Ökonomen haben damals vergeblich vor den Folgen des Tauschverhältnisses 1:1 gewarnt. Die DDR-Wirtschaft brach ein. Helmut Kohls politisches Kalkül ging aber auf.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Stuttgart - Berlin Alexanderplatz, kurz vor Mitternacht: Tausende DDR-Bürger drängen sich voller Ungeduld vor der Filiale der Deutschen Bank. Punkt 0 Uhr öffnen die Schalter, das erste Westgeld wird ausgegeben. Ein historischer Moment, eine Zäsur. Mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion am 1. Juli 1990 endet die sozialistische Plan- und Kommandowirtschaft der DDR. Der bankrotte SED-Staat startet kaum vorbereitet ins Wagnis der freien Marktwirtschaft.

 

In den ersten Wochen sehen die meisten Ostdeutschen nur die positiven Seiten dieses radikalen, überstürzten Systemwandels. Die Wirtschaftsunion garantiert Privateigentum und Wettbewerb, freien Güter- und Kapitalverkehr nach westdeutschem Muster. Die sofortige Währungsunion bringt vor allem eines: die harte D-Mark statt der schwachen Ostmark – und damit die Chance, endlich begehrte Westwaren kaufen zu können, nach denen sich viele wegen der schlechten Versorgungslage in der DDR so lange sehnten.

Am Anfang steht ein exzessiver Kaufrausch

So drängeln sich in dieser Nacht noch stundenlang die Menschen vor den Bankschaltern am Alex, erst nach Stunden beruhigt sich die Lage. Der Geldumtausch ist ein beispielloser Kraftakt. Rund 25 Milliarden DM werden mit Geldtransportern und Blaulicht in den Osten geschafft, 6000 Tonnen Geldscheine und 500 Tonnen Münzen an Sparkassen und Bankfilialen zwischen Rostock und Chemnitz verteilt. Allein am ersten Tag zahlen die Banken 3,4 Milliarden DM aus.

Was folgt, ist ein exzessiver Kaufrausch. Autos, Möbel, Unterhaltungselektronik, Haushaltsgeräte, Reisen – die DDR-Bürger stillen ihren riesigen Nachholbedarf. Für Markenhersteller aus dem Westen wird die Einheit zum Riesengeschäft, man feiert Absatzrekorde und Rekordgewinne. Die meisten Ostprodukte aber, vom Trabant bis zur Waschmaschine, sind fortan so gut wie unverkäuflich, denn auch deren Preise sind nun in harter D-Mark zu bezahlen, obwohl Technik und Design oft veraltet sind.

Mehr als eine Billion Euro flossen von West nach Ost

Für viele DDR-Unternehmen bedeutet die Schocktherapie der Währungsunion das schnelle Ende. Der Absatz bricht in kurzer Zeit weg, auch die Exporte in den zerbröselnden Ostblock kollabieren. Zeit zur Anpassung des Sortiments, zur Entwicklung wettbewerbsfähiger Produkte bleibt kaum. Trotzdem sollen Beschäftigte, Lieferanten und Versorger nun in harter Währung bezahlt werden. Das kann nicht funktionieren.

In kürzester Zeit stürzt die DDR in eine schwere Wirtschaftskrise, Betriebe brechen reihenweise zusammen, die Arbeitslosenzahlen explodieren. Ein Absturz, von dem sich die ostdeutsche Wirtschaft nicht mehr erholt. Weite Regionen zwischen Elbe und Oder sind bis heute deindustrialisiert und aus eigener Kraft nicht überlebensfähig. Die Folge: hohe Transferzahlungen aus dem Westen, die sich inzwischen auf mehr als eine Billion Euro netto summieren.

Die Übergangsregierung stand der raschen Einheit im Weg

Wie konnte es so weit kommen? Unstrittig ist, dass die DDR nach 40 Jahren Sozialismus ökonomisch am Ende war. Hohe Verschuldung, geringe Produktivität, viel zu wenige Investitionen, riesige Umweltschäden, desolate Infrastruktur – eine Bilanz des Grauens. Millionen Ostdeutsche wollten nur noch weg, saßen auf gepackten Koffern. „Kommt die D-Mark nicht nach hier, gehen wir zu ihr“, riefen Hunderttausende auf den Montagsdemonstrationen und forderten rasche Verbesserungen. Am Runden Tisch in Ostberlin berieten die Reformer über einen dritten Weg zwischen Plan- und Marktwirtschaft.

