Gleich zum Start bildet sich an der Essensausgabe in der Leonhardskirche eine lange Schlange. Viele Ehrenamtliche sorgen auch in diesem Jahr für warme Mahlzeiten.

Eine halbe Stunde vor Beginn des Eröffnungsgottesdienstes füllt sich die Leonhardskirche mehr und mehr. Beim Eintreten begrüßt Diakonin Doris Beck jeden einzelnen Gast der Vesperkirche per Handschlag. Das ist ihr wichtig, denn es bedeute, wie sie erklärt: „Ich sehe dich. Wir treten in Kontakt, in Beziehung zueinander.“ Und das sei mehr als eine freundliche Geste: „Es ist auch eine Botschaft der Vesperkirche an die Bedürftigen dieser Stadt“, betont Beck.

 

Uwe Blankenburg nimmt das gerne auf – und er revanchiert sich: „Ich habe als Dankeschön wieder ein Geschenk dabei“, sagt der 60-Jährige und packt ein akkurat auf Leinwand gemaltes Bild in Rot, Silber und Schwarz aus. Das Motiv zeigt eine plastische Rose nebst einer Kerze, einem Stück Stacheldraht und einem großen, über allem schwebenden Auge: „Dieses Auge wacht über die Zukunft, als Zeichen der Hoffnung“, erklärt er.

320 Euro Grundsicherung reichen nicht aus

Vor 30 Jahren, in den Anfängen der Vesperkirche, habe er noch selbst ehrenamtlich mitgeholfen. Nun ist er auf einen Rollator angewiesen und räumt ein, dass er „mit 320 Euro Grundsicherung“ kaum klarkomme. Neben der warmen Mittagsmahlzeit zum symbolischen Betrag von einem Euro freut er sich auch darauf: „Man hat ein bisschen Unterhaltung und sieht Leute mit netten, freundlichen Gesichtern.“

Derweil huscht eine Konfirmanden-Schar aus Blaubeuren vorbei, die von der Empore an die Tische wechseln muss. „Kirche in der Stadt“ sei ihr Thema, deshalb der Ausflug vom Blautopf zur Stuttgarter Vesperkirche. Und Simon aus dem Teilort Wippingen, von wo aus man „den Turm des Ulmer Münsters“ sehen könne, ist gut vorbereitet: „Die Vesperkirche macht etwas relativ Gutes für Leute, die wenig oder gar kein Geld haben“, sagt der wache Dreizehnjährige und fügt hinzu: „Das ist eine Pflicht für Gläubige, das müssen wir als Christen machen.“

Zum Auftakt singen die Hymnus-Chorknaben. Foto: Lg/Ferdinando Iannone

Gut beschäftigt ist auch Daniela Milz-Rahming, in der Landeskirche für gehörlose Mitmenschen zuständig. Gestenreich in ein Gespräch vertieft, bekennt sie sogleich: „Ich bin jedes Jahr von Neuem davon bewegt, dass in diesem reichen Land draußen Menschen in der Kälte stehen und sich darüber freuen, in eine warme Kirche zu kommen.“ Vor allem ältere Gehörlose seien „schnell von Armut und Isolation betroffen. Das hier ist ein Magnet für sie“, sagt Milz-Rahming und erläutert, weshalb sie im Moment so erfüllt wirkt: „Ich liebe meinen Beruf, und ich freue mit zutiefst, dass meine Kirche dieses Angebot hier machen kann.“

Ehrenamtliche spenden ihre Zeit

Im Hintergrund warten die ehrenamtlichen Helfer auf den baldigen Ansturm: „Ach was!“, sagt Ingrid Wolf, „wir machen das mit einem Lächeln im Gesicht! Und Komplikationen sind dazu da, dass sie überwunden werden.“ Die Seniorin hilft seit 2011 mit: „Ich kann nur wenig Geld spenden, also spende ich meine Zeit.“ Genauso lange ist Bettina Hungerbühler im Team, als Berufstätige immer samstags: „Das lässt einen nicht los, und es ist ein sinnstiftender Tag.“ Auch sie sieht, dass in der Vesperkirche, die sich anfangs vor allem an Obdachlose richtete, „Altersarmut ein zunehmendes Thema ist. Es kommen vermehrt ältere Menschen, die Fürsorge brauchen“.

Und schon haben die Stuttgarter Hymnus-Chorknaben das von strahlender Morgensonne durchleuchtete Kirchenschiff mit purem Wohlklang und Harmonie erfüllt, worauf Diakoniepfarrerin Gabriele Ehrmann, bis zum 8. März nun Gastgeberin der Vesperkirche, ihr Willkommen spricht und klarmacht: „Hier spielt es keine Rolle, wer wir sind und wo wir herkommen. Ich freue mich, dass Sie alle da sind.“ Die Vesperkirche setze „ein Zeichen der Gemeinschaft und der Solidarität, dass auch Bedürftige zur Kirche und zur Gesellschaft gehören. Nicht am Rande, sondern mittendrin“.

Einsatz für Menschen, „die unter die Räder gekommen sind“

In ihrer Predigt wandte sich Annette Noller, Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg, gegen „Destruktivität und Mauligkeit, gegen die, die alles einreißen wollen, Windräder und auch Menschen, die unter die Räder gekommen sind. Gegen das Böse, das das Miteinander zerstört“. Dem setze die Bibel „Glaube, Liebe, Hoffnung und Zuversicht entgegen“, auch dafür stehe die Vesperkirche. Deren 31. Auflage wurde dann mit der symbolischen Schlüsselübergabe und dem Entzünden der Vesperkirchen-Kerze offiziell eröffnet.