Der einstige keltische Fürstensitz Heuneburg an der Donau gilt als älteste Stadt nördlich der Alpen. Forscher vermuten, dass es sich bei der Siedlung um die vom griechischen Geschichtsschreiber Herodot im 5. Jahrhundert v. Chr. erwähnte sagenumwobene Stadt Pyrene handeln könnte. Eine Spurensuche.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Sie waren Berserker, die in der Schlacht tollkühn über ihre Feinde herfielen und den Besiegten die Köpfe abschlugen. Die kriegerischen Kelten waren aber auch geniale Handwerker, die ihre Toten mit reichen Grabbeigaben für die Reise ins Jenseits ausstatteten.

 

Heuneburg: Stadt, Fürstensitz, Handelszentrum

Vom 7. bis zum 1. Jahrhundert v. Chr. waren die „Celtae“ oder „Galli“, wie die antiken Römer sie nannten, die vorherrschende Bevölkerungsgruppe der Eisenzeit in Europa. Gerade im Südwesten Deutschlands ist die keltische Kultur ein Highlight. Es gibt Tausende Grabhügel und eine unglaublich reiche Fundlandschaft. Dazu kommen bedeutende Fürstensitze wie die Heuneburg nahe Herbertingen im Landkreis Sigmaringen.

Diese Ansiedlung gilt als die älteste frühstädtische Siedlung nördlich der Alpen. Bis zu 5000 Menschen lebten hier auf einem Gebiet von rund 100 Hektar. In den Anfängen existierte nur eine Ansammlung von Bauernhöfen, die zum Schutz nah aneinander gebaut wurden. Danach entstanden eine Burg und ein stadtähnliches Zentrum. Die Heuneburg wurde zu einem wichtigen wirtschaftlichen und politischen Machtzentrum, das Handelsverbindungen bis nach Italien und Griechenland hatte.

3D-Visualisierung der Heuneburg und der keltischen Siedlung. Foto: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart/Markus Steffen/David Maas

War die Heuneburg das sagenumwobene Pyrene?

Die ältesten Quellen über die Kelten finden sich in den berühmten „Historien“ (griechisch: Historíai), dem einzig erhaltenen Geschichtswerk des griechischen Schriftstellers Herodot von Halikarnassos ( 484-425 v. Chr.). Herodot lokalisiert in dem um 430 v. Chr. entstandenen Werk aus neun Büchern eine Stadt namens Pyrene im Land der Kelten am Ursprung der Donau.

Damit meinte der Geschichtsschreiber nach Einschätzung des Stuttgarter Landesarchäologen Dirk Krause vermutlich die Heuneburg. Der Antikenforscher ist langjähriger Leiter der Forschungen an der Heuneburg, die eine der bedeutendsten und am besten erforschten Fundstellen aus keltischer Zeit in Mitteleuropa darstellt.

Die Heuneburg ist strategisch günstig auf einem Bergsporn auf 605 Metern gelegen. Zum Donauufer hin fällt der Hang steil ab. Foto: Landesamt für Denkmalpflege/Faber Courtial

Die Anlage gliedert sich in die Kernburg in Spornlage über dem Donautal, deren Vorburg und die Außensiedlung, die sich über 100 Hektar auf der Terrasse über dem Tal erstreckt. Foto: Landesamt für Denkmalpflege/Faber Courtial

Die älteste nachgewiesene Besiedlung fand im 15. bis 13. Jahrhundert v. Chr. statt, als der Bergsporn durch Anlage von mächtigen Wall- und Grabenanlagen so umgeformt wurde, dass er für eine noch bessere Verteidigung geeignet war. Foto: Landesamt für Denkmalpflege/Faber Courtial

Besonders herausragend ist die hallstattzeitliche befestigte Siedlung. Um 620 v. Chr. entstand hier ein so genannter Fürstensitz der Hallstattkultur. Foto: Landesamt für Denkmalpflege/Faber Courtial

Herodot und Pyrene

Herodot schreibt im Zweiten Buch/Abschnitt 33 seiner „Historien“:

„Es fließt der Nil nämlich aus Libyen und schneidet Libyen mitten durch. Und wie ich jedenfalls vermute – wobei ich von Bekanntem auf Unbekanntes schließe –, kommt er aus den entsprechenden Entfernungen wie der Istros (die Donau).

Der Istros entspringt bei den Kelten und der Stadt Pyrene, strömt mitten durch Europa hindurch und teilt es. Die Kelten aber sind außerhalb der Säulen des Herakles, Nachbarn der Kynesier, die als letzte von den Völkern Europas gegen Westen wohnen.

