Seit einem halben Jahrhundert erfreut Gerhard Raff eine große Fangemeinde Woche für Woche mit schwäbischen Kolumnen in der Stuttgarter Zeitung. Wenn das kein Grund ist, ihn im Interview zu Wort kommen zu lassen – und zwar so, wie ihm der schwäbische Schnabel gewachsen ist.
Gerhard Raff hat in seinen wöchentlichen Kolumnen zahllose schwäbische Persönlichkeiten porträtiert und charakterisiert – längst ist der 76-Jährige selbst eine schwäbische Persönlichkeit, die ein Porträt verdient. Im Jubiläums-Interview beschreibt er sich selbst.
Herr Raff, die wichtigste Frage vorweg: Wie geht es Ihnen?
Hirn ond Gosch deant’s gottlob no - trotz fönf bloß dank göttlicher Gnade und ärztlicher Kunst überlebte wohltätigkeitsgschaftelubereibedingten Herzinfarkten em Ranzen plus zwoi ebensolchen Schlaganfällen.
50 Jahre Kolumnist. Wie hält man das durch?
Wie a Goldene Hochzich. Ond mr muess ja von ebbes lebe, wenn mr sonst älles herschenkt ond sogar als „Multimillionenstifter mit Minimaleinkommen“ globt wird.
Wie kamen Sie überhaupt dazu?
Seinerzeit hend hirnarme Hurgler en ihrer Habgier onser Degerloch en oin Betobunker verwandle ond verschandle wölle. Meine Leserbrief gege die bleede Bagasch von Profitgeier send nie druckt worde. Ond so isch des wonderbar gwä, dass die bodeguete Journalistin Uta Schlegel-Holzmann mi ihrem Chef em Tagblatt-Turm empfohle hat, der wo damals en schwäbische Schreiber gsuecht hat. Sie hat en dere sommerliche Sauregurkezeit über onsere Aktion em Waldheim Weidachtal berichtet, wo mir ennerhalb von vier Woche mit dere „Christoffel Blindenmission“ genau 666 Kender en Afrika ihr Augelicht grettet hend. Zom Beispiel mit dem Verkauf von „Degerlocher Intelligenzzwetschgen. Stück 1 Mark“ uffem Märkt. Reaktion von ara Marktbesucherin: „Ihr spinnt doch, das ist ja entsetzlich teuer!“ „Sehen Sie, es wirkt bereits. Also greifen Sie zu!“
Was macht Ihnen an dieser Arbeit Freude?
Dass es onsre Landsleut (mit Ausnahme von dene Betobachel!) so gfalle hat. Es hend sich bald 29 deutsche Verlag gmeldet, wo dadrmit a Gschäft gwittert ond die Druckrechte wölle hend. I han aber erst mein Dokter bei dem Professer Decker-Hauff en Dibenge mache wölle, ond no hat der tapfere Felix Berner aus Roteberg, der Cheflektor von dere altehrwirtebergische Deutsche Verlagsastalt en dr Neckerstraß, anno 1985 den Zueschlag kriegt – ond praktisch über Nacht ben i mit meim vielfach preisgekrönten Herr, schmeiß Hirn ra ! laut sächsischem DVA-Oberem Ulrich Frank-Planitz der „meistgelesene Dialektautor der Gegenwart“ worde – ond zwar weltweit.
Das wurde auch an höchster Stelle registriert . . .
Der amtierende Bundespräsident Richard von Weizsäcker, mein Freund, hat dichtet: „Der Geist ist rege – reger noch / Ist er jedoch – im Degerloch. / Und das beweisen, man ist baff, / der Theo Heuss und Gerhard Raff. / Der Herr schmiß beiden, nicht zu knapp, / Vom Himmel reichlich Hirn herab . . .“ Anno 1995 hat no sogar der Vicco von Bülow, ebenfalls mein Freund, die Fortsetzung „Mehr Hirn !“ illustriert. Ond des Büechle hat dem baufällige Dom em Loriot seiner Geburtsstadt Brandenburg an dr Havel laut Schatzmeister Otto Graf Lambsdorff mehr als 1,25 Millionen Mark eibracht, ond mir a – nadierlich sofort weiterverschenktes – Bundesverdienstkreuz.
