Vor 40 Jahren wurde die ökumenische Sozialstation nördliches Strohgäu gegründet. Wie viele andere Dienste auch steht das Team vor der schwierigen Aufgabe, hohe Ansprüche an sich selbst und wirtschaftlichen Druck in Einklang zu bringen.

Strohgäu - Früher war nicht alles besser, aber vieles anders. Die meisten Menschen lebten in Großfamilien, die Familienmitglieder kümmerten sich umeinander. Wenn es doch mal größeren Pflegebedarf gab, kamen Gemeindeschwestern mit dem Moped – und später VW Käfer – vorgefahren. Heute leben viele ältere Menschen allein oder sind zu zweit, die Familie ist oft in alle Himmelsrichtungen verstreut. Die vom Nachwuchsmangel geplagten Gemeindeschwestern machten Platz für Sozialstationen. So auch in Hemmingen, Schwieberdingen und Möglingen: Die Sozialstation nördliches Strohgäu (ÖSS) gründete sich im Jahr 1976.

 

Heute, 40 Jahre später, hat sich nicht nur der Familienzusammenhalt verändert. Auch der Druck auf die Pflegenden ist gestiegen, die Zahl der Aufgaben und Anforderungen gewachsen. 37 Mitarbeiter – derzeit allesamt weiblich – kümmern sich um rund 170 Pflegebedürftige. Viele Patienten melden sich erst spät, nach Ansicht von Simone Kunz aus Kostengründen. „Wir werden oft gerufen, wenn es schon gar nicht mehr geht“, sagt die Einsatzleiterin der Sozialstation. Entscheidend sei häufig, ob sich jemand den Pflegedienst überhaupt leisten könne, sagt die stellvertretende Einsatzleiterin Eva Schröter. Das führt laut Bosch dazu, dass sich die Pflege häufig nicht am tatsächlichen Bedarf, sondern am jeweiligen Budget bemisst.

Von Spaziergängen bis zum Mau-Mau-Spielen

Das Spektrum der Tätigkeiten, die die Mitarbeiterinnen der Sozialstation anbieten, ist breit. Es geht von der Körperpflege über Hilfe im Haushalt durch Waschen, Bügeln oder Einkaufen bis zu dem, was Simone Bosch „Gesellschaft haben“ nennt: Vorlesen, Spazieren gehen, Fotos anschauen, Mau-Mau spielen. Für viele Patienten, sagt Eva Schröter, sei der Besuch der Pflegerinnen der Höhepunkt des Tages.

Die meisten Senioren wollen so lange wie möglich zuhause wohnen bleiben, gleichzeitig steigt die Zahl derer, die intensiver gepflegt werden müssen. Die Sozialstation stellt das vor eine Herausforderung: „Es ist ein Spagat, gut zu pflegen und wirtschaftlich tragbar zu handeln“, sagt Simone Bosch, die Geschäftsführerin der ÖSS.

Das hängt vor allem mit der Kostenerstattung der Krankenkassen zusammen. Während pflegerische Dienstleistungen als Pakete mit der Pflegeversicherung abgerechnet werden, sind für sogenannte medizinische Behandlungspflege – etwa Injektionen, die Gabe von Medikamenten oder das Anziehen von Kompressionsstrümpfen – die Krankenkassen zuständig. Diese erstatten aber nicht alle bei einem Besuch erbrachten Leistungen, sondern nur eine: die teuerste. Was die Pflegerinnen darüber hinaus machen, wird nicht vergütet.

Für viele Sozialstationen ist das ein großes Problem. Eine „fatale Regelung“ nennt es Simone Bosch, einen „Fehler im System“. Denn gleichzeitig stehen die Einrichtungen unter Druck, schwarze Zahlen zu schreiben. Das vergangene Geschäftsjahr, sagt Bosch, sei schlecht gewesen, die Gesellschafter von ÖSS – die bürgerlichen und kirchlichen Gemeinden Hemmingen, Schwieberdingen und Möglingen – darüber „nicht glücklich“. „Wir brauchen dauerhaft zumindest die schwarze Null“, sagt Bosch, „aber sie lässt sich nicht hinrechnen.“ Viel Spielraum bleibt nicht; die Löhne der Mitarbeiter sind tarifgebunden, die Leistungen werden nach festen Sätzen vergütet. Um ihren Forderungen an die Krankenkassen Nachdruck zu verleihen, hat das Pflegeteam gestreikt – aber weil natürlich die Patienten trotzdem betreut werden müssen, fuhren sie mit einem Autocorso durch Schwieberdingen.

Einrichtung setzt auf gutes Betriebsklima

Angesichts wirtschaftlicher Schwierigkeiten und einer laut Bosch teils sehr hohen Arbeitsbelastung ist dem Führungsteam ein gutes Betriebsklima umso wichtiger. Um zu wissen, was die Mitarbeiter bewegt, wurde ein Kummerkasten aufgestellt. „Die Anregungen sind wir dann Schritt für Schritt angegangen“, sagt Simone Bosch. „Die Mitarbeiter sind unser Potenzial“, sagt die Geschäftsführerin. Manchmal reiche es schon, öfter mal „Danke“ zu sagen. Und auch wenn vor Ort bei den Patienten alle Einzelkämpfer seien: „Es ist doch gut zu wissen, dass man ein starkes Team im Rücken hat.“