Mitte der 1960er-Jahre fuhren ein paar junge Leute von Backnang nach Annonay, um die Aussöhnung mit dem Ex-Kriegsgegner zu suchen. Daraus entstanden 50 Jahre Partnerschaft – unsere Bildergalerie verrät, was Sie über Annonay wissen sollten.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Backnang - Eine halbe Nacht und einen halben Tag waren die vier jungen Leute aus Backnang Mitte der 1960er-Jahre mit ihrem Auto unterwegs nach Annonay. Sie hatten keine offizielle Einladung aus der französischen Kleinstadt in der Nähe von Lyon und auch kein Mandat des Backnanger Gemeinderats. Aber das Quartett wollte 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Städtepartnerschaft begründen. „Wir sind nur auf Landstraßen gefahren“, erzählt Rudolf Weiß. Er ist mittlerweile 72 Jahre alt und, wie er sagt, „der einige Überlebende“ der Kleingruppe mit den großen Ambitionen.

 

Weiß hatte damals gerade das Abitur bestanden, konnte ein bisschen Französisch sprechen, er war eben in die SPD eingetreten. Seine drei Mitreisenden waren auch Genossen: Martin Veigel, Walter Ortloff und Peter Odenwälder. „Walter ist gefahren, ich war Beifahrer, die beiden anderen saßen hinten und haben ständig geraucht.“ Beim Qualmen wurden Pläne geschmiedet für die Gespräche mit den Menschen in Annonay, die nicht unbedingt scharf darauf waren, freundschaftlich Banden mit Leuten aus Deutschland zu knüpfen.

Parallelen zwischen Backnang und Annonay

Warum ging die Reise ausgerechnet nach Annonay? Weiß sagt, ein paar Backnanger hätten damals gelegentlich beruflich in Annonay zu tun gehabt. In dem Städtchen habe es Gerbereien gegeben und Maschinenbaubetriebe, „wie in Backnang damals auch“. Annonay ist hügelig, wie Backnang. Ein paar Parallelen, das waren die Gründe. Die vier Tage in Annonay waren erfolgreich. Im Rathaus hatte die inoffizielle Delegation aus Backnang zwar zunächst lange warten müssen. Dann indes wurden die Schwaben vorgelassen zum Bürgermeister. Rudolf Weiß dolmetschte, was ihm mehr schlecht als recht gelang, wie er jetzt erzählt. Der Bürgermeister, sagt Weiß, sei zunächst nicht begeistert gewesen von der Idee eine Städtepartnerschaft mit der schwäbischen Kommune.

Nach ein paar arrangierten Treffen mit Schulen, Vereinen und Jugendorganisationen sowie Besuchen in Familien indes stand bald fest: Eine offizielle Delegation aus Annonay reist nach Backnang. Das Eis war gebrochen. Wenig später wurde die Städtepartnerschaft besiegelt, deren 50. Geburtstag nun Anfang September in Backnang groß gefeiert wird.

Der Backnanger Peter Freitag allerdings sagt augenzwinkernd, dass er und ein paar Kumpels noch vor dem Quartett, das mit dem verrauchten Auto angereist war, die aller ersten Kontakte nach Annonay geknüpft habe. „Stimmt“, antwortet Weiß. Freitag war schon ein Jahr vorher dort, damals 17-jährig mit einer katholischen Jugendgruppe. Während des anstehenden Jubiläumswochenendes treffen sich Peter Freitag und ein paar seiner alten deutschen und französischen Kumpels in Backnang.

„Wie könnt ihr nur einen Deutschen aufnehmen?“

Über die Jahrzehnte sind ungezählte Freundschaften zwischen Menschen aus Backnang und aus Annonay entstanden. Der Backnanger Daniel Mouratidis zum Beispiel hat den Kontakt zu seiner einstigen Gastfamilie in Annonay nie abreißen lassen. Erst kürzlich sei er zu einem 70. Geburtstag in Annonay gewesen, erzählt Mouratidis, der ehemalige Landesvorsitzende der Grünen, der jetzt stellvertretender Sprecher der Landesregierung in Sachsen-Anhalt ist. Als er Anfang der 1990er-Jahre als Austauschschüler länger in Annonay lebte, habe er noch vereinzelt Franzosen getroffen, die zu seinen Gasteltern sagten: „Wie könnt ihr nur einen Deutschen aufnehmen?“ Diese Zeiten seien „glücklicherweise“ vorbei. Das deutsch-französische Verhältnis habe sich normalisiert, „die Neugierde für den jeweils anderen ist aber leider dahin“. Das sei schade und gefährlich zugleich. Die beiden Länder brauchten sich heute mehr denn je. „Die Menschen müssen im Gespräch bleiben, das kann man nicht allein der Politik überlassen.“

Der Vorsitzende des Backnanger Partnerschaftskomitees, Michel Thobois, sagt: die Besiegelung der Verschwisterung von Annonay und Backnang sei „ein dauerndes Abenteuer“. Längst seien aus verbitterten Kriegsgegnern gute Freude, wahre Partner geworden. Die Partnerschaft sei Selbstverständlichkeit, „deren Normalität aber die Gefahr der Routine“ berge. Er will im Jubiläumsjahr auch an die Begeisterung der ersten Jahre erinnern und ruft dazu auf, die bestenden Kontakte zu intensivieren.