25 Jahre Sportregion Stuttgart „Schmerzt mich, was beim VfB passiert“

Nach der Leichtathletik-WM 1993 keimte die Hoffnung auf Olympische Spiele in Stuttgart – geblieben ist die Sportregion, ein Zusammenschluss von 100 Kommunen und Sportfachverbänden zur Förderung der Zusammenarbeit im Sport. Foto:  

Der Schorndorfer OB und Vorsitzende der Sportregion Stuttgart, Matthias Klopfer, zieht Bilanz zu deren 25-jährigem Bestehen. Kritische Töne schlägt er zur Situation des größten Vereins der Region an.

Lokales: Alexander Ikrat (aik)

Stuttgart - Als Folge der Stuttgarter Bemühungen um Olympische Spiele ist die Sportregion am 14. Mai 1996 gegründet worden. Heute gehören dem Verbund genau 100 Kommunen, Sportfachverbände, Sportkreise sowie der Olympiastützpunkt und der Verband Region Stuttgart an. Seit 2012sitzt der Schorndorfer OB Matthias Klopfer (SPD) dem Vorstand vor.

 

Herr Klopfer, aus aktuellem Anlass interessieren wir uns für Ihren Blick auf die Vorgänge beim VfB Stuttgart. Dort hagelt es in der Folge der Affäre um die möglicherweise unberechtigte Weitergabe von Daten von Vereinsmitgliedern an Dritte Rücktritte. Sind Sie froh, dass Sie Ihre Kandidatur für die Präsidentschaft Ende Oktober 2019 quasi rechtzeitig zurückgezogen haben?

Das kann man so nicht sagen. Vor allem schmerzt mich das wahnsinnig, was da gerade passiert. Der VfB ist der wichtigste Verein in Baden-Württemberg, und er legt neben dem HSV die schlechteste Performance aller Vereine in Deutschland hin. Man hat derzeit den Eindruck, jeder Verein in einer Kleinstadt wird besser geführt.

Mit Ihnen als Präsident wäre das anders?

Es ist schwer zu sagen, an welcher Stelle der Verein heute mit mir als Präsidenten stünde. Klar ist, dieser Verein braucht einen „Aufräumer“, der es gleichzeitig schafft, die Mitglieder, Fans und Sponsoren auf diesem Weg mitzunehmen. Ich habe durch mein Amt als Oberbürgermeister viel Erfahrung damit, widerstreitende Interessen unterschiedlicher Parteien zusammenzuführen. Deshalb habe ich mir das Präsidentenamt zugetraut.

„Die Strukturen beim VfB sind schlecht“

Sie haben zurückgezogen, weil der Aufsichtsrat der VfB-AG damals zuerst Thomas Hitzlsperger zum Vorstandsvorsitzenden gemacht hatte, bevor ein Präsident gewählt wurde. Sie vermuteten, dass Transparenz und Teamwork mit alten Machtzirkeln nicht vereinbar sei. Von Zirkeln ist nun nicht mehr viel übrig . . .

Das kann ich nicht beurteilen. Aber in der Krise hat sich gezeigt, dass die Strukturen des VfB schlecht sind. Der Verein mit mehr als 70 000 Mitgliedern kann nicht mehr ehrenamtlich geführt werden. Zentrales Gremium muss das Präsidium sein, das aus meiner Sicht das Vorschlagsrecht für den Präsidenten haben sollte. Der Vereinsbeirat ist mit dieser Aufgabe überfordert. Unstrittig ist, dass der Präsident Vorsitzender des Aufsichtsrates sein muss. Der Verein ist die Mutter der AG.

Wie wirkt das Management der Datenaffäre?

Das muss natürlich alles aufgeklärt werden, die Frage ist: Wie? Dabei haben viele Beteiligte nicht die beste Figur gemacht. Der Präsident will volle Aufklärung und Transparenz. Das ist richtig. Ich habe mich auch gewundert, dass man aus den Reihen des Aufsichtsrats die ganze Zeit nichts gehört hat.

„Vieles hängt von Hygienekonzepten und Textkapazitäten ab“

Das andere große Thema zurzeit ist Sport und Corona. Handball-WM in Ägypten, Fußball-Club-WM in Katar, aber der Amateursport ist untersagt. Verstehen Sie das?

