Es gehen mehr Menschen zum VfB-Heimspiel als sonntags in die Kirche: Die Aussage hält sich wacker. Eine Studie beweist nun das Gegenteil. Besuchermagnet ist demnach allerdings nicht der klassische evangelische oder katholische Gottesdienst.

Der Vergleich zwischen den Besucherzahlen eines VfB-Heimspiels und den sonntäglichen Gottesdienstbesuchern wurmt Volker Gäckle, den Rektor der Internationalen Hochschule Liebenzell. „Es heißt immer, es kommen mehr Menschen zum VfB als in die Kirche zum Gottesdienst“, sagt er, und fügt hinzu: „Jetzt wissen wir, dass es nicht so ist.“ Seine Gewissheit nimmt der Theologie-Professor aus einer Studie seiner Internationalen Hochschule (Liebenzell Institute for Missiological Religious Studies/Limris), deren Zahlen aus dem Herbst 2019 stammen.

 

Daraus geht unter anderem hervor, dass deutlich mehr Menschen in der inneren Metropolregion Stuttgart einen Gottesdienst besuchen, als bisher vermutet wurde. Demnach geht ungefähr jeder 20. Bewohner der Region sonntags zur Kirche. In absoluten Zahlen: Von insgesamt rund 2,7 Millionen Menschen sind das 131 900 Gottesdienstbesucher. Zum VfB pilgern bei ausverkauftem Stadion (60 450 Plätze) nicht einmal halb so viele Fans über die Mercedesstraße.

1418 Gemeinden wurden erfasst

Die Datengrundlage sind 1418 Gemeinden und Gemeinschaften in der inneren Metropolregion, die sich auf 164 christliche Religionsgemeinschaften verteilen. Drei Viertel der Gemeinden gehören zum Protestantismus, knapp ein Fünftel zum Katholizismus, die anderen Gemeinden sind der Orthodoxie zuzurechnen oder es handelt sich um Gemeinden, die keiner dieser traditionellen christlichen Strömungen zugeordnet werden können. Von den 1418 Gemeinden und Gemeinschaften entfallen 752 auf die beiden Großkirchen (53 Prozent). Und hier liegt nach Ansicht der Limris die Überraschung der Studienergebnisse. Denn in der öffentlichen Wahrnehmung sind 666 Gemeinden und Gemeinschaften (46 Prozent) weitgehend unbeachtet. Also knapp die Hälfte aller Besucher geht in keinen Gottesdienst der evangelischen oder katholischen Kirche, sondern in eine freikirchliche oder orthodoxe Feier.

Überraschende Ergebnisse

Für Tobias Schuckert, Mitherausgeber der Studie, zeigt sich eine weitere Überraschung: nämlich bei der durchschnittlichen Besucherzahl von Gottesdiensten. Hier wird deutlich, dass protestantische Freikirchen um 40 Prozent mehr Besucher haben als die Gottesdienste der evangelischen Landeskirche. So kommen in einen Landeskirchen-Gottesdienst im Schnitt 72 Besucher. In den einer Freikirche sind es durchschnittlich 101. Die Zahlen des freikirchlichen Gospelforums in Stuttgart hat die Limris bewusst herausgelassen, da sie einen absoluten Ausreißer darstelle, der das Ergebnis verzerre. Andere christliche Sondergruppen, wie etwa die Zeugen Jehovas oder die Mormonen, wurden dagegen mitgezählt. Nach eigenen Angaben hat das Gospelforum derzeit über 2000 Gottesdienstbesucher. „Seit dem Ende der Corona-Lockdown-Phase sind die Zahlen stetig gestiegen“, sagte ein Sprecher des Forums. Für alle christlichen Gemeinschaften gilt: Etwa 96 Prozent aller Gemeinden sehen den Gottesdienst als wichtigste Veranstaltung.

Studie soll Impulse setzen

Volker Gäckle hofft nun, dass diese Ergebnisse weitere Studien und Untersuchungen beflügeln. Schon jetzt aber seien einige Erträge der Untersuchung sichtbar: Der Sonntagvormittag erscheint in ökumenischer Perspektive als der primäre Gottesdiensttermin auch für junge Gemeinden. Eine Gestaltung des Gottesdienstes im Worship-Stil mit einer schriftbezogenen und lebensnahen Verkündigung steht in Zusammenhang mit einem überdurchschnittlichen Mobilisierungsvermögen und erweist sich als Wachstumsfaktor.

Von ähnlichen Erfahrungen aus der Praxis berichtet auch Tobias Wörner, der Mitinitiator des damaligen und extrem erfolgreichen Jesustreffs (heute Kesselkirche) im Stuttgarter Norden. Wörner, der auch Synodaler der Landeskirche ist, bringt das mögliche Erfolgsrezept spezieller Gottesdienste mit drei Begriffen auf den Punkt: „Es geht immer um die Leitung, eine Vision und die Möglichkeit der Partizipation.“ Weiter sagt er: „Ein weiteres Stichwort ist Ökumene. Wir müssen uns auf andere Geschwister zubewegen. Das würde uns guttun und beleben.“