Werner Rudischer aus Plieningen ist seit 36 Jahren Busfahrer. Als Lehrfahrer bei der SSB hilft der 63-Jährige jungen Kollegen beim Einstieg in den Beruf. Aus der Ruhe bringt ihn schon lange nichts mehr. In seinem Berufsleben hat er bereits viel erlebt.

Plieningen - Für die Fahrgäste scheint alles wie immer zu sein. Die meisten sind Pendler. Zwar müssen sie an diesem Tag einen Ersatzbus nehmen, da zwischen Möhringen und Vaihingen wegen Bauarbeiten keine Stadtbahn fährt, doch im Omnibus angekommen, fühlt sich für sie alles normal an. Einsteigen, den Fahrer vielleicht nach einer Haltestelle fragen, hinsetzen, los geht die Fahrt.

 

Wenn die Fahrgäste nichts bemerken, läuft alles richtig. Denn für den Busfahrer ist an diesem Tag rein gar nichts Routine. Es ist sein erster Tag mit Fahrgästen. Yusuf Akcaoglu ist neu im Beruf. Sorgen macht er sich aber keine. Denn auf dem vordersten Einzelsitz rechts hinter ihm sitzt Werner Rudischer. Der erfahrene Busfahrer der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) steht seinem jungen Kollegen an diesem Tag als Lehrfahrer mit Rat und Tat zur Seite.

Den Routinier bringt so schnell nichts aus der Ruhe

Werner Rudischer aus Plieningen ist Routinier. Seit mittlerweile 36 Jahren lenkt er Busse. Ihn bringt so schnell nichts aus der Ruhe. An einer Haltestelle gibt es ein Problem. Yusuf Akcaoglu schafft es nicht, die Tür zu schließen, er drückt immer wieder auf den Knopf und blickt unruhig in den Rückspiegel. Werner Rudischer beugt sich zu seinem Schützling und gibt ihm den entscheidenden Tipp. Zuerst muss er den Bus hydraulisch wieder in die Gerade bringen. Bei der Anfahrt der Haltestelle hatte der Fahrer das Gefährt Richtung Bordsteinkante abgesenkt. Es funktioniert: Die Tür schließt, die Fahrt geht weiter.

Es war nicht sein Kindheitstraum, Busfahrer zu werden, erzählt Werner Rudischer, während der Bus seine Runden zwischen den beiden Filderbezirken dreht. Eigentlich kam er über einen Zufall zur SSB. Gelernt hat er den Beruf des Automechanikers. Bei der Bundeswehr hat er im Anschluss den Lkw-Führerschein gemacht. Danach fuhr er von 1976 bis 1978 für eine Spedition Brummi. „Bis die Baukrise kam“, erinnert sich der 63-Jährige. Dann gab es keine Aufträge mehr. Ein Bekannter empfahl ihm schließlich: „Bewirb dich doch bei der Straßenbahn“. Das tat er. Am 16. Mai 1978 wurde er schließlich Busfahrer bei der SSB.

Mit dem Reisebus in 13 Tagen durch Russland

Vier Jahre fuhr er Linienbus. Eines Tages wurde Werner Rudischer gefragt, ob er die Silvesterfahrt für die Tochterfirma SSB Reisen übernehmen könnte. Von diesem Tag an war Rudischer Reisebusfahrer. „Ich habe alle europäischen Länder durchreist“, erzählt er. Sizilien und Spanien sind ihm im Kopf geblieben – und Russland. „Ich habe Russland in 13 Tagen durchquert“, erzählt Rudischer. Und dann war da noch die Wiedervereinigung Deutschlands. Der Ansturm auf den Westen war groß. Rudischer wurde mit vielen anderen Busfahrern in die Hauptstadt entsandt, um zu helfen. „Die Linie 62 vom Märkischen Viertel zum Stuttgarter Platz bin ich gefahren“, erinnert er sich. Die Menschen haben dort ihr Begrüßungsgeld abgeholt. „Die Euphorie war überwältigend“, erzählt Rudischer.

Während Rudischer so in Erinnerungen schwelgt, findet Yusuf Akcaoglu auch ohne große Anweisungen den richtigen Weg. Mittlerweile ist das Duo schon unzählige Male vom Vaihinger zum Möhringer Bahnhof und wieder zurückgefahren. Akcaoglu fühlt sich mit dem langen Gelenkbus von Mal zu Mal sicherer in den engen Kurven. Und auch der Ticketverkauf geht dem 26-Jährigen immer leichter von der Hand. Wenn es darum geht, für welche Zone ein Fahrgast bezahlen muss oder wo er seinen Anschluss findet, springt Werner Rudischer ein. „Sie fahren jetzt mit uns nach Möhringen und dann zeige ich Ihnen, wo Sie einsteigen müssen“, sagt der Lehrfahrer geduldig. Er kennt fast alle Linien und Anschlüsse auswendig. Und das, obwohl er erst seit drei Jahren wieder im Linienbus-Geschäft ist. Bis dahin fuhr er fast 30 Jahre die Reisebusse der SSB.

Der Kunde ist König

Dass er als Busfahrer immer alleine und nicht direkt mit Kollegen zusammenarbeitet, macht Werner Rudischer nichts aus. Dafür habe er ja die Fahrgäste, sagt er. Und die sind bei ihm König. Wenn er sieht, dass jemand angerannt kommt, würde er nie die Tür schließen und losfahren, nur um den Fahrplan strikt einzuhalten. Dann warte er eben, eine Minute hin oder her mache in dem Fall nichts aus. Und wenn eine alte Dame mit schwerem Gepäck ein- oder aussteigen will, verlässt er schon mal seinen Fahrersitz und hilft. „Wer weiß, wie es uns geht, wenn wir alt sind“, sagt er. Er arbeite gerne, egal ob in der Tag- oder der Nachtschicht. Schlecht drauf sei er vielleicht an zwei Arbeitstagen in seinem Leben gewesen. „Mit guter Laune, geht der Arbeitstag am besten rum“, sagt der Busfahrer.

Drei Stunden sind inzwischen seit der Abfahrt im SSB-Depot in Möhringen vergangen. Yusuf Akcaoglu lenkt den Ziehharmonika-Bus durch die letzte Kurve. Am Bahnhof Möhringen endet seine erste Fahrt mit Passagieren schließlich. Der junge Busfahrer ist erschöpft, aber glücklich. Es hat ganz gut geklappt, findet er. Und auch sein Lehrmeister Werner Rudischer ist zufrieden. Die Fahrgäste sind der Beweis, dass alles gut gelaufen ist. Denn für alle war es eine ganz normale Fahrt.