Es mündet aber der Istros ins Meer, indem er durch ganz Europa in den Pontos Euxeinos fließt, da, wo Istria liegt, eine Kolonie der Milesier.“

Pyrene ist eine vom griechischen Geschichtsschreiber Herodot im 5. Jahrhundert v. Chr. erwähnte keltische Stadt, die am Ursprung der Donau gelegen haben soll. Foto: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart/Faber Courtial

Pyrene wird heute mit der Heuneburg zusammen mit der auf der Gemarkung von Langenenslingen liegenden Alten Burg identifiziert. Foto: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart/Faber Courtial

Andere Annahmen gehen davon aus, dass Pyrene in unmittelbarer Nähe des Donauzusammenflusses im heutigen Donaueschinger Teilort Pfohren gelegen haben könnte. Foto: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart/Faber Courtial

Aufstieg und Fall des keltischen Fürstensitzes

Die keltischen Kulturen entstanden im 7. und 6. Jahrhundert v. Chr. im Raum des heutigen Burgund und Württemberg. Von hier verbreiteten sie sich über nahezu ganz Europa. Für die Geschichte Südwestdeutschlands waren sie bis ins 1. Jahrhundert v. Chr. entscheidend.

Um 470 v. Chr. wurde die Heuneburg durch einen Brand zerstört. In den folgenden Jahrhunderten wurde auf dem Gebiet keine andere Stadt errichtet. Dadurch wurden die keltischen Überreste nicht überbaut und zerstört. Für Keltenforscher wie Dirk Krause ist die Heuneburg deshalb eine unschätzbare Fundkammer. Seit 1950 wird bei Herbertingen nach den Zeugnissen der keltischen Kultur gegraben.

Grabkammer der Kelten entdeckt

Unweit der einst mächtigen Wallanlagen haben Archäologen jüngst eine vollständig erhaltene hölzerne Grabkammer entdeckt und freigelegt. Sie ist rund 2600 Jahre alt, vollständig erhalten und liegt im Zentrum eines riesigen Grabhügels mit einem Durchmesser von 65 Metern, wie Krause berichtet.

Noch unklar ist, ob ein Mann oder eine Frau in dem Grab bestattet wurden. Die Archäologen fanden darin einige gut erhaltene Knochen eines menschlichen Skeletts. Sie stammen von einem vermutlich 15 bis 20 Jahre alten und zwischen 160 und 168 Zentimeter großen Mann. Ob es der Tote aus dem Kammergrab ist, steht aber noch nicht fest.

Dieses männliche Skelett fand sich in einer höheren Erdschicht. Foto: Landesamt für Denkmalpflege/Quentin Sueur

Die Grabkammer ist leer. Grabräuber verschafften sich Krause zufolge mit Gräbertunneln Zutritt und plünderten das Grab aus. „Die Grabräuber dürften relativ schnell nach dem Bau eingedrungen sein. Sie haben sehr gründlich geräumt.“

Das Holz ist besonders gut konserviert

Die Archäologen stießen nur knapp 70 Zentimeter unter der Oberfläche auf die massiven Eichenhölzer der Grabkammer. Das sei einmalig, weil sich Holz im Boden unter normalen Bedingungen nur wenige Jahre bis Jahrzehnte halte, erläutert Krause. Durch die besonderen hydrologischen Bedingungen am Ort sei die Grabkammer sehr gut erhalten.

Durch den Mangel an Sauerstoff im Boden hätten die Mikroorganismen keine Chance gehabt. Früher war die Gegend, in der jetzt der Fund geborgen wurde, ein Moor. Dies zeigt sich auch an der Farbe des Bodens: Er ist schwarz.

Eine derart komplett erhaltene keltische Grabkammer ist bisher erst einmal in Deutschland entdeckt worden – im Jahr 1890 bei Villingen im Schwarzwald. Sie ist jedoch unzureichend dokumentiert und erst später teilweise konserviert worden.

Die Grabkammer soll nun weiter untersucht werden. Zuerst muss die Feuchtigkeit aus den Holzzellen verdrängt werden. Dann wird das Holz gefriergetrocknet. Diese Prozedur wird circa drei Jahre dauern.

Frühkeltische Grabkammern

Immer wieder stoßen Spatenforscher rund um die Heuneburg auf Relikte aus keltischer Zeit. 2020 wurde bekannt, dass eine frühkeltische Prunkgrabkammer aus dem sechsten Jahrhundert v. Chr. auf einem Acker nahe der Heuneburg entdeckt worden war.

2010 wurde eine rund 2600 Jahre alte Grabkammer, in der eine frühkeltische Würdenträgerin inklusive kostbarer Beigaben ihre letzte Ruhestätte fand und die bis zu ihrer Auffindung von Grabräubern vollkommen unbehelligt blieb, als Ganzes nahe der Heuneburg aus dem Boden gehoben.

Diorama der Heuneburg im Keltenmuseum Heuneburg in Herbertingen. Foto: Keltenmuseum Heuneburg/Anja Brauner

Bis zu 5000 Menschen lebten auf einem Gebiet von 100 Hektar. Foto: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart/Faber Courtial

Keltische Baumeister planierten eine Bergkuppe, um darauf eine Kultanlage zu errichten. Foto: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart/Samson Götze

Zentrum keltischer Kultur

Die Heuneburg wurde durch eine nördlich der Alpen einmalige Lehmziegelmauer geschützt. Die mittelmeerische Herkunft dieser im Freilichtmuseum Heuneburg zum Teil rekonstruierten Wehranlage lässt auf griechische Baumeister schließen.