In Bonn rätselte die Regierung ebenfalls über den richtigen Weg zur deutschen Einheit. Für Kanzler Helmut Kohl (CDU) stand allein das politische Ziel fest: die möglichst rasche und vor allem dauerhafte Wiedervereinigung beider deutscher Staaten. Dafür galt es neben den Besatzungsmächten auch die DDR-Bevölkerung zu gewinnen. Im März sollte die Volkskammer in Ostberlin neu gewählt werden. Das bot die einmalige Chance, die dortige von SED-Funktionären dominierte Übergangsregierung loszuwerden, die der raschen Einheit skeptisch gegenüberstand.

Im Wahlkampf lockte der Kanzler mit der D-Mark

So wurde die D-Mark zum Wahlkampfschlager. Anfang Februar 1990 verkündete Kohl, eine rasche Einführung der Westwährung sei gewünscht, gleich darauf bot die Bundesregierung der DDR offiziell die zügige Währungsunion an – entgegen dem Ratschlag von Experten, die vor dem Zusammenbruch der Ostwirtschaft, enormen Folgekosten und einem ökonomischen Desaster warnten, wenn die wenig wettbewerbsfähigen DDR-Kombinate einem solchen Aufwertungsschock ausgesetzt werden.

Dass auch die Regierung diese Risiken kannte, räumte Jahre später der damals zuständige Bonner Referatsleiter und spätere Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin ein, der den Fahrplan zur Währungsunion in wenigen Tagen entwarf. Dreistellige Milliardenkosten pro Jahr für die Modernisierung der DDR-Volkswirtschaft waren demnach einkalkuliert. Man hoffte aber leichtfertig, dass sich der Aufwand durch Wachstum und privates Kapital quasi von selbst finanzieren würde – ein fataler Irrtum.

Das Tauschverhältnis pendelte sich bei 4:1 ein

Das politische Kalkül von Helmut Kohl dagegen ging auf. Die CDU gewann mit großer Mehrheit die Wahlen in der DDR. Der Parteivorsitzende persönlich versprach bei Wahlkampfauftritten im Osten nicht nur die D-Mark, sondern auch die 1:1-Umstellung. Sofort setzten massive Spekulationen mit der Ostmark ein, für die nach dem Fall der Mauer zeitweise gerade noch zehn Westpfennige bezahlt wurden. Später pendelte sich das Umtauschverhältnis von Ost- zu Westmark bei 4:1 ein – Spiegelbild der unterschiedlichen Leistungskraft beider Volkswirtschaften.

Vergeblich warnte daher auch die Bundesbank vor den Folgen einer so krassen Überbewertung der Ostmark. Löhne, Gehälter, Renten, Mieten und Pachten wurden dennoch 1:1 umgestellt, ebenso Sparguthaben bis zu 2000 Euro (Kinder bis 14 Jahre), 4000 Euro (bis 59 Jahre) und 6000 Euro (Rentner). Nur Beträge darüber wurden 2:1 umgestellt, ebenso Schulden. So regelt es der Staatsvertrag, der am 18. Mai 1990 in Bonn unterzeichnet wurde. Vor dem Stichtag eröffneten deshalb noch Millionen DDR-Bürger neue Konten und verteilten ihre Guthaben.

Ein Fest für Schieber und Spekulanten

Die Währungsunion war auch ein Fest für Strohmänner, Devisenschieber und Spekulanten. Jeder DDR-Bürger musste bei der Umstellung seines Kontos zwar versichern, dass das Geld nicht aus illegalen Transaktionen stammt, aber Kontrollen gab es kaum. Wer sich beim Besuch im Westen billige Ostwährung besorgte und trotz Verbots in die DDR einschleuste, konnte sich nach dem 1. Juli eine goldene Nase verdienen. Oft halfen Westdeutsche bei den illegalen Schiebereien mit.

Solche Kollateralschäden der Währungsunion sind heute fast vergessen angesichts der Billionensummen, die der Aufbau Ost und die deutsche Einheit verschlungen hat. Noch bis 2019 läuft der Solidarpakt II, der Ostdeutschland jährlich weitere hohe Milliardentransfers sichert. Auch danach jedoch ist zwischen Elbe und Oder kein selbsttragender Aufschwung in Sicht. Für die politisch gewollte rasche Einheit zahlen die Bürger in Ost und West bis heute einen hohen Preis.