Es ist ein Überlebender einer wilden Zeit. Als alles möglich schien. Als man sich nicht am Asphalt festklebte, sondern Pflastersteine warf. Als man von Revolution träumte. In diesem Labor köchelte vieles vor sich hin. Glückwunsch, das Lab wird 50.

Die Angst vor einem Krieg war groß. Die Energie war knapp und teuer. Die Jugend fühlte sich von den Alten verraten. Nein, wir reden nicht von 2022. Willkommen im Jahre 1972. Während man damals die Fesseln der Moral lösen wollte, mit allen Mitteln, gerne auch verletzend und leicht größenwahnsinnig, wird heutzutage jedes Wort, jede Geste abgewogen, man fühlt sich moralisch überlegen, ist sich aber immer der eigenen Privilegien und der eigenen Schuld bewusst. Damals wollte der Linke frei sein, heute ist er gefangen in der Verantwortung für sich selbst, alle anderen, die Welt an sich.

 

Ein Überlebender

Das zeigt, was für eine Leistung es ist, dass es das Laboratorium noch gibt. Gut, allerspätestens als man Orte wie das Lab soziokulturelle Zentren nannte, war die Rebellion vorbei. Viele dieser einst in den 70er Jahren entstandenen Stätten, in denen diskutiert, geliebt, Musik gemacht, die Revolution herbeifabuliert, auch die RAF nicht nur heimlich unterstützt wurde, sind verschwunden. Weil die Aktiven alt und müde geworden sind, weil der Zeitgeist über sie hinweg ging, die Punks radikaler waren, die Popper ein schöneres Leben versprachen, die Grunger nihilistischer, das Internet die Kommunikation veränderte.

Die Ehrenamtlichen

Doch das Lab wird immer noch getragen von seinen Ehrenamtlichen. Rund 40 Menschen engagieren sich, kümmern sich um das Programm, organisieren, verkaufen, räumen auf. „Wir sind uns immer treu geblieben“, sagt Vorstand Rolf Graser, „haben uns aber auch permanent erneuert.“ Doch wie macht man das? Um das zu erläutern, reisen wir zurück ins Jahr 1964. Und bis nach Karlsruhe. Die Stuttgarter Heidi und Randi Schmid hatten damals regelmäßig den Jazzkeller Karlsruhe angemietet, um Konzerte zu veranstalten. Später fanden sie in Esslingen eine kulturelle Heimat. Bis 1972 der nimmermüde Uli Braunschweiger einen seiner 33 Jazz-Clubs an der Wagenburgstraße gründete. In der Linde. Doch den Nachbarn war es zu laut. Die Schmids übernahmen. Und der Saalanbau der Linde bekam den Namen Laboratorium. Die Linde wurde zum Schlampazius. Und im Schlauch, einem mittlerweile abgerissen Gebäudeteil wird getrunken und getanzt. Ein Bermudadreieck der alternativen Kultur.

Die Kleine Tierschau hatte hier ihren ersten Auftritt und gab sich spontan ihren Namen, Otfried Fischer, Georg Schramm, Hubert von Goisern, Urban Priol, La Brass Banda traten hier auf, als sie kaum jemand kannte. Loriot war da. Überliefert ist ein Schreiben von Randi Schmid an Reinhard Mey, er wollte Mey zu einer kleinen Tour einladen, je Auftritt für 110 Mark Gage. Reinhard Mey antwortete handschriftlich: „Lieber Herr Schmid, 10. – 16. September für die Tournee klappt bestens. In Eile, aber herzlich, Ihr Reinhard Mey.“

Besuch von der RAF

Die Exil-Chilenen feierten Solidaritätsfeste, es gab Hausaufgabenbetreuung für die Kinder von Gastarbeitern, die Anwälte der RAF-Terroristen kehrten ein, bereiteten ihre Prozesse vor. Gründerin Heidi Schmid wird in der Jubiläumsschrift zitiert: „Man kann wohl sagen, dass am Ende alle Beteiligten der RAF-Zeit mal bei uns zu Gast waren, so wie zum Beispiel Gudrun Ensslin.“ Dauernd sei man kontrolliert worden. Die Konsequenz: Man erstellte eine Galerie mit Steckbriefen von Polizisten. Wie du mir, so ich Dir.