Ein schwieriges Thema. Die Ski-WM in Cortina d’Ampezzo hat funktioniert, die Vorzeichen für die Nordische Ski-WM in Oberstdorf sind gut, aber ob eine Fußball-EM in elf Ländern im Sommer in die Zeit passt? Vieles hängt von Hygienekonzepten und Testkapazitäten ab, und für die Athleten ist das Feeling ohne Publikum zwar ganz anders, andererseits könnte es für viele aber auch die letzte Chance auf den größten sportlichen Erfolg sein, wie für den Ringer Frank Stäbler bei Olympischen Spielen in Tokio. Und der Zuspruch der Zuschauer an den Bildschirmen ist groß.

Was ist mit dem Amateursport?

Da soll mir mal einer erklären, warum man Wechselunterricht in den Schulen mit 14 Kindern auf 60 Quadratmeter Klassenzimmer vorbereiten soll, aber nicht ein Dutzend Kinder auf 7000 Quadratmetern Sportplatz Fußball spielen können. Bei Hallensportarten kann ich das Verbot nachvollziehen, aber bei Open-Air-Sportarten nicht. Damit schaffst du’s, dass sich Frust über die Coronamaßnahmen breitmacht.

„Ich erwarte einen klaren Stufenplan für den Sport“

Was fordern Sie von der Bundes- und Landespolitik?

Ich erwarte einen klaren Stufenplan, wann Sport im Freien wieder möglich ist und wann auch in der Halle. Natürlich mit entsprechenden Hygienekonzepten, die von uns Kommunen kontrolliert werden müssen. Als Sportwissenschaftler weiß ich, wie wichtig Bewegung für die kognitiven Tätigkeiten im Gehirn ist – für Schülerinnen und Schüler, aber auch für Seniorinnen und Senioren.

Rechnen Sie 2021 mit Publikum bei großen Sportveranstaltungen?

Also deutsche Meisterschaften im Straßenradsport (18. bis 20. Juni, Anm. d. Red.) und eine Hallenrad-WM (29. bis 31. Oktober) sind möglich, aber sicher nicht mit Tausenden Zuschauern an der Theodor-Heuss-Straße im Zieleinlauf. Man muss sich Formate überlegen, wie die Meisterschaften stattfinden können – das Jedermann-Rennen zum Beispiel mit zeitlich versetzten Starts und reduzierter Teilnehmerzahl.

„Eine Turn-WM ist nicht Aufgabe der Sportregion“

Herr Klopfer, als die Sportregion vor 15 Jahren eine professionelle Geschäftsstelle bekam, ging es vielen Regionalpolitikern darum, genau solche Veranstaltungen in den Ballungsraum zu holen . . .

Das hat sich geändert. Die zentralen Akteure im Spitzensport sind die Landeshauptstadt Stuttgart und die jeweiligen Sportfachverbände. Um eine Turn-WM nach Stuttgart zu holen, brauchte es nicht nur ideell Power, sondern da geht es auch um richtig viel Geld. Das ist nicht die Aufgabe der Sportregion mit einem Geschäftsführer, einer Mitarbeiterin und studentischen Hilfskräften.

Zur Tischtennis-EM 2009 hieß es, die sei vor allem nach Stuttgart und nicht nach Bremen gekommen, weil es ein nachhaltiges Begleitprogramm an Schulen gab, an dem die Sportregion beteiligt war . . .

Wir sind jedes Jahr bei einem oder zwei Themen involviert, die in diese Richtung gehen. Wir haben etwa im Organisationskomitee der Handball-WM der Frauen 2017 in Bietigheim-Bissingen mitgearbeitet oder an der Organisation des Begleitprogramms zur Turn-WM 2018 auf dem Schlossplatz. Wir sind ein gefragter Akteur, aber unsere Hauptaufgabe sehen wir woanders.

„Wir haben hier mehr als 100 Bundesligisten“

Und zwar?

Wir wollen die Vielfalt im Sport deutlich machen. Wir haben hier mehr als 100 Bundesligisten, da sind Stuttgart und der VfB wichtig, aber eben auch Ringen in Schorndorf oder Tanzen in Ludwigsburg. Da geht es um Zusammenarbeit, um Talentförderung und darum, Impulse zu setzen.

