Atomkerne zu schwereren verschmilzt. Unsere Sonne leuchtet vor allem durch die Fusion von Wasserstoff, dem leichtesten chemischen Element, zum nächst schwereren, Helium. Nach diesem Vorbild sollen irdische Fusionsreaktoren die Wasserstoffvarianten Deuterium und Tritium zu Helium verschmelzen.

Deuterium, auch als schwerer Wasserstoff bezeichnet, lässt sich aus normalem Wasser gewinnen. Tritium, sogenannter superschwerer Wasserstoff, kann ein Reaktor aus dem Leichtmetall Lithium erbrüten, das sich in Gestein findet – Fusionsbrennstoff ist vergleichsweise billig und im Überfluss vorhanden.

JET: Internationaler Experimentalreaktor

Das Fusionsfeuer zu zünden und vor allem kontrolliert aufrecht zu erhalten, ist jedoch technisch äußerst anspruchsvoll und erfordert wahrhaft höllische Bedingungen: Der Brennstoff muss auf Temperaturen von etwa 100 Millionen Grad Celsius aufgeheizt und das entstehende heiße Plasma von extremen Magnetfeldern berührungsfrei in der Brennkammer eingeschlossen werden. Berührt das Plasma die Reaktorwand, erlischt das Fusionsfeuer sofort.

Bislang hat noch kein Testreaktor mehr Energie erzeugt als in das Aufheizen und Einschließen des Plasmas hineingesteckt werden musste. Die Fusionspremiere bei JET 1991 lieferte nicht einmal ein Zehntel der Energiemenge, die zur Zündung des Feuers nötig war. Sechs Jahre später holte JET immerhin zwei Drittel der eingesetzten Energie zurück. Für eine positive Energiebilanz ist JET jedoch zu klein.

ITER: Die Zukunft der Kernfusion

Die soll nun ITER (lateinisch: der Weg) demonstrieren und dabei mindestens zehnmal so viel Energie gewinnen wie hineingesteckt werden muss. ITER ist ein seit 2007 im Bau befindlicher Kernfusionsreaktor und internationales Forschungsprojekt, das in der Zukunft Strom aus Fusionsenergie erzeugen.

Der Komplex befindet sich beim Kernforschungszentrum Cadarache unweit des Ortes Saint-Paul-lès-Durance in Südfrankreich (Departement Bouches-du-Rhône, rund 60 km nordöstlich von Marseille). Hier wurden auch die Prototypen zwiswchen 1967 und 2010 drei Schnelle Brüter betrieben. Diese sogenannten Brutreaktoren sind Kernreaktor, die zur Energiegewinnung und gleichzeitigen Erzeugung spaltbaren Materials dienen.

Das Tokamak-Prinzip

Bereits in Betrieb in Cadarache ist der Tore Supra: ein Fusionsreaktor vom Typ Tokamak, bei dem die Kernfusion mittels supraleitender Magneten funktioniert. Nach Angaben des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik im bayerischen Garching sind „weltweit die meisten Anlagen heute vom Typ Tokamak. Er ist am besten untersucht. Das Tokamak-Prinzip wurde von den sowjetischen Physikern Andrei Sacharow und Igor Jewgenjewitsch Tamm im Jahr 1952 erfunden. Noch im selben Jahrzehnt wurden die ersten Tokamak-Experimente in der Sowjetunion durchgeführt.

Der zurzeit größte Tokamak-Fusionsreaktor ist JET. ITER würde ihn – so die Tokamak-Anlage fertiggestellt werden sollte – noch weit übertreffen. In Deutschland wird derzeit an einem Tokamak-Fusionsreaktor geforscht: ASDEX Upgrade am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bei München (seit 1991 in Betrieb).

Bei Wendelstein 7-X (W7-X) am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswalds (seit Dezember 2015 in Betrieb) handelt es sich um eine Anlage vom Typ Stellarator. Wie beim Tokamak ist die Anlage torusförmig – also aufgebaut wie Rettungsring oder Reifen. Den Aufbau haben beide Systeme gemeinsam, die Herstellung von heißem Plasma ist allerdings unterscheidlich. Wie genau durch ein Magnetfeld Energie erzeugt wird, ist sehr kompliziert. Das Stellarator-Prinzip könnte in der Praxis allerdings den Vorteil haben, dass es für den Dauerbetrieb eines Kernfusionsreaktor besser geeignet ist als das Tokamak-Prinzip. Hier besteht das Problem, den Strom im Plasma dauerhaft fließen zu lassen.

Ein weiteres Kernfusionsexperiment TEXTOR war von 1983 bis 2013 im Forschungszentrum Jülich in Betrieb. Auch dieser Forschungsreaktor basierte auf dem alternativen Tokamak-Prinzip.

Wohin mit dem radioaktiven Abfall?

„Die nächsten Entwicklungsziele der Fusionstechnologie sind der Dauerbetrieb, die Herstellung eines fusionsfähigen Plasmas und vor allem die Erzeugung nutzbarer Energie daraus“, sagt der Energieforscher Volker Handke vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) in Berlin. „Ungeklärt sind der Umgang mit den zu entsorgenden radioaktiven Reaktormaterialien sowie die zukünftige Rolle der Kernfusion im Energiesystem.“

Fusionsreaktoren erzeugen weniger und vor allem deutlich kurzlebigere Radioaktivität als die Kernspaltung. Ganz ohne Strahlenmüll kommen sie allerdings nicht aus. Für Tausende Jahre sichere Endlager wie für den radioaktiven Abfall der Spaltreaktoren sind jedoch nicht nötig, wie die Befürworter der Technik betonen. Nach 100 Jahren ist demnach die Radioaktivität auf ein Zehntausendstel abgeklungen.

Als weiteren wichtigen Vorteil führen Befürworter die Klimafreundlichkeit ins Feld, denn die Kernfusion produziert keine Treibhausgase. Nach ihrer Ansicht könnte die Fusion im Energiemix der Zukunft die Grundlast im Stromnetz übernehmen.

Mindestens 20 Milliarden Euro für ITER

Iter hat allerdings mit Verzögerungen und stark steigenden Kosten zu kämpfen. Die Fertigstellung des ursprünglich auf rund fünf Milliarden Euro veranschlagten Reaktors war zunächst für 2018 geplant. Inzwischen rechnen die Betreiber 2025 mit dem ersten Plasma. Die Kosten des von der EU, China, Indien, Japan, Korea, den USA und Russland getragenen Projekts sind derweil auf rund 20 Milliarden Euro geklettert. „Gemäß aktuellem Wissensstand werden weitere Jahrzehnte vergehen, bevor die Kernfusion in relevanter Weise energetisch genutzt werden kann“, sagt IZT-Energieexperte Handke.

Kritikern verschlingt das zu viel Geld und dauert zu lange. Nach Ansicht der Umweltorganisation Greenpeace ließe sich in der Zeit bis zur Kraftwerksreife der Kernfusion die gesamte weltweite Stromerzeugung auf erneuerbare Energien umstellen.

Energiequelle für Millionen Jahre?

ITER-Generaldirektor Bernard Bigot betont dagegen das große Potenzial der Technik: „Heute stammen 80 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs aus fossilen Brennstoffen, und wir wissen alle, dass diese Ressourcen nicht ewig zur Verfügung stehen“, sagte er zu seinem Amtsantritt im vergangenen Jahr. „Mit der Fusionsenergie haben wir eine . Sie nutzbar zu machen ist eine Gelegenheit, die wir nicht auslassen können.“