40 Jahre Schengen Abkommen Keine komplette Kontrollfreiheit

An der Grenze zu Polen waren lange Staus vor dem Beitritt zum Schengen-raum an der Tagesordnung. Foto: dpa

Das Abkommen von Schengen ist das Wichtigste Zeichen europäischer Integration. Es ist nach wie vor hoch aktuell, muss aber angepasst werden, kommentiert Christian Gottschalk.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Wer schon ein paar Lebensjahre auf dem Buckel hat, wer sich daran erinnert, wie er vor vier Jahrzehnten mit seinem Golf eins in die große weite Welt gezogen ist, der kann sich auch daran erinnern, dass es meist noch vor dem ersten Tankstopp zu einem Zwischenhalt kam, zwangsweise. Die Landesgrenzen waren damals in Europa noch gut bewacht, egal ob man in die Schweiz, nach Frankreich oder gen Österreich wollte. In Richtung Osten sowieso. Die Revolution des schrankenlosen Reisens begann am 14. Juni 1985, als Deutschland, Frankreich und die Benelux-Staaten in dem luxemburgischen Moselort Schengen ein Abkommen unterzeichneten, das die Grenzkontrollen in Europa beenden sollte. Inzwischen haben sich nahezu 30 Länder dem Abkommen angeschlossen.

 

Kontrollen nur in Ausnahmefällen erlaubt

Von Portugal bis Polen ohne Kontrollen, vom Norden Finnlands bis in den Süden Italiens, ohne nach dem Pass gefragt zu werden – für jüngere Menschen ist das heute der Normalzustand. Doch den Geist von Schengen sehen viele zum 40. Geburtstag der Vertragsunterzeichnung als gefährdet an. Wieder einmal. Die Grenzkontrollen, die die neue Bundesregierung angeordnet hat, um der illegalen Migration Herr zu werden, sind in dieser Form nicht vorgesehen.

Grundsätzlich aber sind Kontrollen in Ausnahmefällen erlaubt. Seit 2015, dem Zeitpunkt der ersten großen Flüchtlingskrise, sind mehr als 400 Kontrollen bei der EU-Kommission angemeldet worden. Frankreich kontrolliert die Grenze zu Italien, Dänemark an der deutschen Grenze. Und während das Corona-Virus sein Unwesen trieb, waren nahezu alle Grenzen dicht.

An der Mosel wurde Geschichte geschrieben. Foto: Jörn Wolter / wolterfoto.de

Doch Schengen ist vier Jahrzehnte nach seiner Geburt keineswegs am Ende. Allerdings muss wohl ein wenig nachjustiert werden. Die Migrationsdebatte zwingt Regierungen in ganz Europa zum Handeln. Forderungen nach Kontrollen an der Grenze können da nicht einfach ignoriert werden. Es gilt jedoch das richtige Maß zu finden.

Sehr viel mehr als symbolischer Aktionismus ist die Kontrolle der Binnengrenze ohnehin nicht. Wer die illegale Migration wirklich stoppen möchte, der muss sich um die Außengrenzen der EU kümmern. Dazu bräuchte es sehr viel mehr Zusammenarbeit. Diesen wirklich wichtigen Grenzschutz weitgehend den Ländern zu überlassen, die mit ihrem Staatsgebiet an die Drittstaaten grenzen, ist nicht solidarisch und überfordert diese. Doch genau das ist heute der Fall.

Systematische Kontrollen binden Personal

Die Kontrollen innerhalb der EU-Staaten sind hingegen umstritten. Natürlich werden immer wieder Schlepper, Illegale, Verbrecher aufgegriffen. Das wäre aber auch bei innerdeutschen Kontrollen möglich. Und natürlich binden systematische Kontrollen an unzähligen Grenzübergängen zu den neun deutschen Nachbarstaaten viel Personal, das dann an anderer Stelle fehlt. Auf der anderen Seite geben diese Kontrollen vielen Menschen ein Gefühl der Sicherheit. Und das ist ein nicht zu unterschätzender Wert an sich.

Mehr als nur wirtschaftliche Bedeutung

Die komplette Kontrollfreiheit ist 40 Jahre nach der Vertragsunterzeichnung daher nicht mehr durchsetzbar. Das Ende von Europa bedeutet das nicht. Der Euro mag im täglichen Leben das sichtbarste Zeichen der europäischen Integration sein, das Schengener Abkommen ist ebenso wichtig. Neben der wirtschaftlichen Bedeutung steht es auch für einen Geist der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Die kann, soll und muss weiter wachsen. Das funktioniert, denn niemand will die Grenzen schließen. Wer beim Grenzübertritt ein paar Minuten in der Warteschlange steht, sollte sich daran erinnern wie es vor 40 Jahren war. Die Autos sind heute bequemer und haben Klimaanlage.

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