Irgendwann im sechsten Jahrhundert wurde die Ansiedlung erobert, eingeäschert und wieder aufgebaut. Um 470 v. Chr. wurde die Heuneburg von einer Feuerbrunst verwüstet. Von ihren Bewohnern verlassen, verfiel sie.

In den Anfängen war es nur eine Ansammlung von Bauernhöfen, die zum Schutz nah aneinander gebaut wurden. Dann entstanden eine Burg und ein stadtähnliches Zentrum. Foto: dpa/Patrick Seeger/Faber Courtial

Der Fürstensitz wurde zu einem wichtigen wirtschaftlichen und politischen Machtzentrum, das Handelsverbindungen bis ans Mittelmeer hatte. Foto: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart/Faber Courtial

Um 470 v. Chr. wurde die Siedlung durch einen Brand weitgehend zerstört. Foto: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart/Faber Courtial

Keltische Kulturgemeinschaft

Die keltische Kulturgemeinschaft wurde geprägt durch eine eigene indogermanische Sprache, ähnliche materielle Kultur, Gebräuche, Glaubensvorstellungen und Lebensweise. Aus den bronzezeitlichen Kulturen Mitteleuropas bildeten sich die beiden klassischen keltischen Epochen der Hallstatt- (650-70 v. Chr.) und der La-Tène-Kultur (470-50 v. Chr.) heraus.

Die keltische Gesellschaft war weder zentral organisiert, noch gab es gemeinsame Könige. Neben Häuptlingen und Fürsten beherrschten Druiden als geistige und spirituelle Führer die einzelnen Stämme. Sie waren zugleich Priester und Mediziner, Lehrer und Richter.

Für Keltenforscher ist die Heuneburg eine unschätzbare Fundkammer, da sie in späteren Jahrhunderten nicht überbaut wurde. Foto: dpa/Patrick Seeger/Faber Courtial

Für die Geschichte Südwestdeutschlands war die keltische Kultur bis ins 1. Jahrhundert v. Chr. entscheidend.. Foto: Imago/Imagebroker

Das Keltenmuseum Heuneburg gewährt einmalige Einblick in das antike Leben im heutigen Süddeutschland. Foto: Imago/Imagebroker

Die Kelten besaßen ein hoch entwickeltes Wirtschaftsleben. Die aufgefundenen Gräber zeugen vom Reichtum ihrer Oberschicht. Die Stämme waren berühmt für ihre Metallarbeiten, Schmuckstücke aus Silber und Gold sowie ihre Waffenproduktion. Das Eisenerz bauten sie in bis zu 100 Meter tiefen Bergwerken ab.

Fürstensitze, Grabhügel, Ringwälle

Vom 7. bis zum 1. Jahrhundert v. Chr. waren die Kelten im Südwesten Deutschlands die vorherrschende Bevölkerungsgruppe. Gerade in Baden-Württemberg ist die keltische Kultur ein Highlight. Es gibt Tausende Grabhügel sowie eine reichhaltige Fundlandschaft.

Rekonstruiertes Hügelgrab: Mit einer Höhe von etwa sechs Metern und einem Durchmesser von 60 Metern zählt es zu den größten seiner Art. Um 550 v. Chr. wurde hier ein Fürst der Hallstattkultur beigesetzt. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Neben der Heuneburg gab es Fürstensitze auf dem Hohenasperg und dem Berg Ipf nahe des Nördlinger Ries bei Bopfingen. Daneben entdeckten Archäologen weitere unzählige Fürstengräber und Grabhügel, Ringwälle und Hunderte Viereckschanzen – rechteckige Areale mit Wall und Graben, die auf eine Besiedlung schließen lassen – sowie Überreste von Ansiedlungen. Allein im Umkreis von zehn Kilometern um den Hohenasperg gab es nach Angaben von Biel rund 400 keltische Siedlungen.

Cäsar beendete große Zeit der Kelten

An die Stelle der Fürstensitze traten ab der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. die Oppida – große befestigte Siedlungen, die von bis zu 10.000 Menschen bewohnt wurden.

Keltische Krieger drangen in dieser Zeit auf ihren Beutezügen bis weit nach Süden vor: 387 v. Chr. plünderten sie Rom, 279 v. Chr. belagerten sie das griechische Heiligtum Delphi. Sie kämpften als Söldner in den Kriegen Karthagos gegen die römische Republik und fochten für griechische Könige und Usurpatoren.

Mit der Eroberung Galliens durch den römischen Feldherrn Julius Cäsar 57 bis 53 v. Chr. endete die große Zeit der Kelten. Die keltische und römische Kultur verschmolzen, bis sie ab dem dritten und vierten Jahrhundert n. Chr. im Zuge der Völkerwanderung von germanischen Stämmen wie den Alemannen und Franken verdrängt wurde (mit dpa-Agenturmaterial).