Manchmal banal, manchmal verwirrend, dabei aber erfrischend und vor allem spielerisch stark: Armin Petras inszeniert im Nord sein neues Stück „5 morgen“ – eine Erkundung des Mitgefühls, die an die Vorstellungskraft der Zuschauer appelliert.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Am Morgen will er noch Sex, schnurrt und zirpt „Kaffee, Schatz, und frische Eier . . . wir haben die ganze Woche nicht“. Als Loretta später klingelt, lässt Paul sie wie eine alte Töle draußen stehen. „Sag mal, spinnst du, Arschloch“, schimpft sie, „das ist genauso mein Haus wie dein Haus“. Aber Loretta ist kontaminiert, weißer Staub rieselt ihr von den Wangen. „Wenn du hier rein kommst, dann ist hier alles verseucht“, sagt Paul. Immerhin: er wird die Wand zum Bad abdichten, dann kann sie zumindest aufs Klo.

 

Eine giftige Wolke ist aufgezogen in Fritz Katers Theaterstück „5 morgen“. Eine Katastrophe, die eine schmerzhafte Zäsur in aller Leben schlägt. Fritz Kater, das ist das Pseudonym des Intendanten Armin Petras, der im Nord sein Stück selbst inszeniert hat. Die Uraufführung ist Teil des Projekts „Terrorisms“, bei dem sich Kollegen aus fünf Städten zwischen London und Tel Aviv mit dem Terror befassen.

Petras verrückt das Selbstverständliche

In „5 morgen“ bleibt allerdings offen, ob ein terroristischer Anschlag oder eine Umweltkatastrophe die Menschen aus ihrem dümmlichen Egoismus herausgeschleudert hat. Petras alias Kater nutzt das Horrorszenario vielmehr dazu, ein sehr altes, fast altmodisches Thema des Theaters neu zu verhandeln: das Mitgefühl. Dem Quintett auf der Bühne fehlt es gänzlich. Die Handlungsstränge kehren von der weltumspannenden Katastrophe immer wieder zum schäbigen Kleinkrieg der Kreaturen zurück und zum ewigen Geschlechterkampf. Hier geile Kerle, dort Weiber, die den Trieb der Männer ausnutzen – wie Missy (Hanna Plaß), die durch die Prüfung gerasselt ist und jetzt ihren Dozenten zu verführen versucht – nach „drei Semestern Blickfick“. Der Krieg, das sind wir.

Dabei ist das Theater von Armin Petras durchaus launig und beschwingt. Es versucht nicht, Wirklichkeit nachzuahmen, sondern mit theatralen Mitteln zu substituieren – um den Blick auf das Vertraute neu zu justieren. Da reißen August (Holger Stockhaus) und Julia (Manja Kuhl) aus Papier Weingläser und prosten sich kennerhaft zu. Mal imitieren sie Ginger Rogers und Fred Astaire, mal beißen sie beherzt in einen riesigen Luftballon, der Pizza sein soll. Perücken verrutschen, Passagen werden mit der Kamera begleitet, es wird musicalreif geträllert, Géricaults Gemälde „Das Floß der Medusa“ eingeblendet oder Rembrandts „Die Anatomie des Dr. Tulp“ nachgestellt. Petras verrückt das Selbstverständliche und macht dadurch die Strategien des menschlichen Agierens sichtbar, die billigen Träume, die Ignoranz. So führt auch das Private schließlich wieder zurück zum Gesellschaftlichen. „Scheiß Europäer“ heißt es einmal, als Paul sich in seinem Haus verbarrikadiert – womit unausgesprochen an die vielen Toten vor Lampedusa erinnert wird.

Was man macht ist wichtiger als was man ist

Vieles wird nicht stringent durchformuliert, auch als Regisseur geleitet Petras sein Publikum nicht behutsam voran, er fordert es vielmehr auf, die Regie-Ideen wie Bilderrätsel zu dechiffrieren. „5 morgen“ ist manchmal banal, manchmal verwirrend, dabei aber erfrischend und vor allem spielerisch stark. Und letztlich ist die Botschaft bestechend einfach: Als der eitle Schriftsteller dem Tod gegenübersteht, hat er seine Lektion aus der Katastrophe gelernt, „dass das, was ich mache, nicht wichtiger ist als das, was ich bin“.