Wo ist Ihnen das gelungen?

Zum Beispiel durch das Jahresmotto, unter das wir seit zehn Jahren unsere Arbeit stellen. 2014 etwa ist es uns gelungen, mit „Handicap macht Schule“ an verschiedenen Schulen das Thema Inklusion Behinderter nach vorne zu bringen. Das war für viele eine tolle Erfahrung. Zum Jubiläum geht es nun um die „Vielfalt des Sports“ in der Region. Aber wir fördern auch Talente, die es nach Olympia schaffen können, mit einem Stipendium. Das ist schon achtmal gelungen.

Was können Sie zum Jubiläum, das sich am 14. Mai jährt, auf die Beine stellen?

Ich bin skeptisch, was Präsenzveranstaltungen angeht. Aber wir werden auf unserer Homepage und in den sozialen Medien die ganze Vielfalt des Sports darstellen und tun das auch jetzt schon.

Ende des Jahres stehen Vorstandswahlen an. Sie werden dann zehn Jahre Vorsitzender sein, wie geht es weiter?

Mir macht dieses Ehrenamt im Sport viel Freude, sonst wäre ich nicht schon so lange Vorsitzender. Wenn der Vorstand dann mit mir weitermachen will, warum nicht?

Zur Person: Matthias Klopfer

Er wird am 14. März in Stuttgart geboren. Im Gymnasium in Renningen (Kreis Böblingen) wird er Schülersprecher. 1989 beginnt er sein Studium der Politik- und Sportwissenschaft an der Universität Stuttgart. Von 2001 an ist er Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion. 2006 wird Matthias Klopfer Oberbürgermeister von Schorndorf. Er lebt mit seiner Ehefrau und Sohn am Rande der Schorndorfer Innenstadt.

Sportregion Stuttgart

Die Sportregion wird am 14. Mai im Stuttgarter Rathaus gegründet. Mit 60 Mitgliedern gestartet, sind es heute 100: 54 Städte und Gemeinden, 38 Sportfachverbände, sechs Sportkreise, der Olympiastützpunkt und der Verband Region Stuttgart. Vorsitzende waren vom Start bis 2002 der Ludwigsburger OB Christof Eichert, danach bis 2012 der Sindelfinger OB Bernd Vöhringer und seitdem OB Matthias Klopfer.

Umstrittene Geschäftsstelle

2006 erhält der Verein von der Regionalversammlung Geld für eine Geschäftsstelle, zunächst 250 000 Euro, 2017 dann 300 000 Euro und ab dem nächsten Jahr 330 000 Euro. Auf den ehrenamtlichen Gründungsgeschäftsführer Gunter H. Fahrion, heute noch einer von zwei Stellvertretern Klopfers, folgt der ehemalige Weltklassesprinter Marc-Oliver Kochan, den es nur elf Monate später zum Sportartikelhersteller Nike zieht. 2008 folgt ihm der Sportjournalist Michael Bofinger nach, dem die Regionalpolitiker bis heute eine gute Arbeit bescheinigen. Der Professionalisierung waren heiße Diskussionen vorausgegangen, da Freie Wähler, Grüne und FDP eine Doppelstruktur mit der Veranstaltungsgesellschaft in.Stuttgart witterten. Die Mehrheit von CDU und SPD setzte sich im November 2005 mit 18:11 Stimmen durch. Im vergangenen Jahr fiel der Beschluss zur Finanzierung der Sportregion über gleich fünf Jahre einstimmig.

Geförderte Olympioniken

Die Sportregion fördert Nachwuchssportler mit Aussicht auf eine Teilnahme an Olympischen Spielen mit Stipendien. Zu den Spielen geschafft haben es bisher Sprinter Tobias Unger (Athen 2004), Judoka Michaela Baschin sowie die Wasserballer Florian Naroska und Heiko Nossek (Peking 2008), Bogenschütze Camilo Mayr und Rollstuhlbasketballerin Maria Kühn (Goldmedaille) 2012 in London sowie Turnerin Tabea Alt und Paralympics-Kugelstoßer Niko Kappel (Gold) 2016 in Rio de Janeiro.

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