Sie erinnern in Ihren Kolumnen an schwäbische Persönlichkeiten, passend zu Jahrestagen. Wen haben Sie besonders gerne porträtiert?
A gueter Vatter hat älle seine Kender gleich lieb.
Welcher Persönlichkeit, die Sie nicht erlebt, aber beschrieben haben, wären Sie gerne begegnet?
Meine drei Freundinne Mechthild von dr Pfalz (+1482), Franziska von Hohenheim (+1811) ond Keenigin Katharina (+1819).
Hat Schwäbisch eine Zukunft?
Hermann Bausinger selig hat ja emmer behauptet, des Schwäbische dät nie aussterbe. Uff dem Grabstoi von Josef Eberle, dem Gründer, Herausgeber und Chefredakteur der „Stuttgarter Zeitung“ ond begnadete Dialektdichter en Raotteburg stoht: „Bald wird der lautere Klang des lebendigen Schwäbisch verstummen.“ Ond onter ons, i ben da au nemme so arg hoffnungsfroh für „die neben Griechisch und Lateinisch wichtigste Kultursprache des Abendlandes“. Irgendwie hend sich da die Nazi doch durchgsetzt: „Der Entwicklung unseres Volkes zur einheitlichen Nation stehen zweifellos die Mundarten, die Dialekte im Wege. Es kann deshalb nur das Ziel des Reiches sein, die Einheit auch in der Sprache anzustreben. Die Hochsprache ist mit Takt zu pflegen; es ist so zu verfahren, daß jede Förderung der Mundarten unterbleibt“ . Zitat: Robert Heinrich Backfisch alias Robert Wagner, Reichsstatthalter und Gauleiter von Baden. Wie schee, dass es da wenigstens no a Weile den Herr Kretschmann – ond hoffentlich au mi – gibt. Aber was kommt no drnach?
Gerhard Raff
Werdegang
Am 13. August 1946 wurde Gerhard Raff in Degerloch geboren, wo er bis heute lebt und arbeitet. In Tübingen studierte er Geschichte und evangelische Theologie und promovierte mit der ersten Prospographie der Grafen, Herzöge und deren Gemahlinnen des Hauses Württemberg. Die Arbeit erschien 1988 unter dem Titel „Hie gut Wirtemberg allewege I“. Drei weitere Bände folgten. Mit den Einnahmen aus Band zwei finanzierte Raff den Bau einer Pilgerherberge am spanischen Jakobsweg, in der Pilgerinnen und Pilger aus Baden-Württemberg bis heute kostenlos übernachten dürfen, wenn sie ein Gedicht von Schiller, Hölderlin, Mörike oder eines anderen schwäbischer Dichters aufsagen oder ein Lied von Silcher singen können.
Auszeichnung
Im vergangenen Jahr zeichnete Ministerpräsident Winfried Kretschmann Raff für seine Verdienste um das Land Baden-Württemberg mit der Staufermedaille in Gold aus. Zu diesen Verdiensten gehört auch seine intensive „nulltarifliche und spesenfreie „Benefizschwätzerei“, mit der er im Laufe der Jahrzehnte durch Verzicht auf Honorare „einen zweistelligen Millionenbetrag“ („Schwäbische Zeitung“) an Spenden zusammengetragen hat.
Kolumnen
Seit dem 8. Mai 1973 erscheinen Raffs schwäbischen Geschichten in der „Stuttgarter Zeitung“, seit 1996 die wöchentliche Kolumne „Raffs Raritäten“, dank derer er nach eigenen Worten „als Nebenprodukt seither über 150 Denkmäler in sieben europäischen Ländern errichten konnte“. red