Lang ist's her, dass Thermoselect Geld an die Südwest-CDU gespendet haben soll. Guido Wolf und Gerhard Mayer-Vorfelder wollen von nichts gewusst haben.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - An seine Zeit im Staatsministerium kann sich Guido Wolf (CDU) auch nach 15 Jahren noch gut erinnern. Im Gedächtnis geblieben seien ihm "brisante Vorgänge" wie die Diskussion, ob der Pfingstmontag als Feiertag gestrichen werden solle, berichtet der heutige Landtagspräsident. "Nicht erinnerlich" ist ihm dagegen ein Vorgang, dessen Brisanz erst vor wenigen Monaten offenbar wurde: eine Spende der Müllentsorgungsfirma Thermoselect von damals 100.000 Mark an die Südwest-CDU.

 

Als Referatsleiter, der für Kontakte zur Partei und zur Landtagsfraktion zuständig war, sei er damit "nicht befasst gewesen", sagte Wolf der Stuttgarter Zeitung. Auch sein damaliger Abteilungsleiter Wulf Schönbohm habe ihm auf aktuelle Nachfrage hin bestätigt, dass die Grundsatzabteilung damals "nicht eingebunden" gewesen sei. Er könne sich an "überhaupt gar nichts erinnern", beschied der Pensionär Schönbohm die StZ-Anfrage nach der auffäligen Großspende.

Als Bürgermeister oder Landrat, sagt der Parlamentschef Wolf, sei er ebenfalls "zu keinem Zeitpunkt mit dem Thema Thermoselect befasst" gewesen. Demnach erfuhr er erst aus der Zeitung von einem frappierenden zeitlichen Zusammenhang zwischen der Spende und dem Einstieg des EnBW-Vorläufers Badenwerk beim Unternehmen des Multimillionärs Günter Kiss.

Thermoselect, das Millionengrab

Am 5. Dezember 1995 wurde die 25,1-Prozent-Beteiligung, auf das Badenwerk Monate zuvor eine Anzahlung von 50 Millionen Mark geleistet hatte, vertraglich besiegelt. Einen Tag vorher, am 4. Dezember, erteilte Kiss einer Schweizer Bank den Überweisungsauftrag an die Landes-CDU. Beides wurde in einem gemeinsamen internen Vermerk festgehalten. Doch von einem inhaltlichen Zusammenhang wollen weder Kiss noch der damalige Badenwerk-Chef Gerhard Goll irgendetwas wissen.

Dabei hätte es für Thermoselect durchaus einen Grund gegeben, der CDU etwas Gutes zu tun: Der damalige Parteivorsitzende und Ministerpräsident Erwin Teufel sah das Engagement des Badenwerks nämlich höchst kritisch. Die Karlsruher würden dabei "viele Millionen DM verlieren", prophezeite Teufel in einem Telefonat, über das Goll einige Monate vor Vertragsschluss und Spende ausweislich des Protokolls im Aufsichtsrat berichtete. Seine Befürchtung sollte sich bewahrheiten: die angebliche Müllwundertechnik erwies sich für den Badenwerk-Nachfolger EnBW später als Millionengrab. Beim Ausstieg beklagte sie einen Verlust von 400 Millionen Euro, bis heute wird um hohe Beträge prozessiert.

Sollte die Spende etwa helfen, die Bedenken des Partei- und Regierungschefs zu überwinden? Dann könnte ein Verstoß gegen das Parteiengesetz vorliegen, wonach keine Geldgaben angenommen werden dürfen, die in Erwartung oder als Gegenleistung eines bestimmten Vorteils gewährt wurden. Zur Aufklärung kann auch Gerhard Mayer-Vorfelder, damals CDU-Finanzminister und Aufsichtsratschef des mehrheitlich landeseigenen Badenwerks, nichts beitragen.

An Diskussionen im Kontrollgremium über Thermoselect habe er keine "konkrete Erinnerung", teilte der 78-Jährige mit; Unterlagen besitze er nicht mehr. "Von einer Spende an die CDU habe ich nie etwas gehört", ist sich Mayer-Vorfelder sicher. Parteispenden seien "immer ausschließlich Angelegenheit des Schatzmeisters und des Generalsekretärs" der Partei gewesen.

