Vor 450 Jahren wurde Galileo Galilei geboren. Viele sehen in ihm einen unerschrockenen Vorkämpfer der modernen Forschung gegen den mittelalterlichen Aberglauben. Historiker debattieren, was damals wirklich geschah.

Stuttgart - Rom, Frühjahr 1633: die Rhetorik des Angeklagten bringt den Inquisitor Kardinal Vincenco Maculano in Rage. Im Hauptquartier der Inquisition, dem Palast des Heiligen Offizium am Petersdom, stellt Galileo Galilei mit geschliffenen Sätzen ehrwürdige Kardinäle als inkompetent in Fragen der Mathematik und Astronomie hin. Zuvor schon hatte der 69-Jährige den Papst zur Weißglut gebracht: In seinem Buch „Dialog“ legte er die Argumente der Kirche, die für die ptolemäische Weltsicht sprachen, also eine im Mittelpunkt des Alls ruhende Erde, einer unterbelichteten Figur namens Simplicio in den Mund. Der Papst nahm das persönlich. Der kränkelnde Galilei landete vor der Inquisition – zur Genugtuung vieler Eminenzen der katholischen Kirche.

 

Denn Galilei hatte zeit seines Lebens Belege für das kopernikanische Weltbild gesammelt: dass die Erde sich wie alle Planeten um die Sonne bewegt. Er hatte aus Orgelpfeifen und selbst geschliffenen Linsen ein Fernrohr gebaut und damit Mondkrater entdeckt und Himmelskörper, die den Jupiter umkreisen, sowie die Phasen der Venus, die ähnlich wie der Mond voll, halb oder gar nicht von der Sonne beleuchtet erscheint. Lauter Belege, welche die Sonderstellung der Erde im All ins Wanken brachten.

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Das Bild vom Märtyrer für die moderne Wissenschaft

Und jetzt? Windet sich Galilei in seinem Prozess geschickt um das Eingeständnis herum, er habe das kopernikanische Weltbild verfochten. Der erzürnte Maculano kann den Forscher nur unter Androhung der Folter zwingen, öffentlich der kopernikanischen Lehre abzuschwören. Obwohl er letztlich folgt und damit dem Scheiterhaufen entgeht, wird die Nachwelt Galilei als Märtyrer im Kampf der modernen Wissenschaft gegen den mittelalterlichen Aberglauben feiern und ihm den trotzigen Satz „Und sie bewegt sich doch!“ in den Mund legen.

Unumstritten ist diese Märtyrerrolle unter Historikern nicht. „Die Debatten, was damals passiert ist, sind breit“, sagt Jochen Büttner vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Nicht die Kirchenleute, sondern Galilei sei der Fanatiker gewesen, weil er mehr behauptete, als er beweisen konnte, schrieb etwa der Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker. Demnach focht der gläubige Galilei verbissen dafür, dass seine Kirche etwas als Tatsache anerkannte, was diese lediglich als wissenschaftliche Hypothese verstanden wissen wollte.

Nach seinen Entdeckungen habe Galilei „immer eifriger“ nach Beweisen für die bewegliche Erde gesucht, sagt Büttner. Den Stich glaubte Galilei mit seiner Erklärung der Gezeiten zu machen. Das Meerwasser schwappe hin und her, weil jeder Punkt der Erdoberfläche durch die Überlagerung der Erddrehung mit der Bewegung des Planeten um die Sonne binnen eines Tages mehrmals gebremst und wieder beschleunigt werde.

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Selbstbewusste Arroganz und provokative Art

Doch die Theorie war kein Trumpf: Sie erklärte nicht, warum sich Ebbe und Flut Tag für Tag um etwa 50 Minuten verzögern (durch den Einfluss des Mondes). Mit spitzer Feder plädierte Galilei im „Dialog“ dennoch für die kopernikanische Lehre. Hat er sich damit selbst ins Unrecht gesetzt? Nein, findet Büttner. „Die Kirche hat den Konflikt an ihn herangetragen.“ Die Wut des beleidigten Papstes spielte eine große Rolle. Der Galilei-Biograf James Reston berichtet zudem von einer Intrige konservativer Jesuiten, die die Anklage gegen den Physiker antrieben. Zudem fußte die Anklage auf einem wahrscheinlich gefälschten Dokument, das behauptete, Galilei sei bereits 1616 untersagt worden, das kopernikanische Weltbild zu lehren.

Zwar legte der selbstbewusste Galilei Arroganz und eine provokative Art an den Tag, aber es ist das Wesen der modernen Wissenschaft, dass sie Hypothesen aufstellt, die sie dann durch Beobachtungen und Experimente überprüft. Solche Experimente können die Theorie nie wirklich beweisen, sondern nur falsifizieren.

Erklärungen für die Phänomene der sichtbaren Welt

Es habe damals schon eine Fülle von Hinweisen für eine bewegliche Erde gegeben, sagt Büttner. Auch Johannes Kepler vertrat in protestantischen Teilen Deutschlands dieses Weltbild, ohne Anstoß zu erregen. Galilei hingegen stand in Italien einer totalitären katholischen Kirche gegenüber, welche die Deutungshoheit über Sonne, Mond und Sterne für sich beanspruchte. Die Wissenschaft sei zuständig, die Phänomene der sichtbaren Welt zu erklären, fand hingegen Galilei. Das passt zu seiner Rolle als Begründer der modernen experimentellen Forschung, die die Nachwelt ihm zuschreibt. Galilei erkannte, dass das Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben ist, und entwickelte Methoden, das Buch zu lesen. Beim bloßen Beobachten der Natur täuschen viele zusammenspielende Faktoren mitunter falsche Gesetzmäßigkeiten vor. So fallen aufgrund des Luftwiderstandes ein Stein und eine Feder unterschiedlich schnell. Wenn allein die Schwerkraft wirken würde, wie dies etwa auf dem Mond der Fall ist, fallen die beiden Gegenstände gleich schnell. Auf der Erde erschwert quasi das Chaos vieler Einflüsse, dass man durch Beobachten das Fallgesetz, nach dem alle Körper mit der gleichen Beschleunigung fallen, erkennt.

Kein Befreiungsschlag für die Wissenschaft

Galilei hingegen arrangierte Experimente, die einzelne Phänomene aus dem Chaos isolierten, so dass man sie messen und wägen konnte. Dazu gehört etwa die schiefe Ebene. Dahinter steckt die Idee, den freien Fall von Objekten so weit zu bremsen, dass ihre Geschwindigkeit mit damaligen Mitteln messbar wurde und dass der störende Einfluss des Luftwiderstandes eliminiert wurde. So erkannte Galilei, dass die damalige Annahme falsch war, jeder Körper erreiche beim Fallen eine bestimmte Geschwindigkeit, die umso größer ist, je größer das Gewicht des Körpers ist.

Galileis Widerstand gegenüber der Kirche war indes nicht der Befreiungsschlag für die Wissenschaft. Das Urteil gegen Galilei brachte etwa den französischen Philosophen René Descartes dazu, seine Abhandlung über Licht der Selbstzensur zu opfern. Die Deutungshoheit über den Fall Galilei blieb zunächst bei der Kirche. „Insgesamt wird Galileis Rolle über- und die anderer unterschätzt“, meint Büttner mit Verweis auf Kepler. Im Streit zwischen der kopernikanischen und der ptolemäischen Weltsicht „gibt es keinen Punkt, an dem alles kippt“, sagt Büttner. Die kopernikanische Wende war ein schleichender Prozess, ein langsames Schiff – mit Galilei als Galionsfigur.

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