Besuch von der Polizei

Als die Polizei mal wieder vorbeischaute, erlebten die Beamten bei der Rückkehr zu ihrem Käfer eine Überraschung. Die Gäste hatten Kieselsteine ins Auto geschaufelt. Der Wagen war zu schwer beladen, um wegzufahren. Die Polizisten blieben cool, baten darum, „dass das Auto wieder so hergestellt wird, wie es hier ankam“. Was dann auch geschah. Stein für Stein.

Die Polizei hätte man dann rufen können, als die Schmids Diebe ertappten. Die waren vom Schlampazius aus auf den Dachboden über das Lab eingestiegen, hatten es sich auf den dünnen Dämmplatten gemütlich gemacht, der Musik umsonst zugehört und kletterten via Strickleiter runter, um Schallplatten zu klauen. Die Polizei erfuhr davon allerdings nichts.

Der Boxkampf

Ein Lehrbeispiel wie Linke ihre Konflikte lösen, war auch zu erleben. Zwei K-Gruppen, so nannte man in den 70er die beinharten Maoisten und Kommunisten, hatten sich dermaßen verhakt, dass es nur noch eine Lösung gab: Einen Boxkampf im Lab. Eigens hatte man einen Ring aufgestellt, einen Ringrichter angeheuert. Jede Gruppe stellte sechs Boxer. Die einen trafen sich normalerweise in der Weinstube Eger und die anderen im Brett, und es ging trotz aller Pamphlete nicht nur um Politik. Wie Heidi Schmid verriet,ums Trinken – und vor allem um Frauen. Es seien private Rechnungen beglichen worden, wer hatte wem die Frau ausgespannt? Da spielte auch die Gewichtsklasse keine Rolle. Hauptsache es tat weh.

Behutsam saniert

Das Lab kämpft immer noch unter den Schwergewichten in der Stadt. Getragen vom Verein, der 1981 gegründet wurde. Saniert wurde es vom Eigentümer Dinkelacker vor vier Jahren. Behutsam. Ohne die Patina der Jahrzehnte zu übertünchen. Das passt gut zum Lab. Der 1954 geborene Rolf Graser wuchs nebenan auf, war Gast, machte selbst Kabarett, gestaltet das Programm mit, wurde Gründungsmitglied des Vereins, alsbald Vorstand. Und ist es bis heute.

AKW – Nee

Kontinuität und Erneuerung. Graser verkörpert beides. Als er 1998 das Forum der Kulturen gründete, konnte er in die Arbeit fürs Lab nicht mehr so viel Zeit stecken. Andere übernahmen. „Wir sind im Austausch, im Dialog“, sagt Graser, „und wenn jemand eine Idee fürs Programm hat, kann er sie auch umsetzen.“ Aber er muss sie auch selbst umsetzen, ergänzt Anette Battenberg. Sie ist seit 20 Jahren Geschäftsführerin. Und sorgt dafür, dass der Laden läuft. Und mit dem Geld auskommt. Eine Herausforderung, gerade während der beiden Pandemie-Jahre. Für sie ist das Erfolgsgeheimnis: „Viel Herzblut, vernünftige Preise und ein Stammpublikum, das immer wieder kommt.“ Seit Jahrzehnten. Und manchmal wird das Alte wieder ganz modern und aktuell. Im Lab finden sich Aufkleber, etwa jener von 1986: „Neckarwestheimer Herbst „AKW – Nee“. Oder Franz Josef Strauß, der vor Raketen und Panzern posiert. Debatten über Energie und Frieden, das kommt einem bekannt vor.