An der "parteienrechtlichen Rechtmäßigkeit" besteht kein Zweifel

Am damaligen Schatzmeister Wolfgang Fahr lief nach Berichten von Zeitzeugen vieles vorbei: Fahr habe von Spenden oft erst dann erfahren, wenn das Geld bereits auf dem Konto der Partei eingegangen war. Übereinstimmend schildern sie als Schlüsselfigur den damaligen Generalsekretär Teufels: Volker Kauder, heute Chef der Unionsfraktion im Bundestag. Als es im Zuge von Kohls Spendenaffäre Anfang 2000 Wirbel um die Thermoselect-Zuwendung gab, ließ die Landes-CDU sie von ihrem Wirtschaftsprüfer untersuchen.

Dessen Ergebnis: an der "parteienrechtlichen Rechtmäßigkeit" bestünden keine Zweifel. Vom frappierenden zeitlichen Zusammenhang mit dem Vertragsschluss war damals indes nichts bekannt. Kauder berief sich 2011 gegenüber der StZ auf Gedächtnislücken: "Nach mehr als fünfzehn Jahren kann ich Details einer Spende nicht mehr erinnern."

Alte Weggefährten halten es zwar für möglich, dass der Generalsekretär sich weitgehend alleine um die Spende kümmerte. Seinen Parteichef und Freund Erwin Teufel aber müsse er zumindest kurz unterrichtet haben; 100.000 Mark seien schließlich ein ungewöhnlich hoher Betrag gewesen.

Keine Auskunft von Teufel

Teufel könnte also zur Aufklärung beitragen - und womöglich den Verdacht zerstreuen, dass Thermoselect nicht ganz zweckfrei spendete. Doch der ehemalige Ministerpräsident, der einmal sagte, in schwierigen Situationen "flüchte ich mich in die Wahrheit", zieht es vor, zu schweigen. Seit zwei Monaten bemüht sich die Stuttgarter Zeitung, von ihm eine Stellungnahme zu erhalten.

Wann hat er von der Spende erfahren? Warum billigte er die Annahme trotz der schweren Vorbehalte gegen Thermoselect? Wie hat er seine Bedenken damals geltend gemacht? Auf solche und andere schriftliche Fragen, die ihm mehrfach unterbreitet wurden, reagierte Erwin Teufel bisher nicht. Wie die Partei heute, da die EnBW wieder fast zur Hälfte dem Land gehört, mit der Spende umgehen soll, wollte der frühere Premier ebenso wenig beantworten. Ein Sprecher der Südwest-CDU wies die These zurück, man habe sich letztlich zu Lasten des Unternehmens einen finanziellen Vorteil verschafft.

Die Partei habe auch heute keinen Grund, die Rechtmäßigkeit der Geldgabe infrage zu stellen - und schon gar keine Möglichkeit, die umgerechnet 50.000 Euro einer gemeinnützigen Einrichtung, etwa der EnBW-Stiftung Energie und Klimaschutz, zukommen zu lassen. Laut Gesetz dürften die Parteien ihre Mittel nämlich nur für ihre gesetzlichen Aufgaben verwenden.

Thermoselect - vom Müllwunder zum Problemfall

Theorie Das Thermoselect-Verfahren zur Müllentsorgung - eine Kombination von Pyrolyse und Hochtemperaturvergasung - weckte in den neunziger Jahren hohe Erwartungen. In Scharen pilgerten damals nicht nur südwestdeutsche Landes- und Kommunalpolitiker an den Lago Maggiore, um die Pilotanlage zu besichtigen. Kein Gift, kein Gestank - mit dem "Müllwunder", architektonisch reizvoll in Rot verpackt, schien eine neue Ära in der Entsorgung anzubrechen.

Ausführung Der EnBW-Vorläufer Badenwerk setzte unter dem Vorstandschef Gerhard Goll voll auf die neue Technik. Im Karlsruher Rheinhafen wurde eine Thermoselect-Anlage gebaut, bei der es jedoch immer neue Probleme gab; der Volksmund spottete über "Thermodefekt". Im Jahre 2004 beendete Golls Nachfolger Utz Claassen das Engagement mit hohen Verlusten für den Energiekonzern. Seither prozessieren die einstigen Partner miteinander.