Mit 55 000 verkauften Karten vermelden die Jazz Open zum 30. Geburtstag einen Besucherrekord. Fans sagen, für sie beginnen die schönsten Tage des Jahres. Zur Eröffnung passt alles: die Musik, das Wetter, das „Straßenfest“ vor dem Alten Schloss.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

In den USA geht gerade ein Geschwister-Duo auf einer überschäumenden Soul-Pop-Welle durch die Decke: Clyde und Gracie Lawrence sind wie auch ihre sechs Bandmitglieder so sehr mit Energie in wilder Leidenschaft geladen, dass man sich nicht wundern würde, wenn es gleich Funken schlägt im altehrwürdigen Arkadenhof, wo ein überwiegend junges Publikum ausflippt vor Begeisterung.

 

Wer bisher dachte, dass Jazz nur was für alte weiße Männer ist, sieht sich getäuscht. Der Fan-Nachwuchs der Jazz Open ist gesichert, wie sich bei der New Yorker Band Lawrence zeigt. Nass geschwitzt sind die Musiker wie die Zuschauer. PromoterJürgen Schlensog hatte die Band vor anderthalb Jahren im Wizemann gesehen, noch bevor sie international so hoch gingen wie heute – und sie gleich fürs Alte Schloss, für eine der schönsten Konzertbühnen der Stadt, gebucht. Als die Geschwister ihm sagten, sie wollten am Tag nach ihrem Stuttgarter Auftritt in Gelsenkirchen Superstar Taylor Swift sehen, erwiderte der Festivalchef nur: „Geht dort auf die Bühne – dann haben die Leute die bessere Musik als von Taylor.“

Vor dem Alten Schloss herrscht ein Treiben wie bei einem Straßenfest /ubo

Die Jazz Open sind aber noch viel mehr als starke Bands. Hans-Jochen Arnold, Chef einer Glasveredler-Firma, hat hier viele Freunde kennen gelernt. Die Liebe zur Musik verbindet. Der Mann aus dem Remstal ist bei den Jazz Open seit 30 Jahren dabei. Kein Jahr hat er ausgelassen. 1994 hat das Festival klein und puristisch auf einer Freifläche vor der Liederhalle begonnen und sich seitdem immer weiter für neue Musikrichtungen, gern mit Popbezug, geöffnet – ganz nach dem Motto „Be Jazz, be Open“.

„Das Festival hat sich sensationell entwickelt“, schwärmt Arnold, „und besitzt heute Weltniveau.“ Am Anfang kaufte er sich als Student Stehplatzkarten. Heute gönnt er sich den Dauerpass für die Logen. Die zwölf Jazz-Open-Tage sind für ihn „wie Urlaub“ und „die beste Zeit im Jahr“. In den Logen trifft er sich seit vielen Jahren mit einer großen Clique der Musikfans. „Da sind tolle Freundschaften entstanden“, sagt der Unternehmer, „wir treffen uns auch abseits des Festivals immer wieder.“

Neuer Caterer bei den Jazz Open

Viel Lob gibt’s von den Logenstammgästen für den neuen Caterer Milos Vujicic, den Patron des Sternerestaurants auf Schloss Filseck, der in Stuttgart auch das Plenum im Landtag und den Ratskeller führt. Der Nachfolger von Michael Wilhelmer bei den Jazz Open ist froh, dass er nicht Gastronom der EM-Fanzone geworden ist – auch ihn hatte man angefragt. „Die Veranstaltungsgesellschaft in.Stuttgart hat zwar dann doch – anders als zunächst geplant – davon abgesehen, selbst an spielfreien Tagen Standmiete zu verlangen, aber damit konnte man die hohen Gebühren der Spieltage nicht reinholen“, sagt er. Seine Kollegen haben bei der Uefa-Euro, wie sie verärgert berichten, „mittlere fünfstellige Verluste“ gemacht.

Lawrence im Alten Schloss. /Reiner Pfisterer

Wer sah, wie gähnend leer die Bewirtungsstände bei der EM auf dem Schillerplatz waren, staunt nicht schlecht, wie’ s vor dem Alten Schloss am Eröffnungstag der Jazz Open brummt. Gastronom Milos Vujicic hat Liegestühle aufgestellt sowie einen Grill, dem gute Düfte entströmen. Damit lockt er nicht nur Festivalbesucher an, sondern auch „normale“ Passanten. „Das ist ein anderes Publikum als bei der EM“, sagt er – und das stellt sich in der langen Schlange fürs Bier an, das wie in den Fanzonen 6,50 Euro kostet.

Stuttgart erlebt nach der EM, bei der bereits „die ganze Stadt“ eine Partyzone war, bei endlich schönem Sommerwetter eine Rekordzahl an Großevents, Festen aller Art und Höhepunkten. Auch wenn die Konkurrenz groß ist – nach Peter Maffay und AC/DC spielt Pink am Freitag in der MHP-Arena – leiden die Jazz Open nicht darunter und sind so gut wie ausverkauft. Allein über die Eintrittskarten trägt sich das Festival nicht. Eine öffentliche Förderung gibt es für die Bezahlkonzerte nicht, nur für Gratis-Angebote. Schlensog beobachtet mit Sorge, dass europaweit Indiefestivals wegen hoher Kosten aufgeben müssen. Die Jazz Open seien nicht in Gefahr. „Wir haben über die Jahre ein starkes Sponsoring aufgebaut“, sagt er, „sonst wären unsere Zahlen auch nicht mehr schwarz.“ Auch die Clique der Logenstammgäste hilft mit, dass es so schön immer weitergeht.

Ein junges Publikum bei den Jazz Open /Reiner Pfisterer

Blicken wir weiter nach Cannstatt: Im Stadion gab’s fünf Jahre lang keine Konzerte mehr. US-Sängerin Pink war die letzte, die 2019 vor dem Umbau in der Arena aufgetreten ist – und sie ist die erste, die dort am Freitag wieder singt. Einer der 40 000 Fans ist Bastian Pfeifer. Seiner Frau hat der Leiter einer Kochschule einen Platz im Front-of-Stage-Bereich zu Weihnachten geschenkt (kostet 224 Euro). „Meine Frau liebt Pinks Stimme“, sagt Pfeifer, „sie verbindet mit fast jedem Lied eine Situation aus ihrem Leben und sie mag die kraftvolle, laute und starke Persönlichkeit, die sie repräsentiert.“ Stuttgarts Konzertsommer ist einfach genial!