Seit 40 Jahren strömt russisches Erdgas nach Deutschland. Alexej Miller, der Chef des Energiegiganten, hat große Interesse am deutschen Gasmarkt. Doch die Macht des Gazprom-Konzerns wackelt.

Leipzig - Am 1. Mai war es exakt 40 Jahre her, dass am tschechisch-deutschen Grenzübergangspunkt Sayda in Sachsen erstmals russisches Erdgas nach Deutschland strömte. So hatte sogar Alexej B. Miller, der mächtige Vorstandschef des russischen Energiegiganten OAO Gazprom, sein Kommen zum Jubiläumsakt in Leipzig zugesagt. Da er kurzfristig erkrankte, vertrat ihn sein Vize Alexander Medwedew.

 

Eingeladen hatte die Verbundnetz Gas AG (VNG), die seit ihrer Privatisierung 1990 die einst staatlichen Gasgeschäfte zwischen der Sowjetunion und der DDR weiterführt. Allein an sie sei bisher ein Viertel der mehr als eine Billion Kubikmeter Erdgas gegangen, die Russland seither nach Deutschland lieferte, sagte VNG-Chef Karsten Heuchert. Auch Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler bekräftigte „die große Rolle“ russischer Erdgaslieferungen für die energetische Versorgungssicherheit in Deutschland

Privilegierte Lage

Medwedew, der akzentfrei Deutsch spricht, kam indes nicht zuerst aus nostalgischen Gründen nach Leipzig. Zum einen hält Gazprom hält selbst 10,52 Prozent an VNG. Die VNG-Gruppe beliefert mittlerweile in 14 Ländern Europas Stadtwerke, Regionalversorger und Industrieunternehmen. Der Umsatz lag 2012 bei knapp zehn Milliarden Euro. Zum anderen haben die Russen eigene vitale Interessen auf dem deutschen Gasmarkt, was sie nicht nur als Trikotsponsor von Schalke 04 demonstrieren. Erst Ende 2012 vereinbarte Gazprom mit der BASF ein brisantes Tauschgeschäft, über das die Russen künftig das zuvor gemeinsam betriebene Erdgashandels- und Speichergeschäft in Deutschland allein betreiben dürfen – sofern Brüssel zustimmt. Dies werde es ihnen gestatten, „auf dem Endkundenmarkt in europäischen Ländern Fuß zu fassen“, frohlockte Miller über den Deal. Im Gegenzug sicherte sich BASF einen erweiterten Zugang zu westsibirischen Erdgasvorkommen.

Lange Zeit versetzte die etablierte Russland-Kooperation auch VNG in eine privilegierte Lage. Denn über Langfristverträge schien man vor schwankenden Weltmarktpreisen gefeit. Doch seit die USA durch Fracking eigenes Schiefergas gewinnen, damit als Abnehmer ausfallen und zudem noch Kohle günstig nach Europa verschiffen, schwächelte hier zuletzt spürbar der Gaspreis. Die Langfristverträge und die darin vereinbarten Abnahmemengen wurden damit zum Bumerang: VNG rutschte 2011 in die Verlustzone, zahlte zwei Jahre keine Dividende.

Schadensersatzklage gegen EnBW

Mittlerweile besserten die Leipziger aber die alten Kontrakte nach. Zudem kaufen sie das meiste Erdgas nun an Spot- und Terminmärkten ein. Die russischen Lieferungen machen laut Heuchert „ein gutes Drittel“ aus. Mithin schreibt VNG wieder schwarze Zahlen. Dennoch sehen Beobachter die Zukunft des Unternehmens nach wie vor durchwachsen. Als kritisch gilt einerseits der verstärkte Einstieg in die Exploration, die sich bisher nur auf den Standort Norwegen fokussiert, sowie die Ausdehnung der Aktivitäten ins Endkundengeschäft. Denn damit macht die VNG zwangsläufig ihren bisherigen Abnehmern – vor allem Stadtwerken – vor deren Haustür Konkurrenz. Erst im März übernahmen die Leipziger etwa den Gas- und Stromversorgern Goldgas im hessischen Eschborn.

VNG-Hauptaktionär ist nach wie vor der Oldenburger Versorger EWE mit 47,9 Prozent, gefolgt von einer Beteiligungsgesellschaft ostdeutscher Stadtwerke, die eine Sperrminorität von 25,7 Prozent hält. Nachdem die EWE mehrfach umsonst versucht hatte, diesen kommunalen Block durch Aktienkäufe aufzubrechen, entschloss man sich zum Verkauf des eigenen Pakets an die EnBW in Karlsruhe. Doch der Deal scheiterte 2011 am Widerstand der anderen Eigner. So machte die EnBW einen Rückzug. Vor wenigen Tagen reichten die Oldenburger deshalb eine Schadenersatzklage über 500 Millionen Euro gegen die EnBW ein.

EnBW gilt intern als ernsthafter Interessent

Mithin dauert die Auseinandersetzung unter den Eigentümern der VNG an, was die Entwicklung des größten ostdeutschen Konzerns zusätzlich behindert. Die EWE sucht nun einen neuen Käufer und schaut sich dafür etwa auch in Katar um. Doch auch EnBW gilt intern weiter als ernsthafter Interessent. Womöglich ließen sich die Differenzen zwischen beiden Unternehmen sogar „über den Umweg VNG“ beheben, was dann letztlich auch für „die Neuordnung der deutschen Energiewirtschaft eine gute Sache“ sei, meint ein Insider.

Doch auch Gazprom ist im Gespräch als Interessent für weitere EWE-Anteile. Und die Russen wären nicht nur gewillt sondern auch potent genug. Sie verfügen über fast ein Fünftel der weltweiten Erdgasreserven. Zudem tragen sie sich mit Plänen für eigene Gaskraftwerke in Süddeutschland. Doch die Rahmenbedingungen hierfür seien vorerst nicht gegeben, sagte Medwedjew. Ein russisches Engagement sei in Deutschland offenbar nicht gewollt, meinte er in Leipzig. Zugleich forderte er die Einhaltung der bisherigen Liefervereinbarungen mit Deutschland.

Denn momentan sei die neue Ostseepipeline Opal, durch die dieses Gas fließt, nur halb ausgelastet. Statt Erdgas als „Aschenputtel“ am Energiemarkt zu behandeln, wie er es derzeit erlebe, solle man diese „sauberste“ Ressource eher als „Prinzessin ehren“, sagte der stellvertretende Gazprom-Chef.