Die Stadtbibliothek in Ulm wird 500 Jahre alt. In ihrer langen Geschichte hat die Büchersammlung Feuer, Kriegen und wirtschaftlichen Interessen getrotzt. Zwar nimmt die Internetbedrängnis zu – doch jetzt wird erst mal gefeiert.

Ulm - Wer weiß, was in noch einmal 500 Jahren ist – ob dann auf Papier gedruckte Bücher nur noch staunenswerte Relikte hinter Vitrinenglas sind und Bibliotheken staubige Museen für ein schrulliges Publikum, das mit dem Rücken zu den Zeitläuften steht? Noch ist es jedenfalls nicht so weit, noch können öffentliche Bibliotheken eine kulturelle Aufgabe erfüllen, wie es die Bücherleihbörsen des Internets nicht vermögen. Sie sind dann, im besten Fall, Begegnungsorte ganzer Stadtgesellschaften und Erziehungsstätten für Schüler, die an die Macht und Faszination des gedruckten Wortes herangeführt werden und unter fachkundiger Anleitung lernen können, dass qualifizierte Datenbankrecherche mehr, viel mehr bedeutet als das Eintippen von Stichworten in die Google-Suchmaschine.

 

In Ulm jedenfalls ist das so. Dort feiert die Stadtbibliothek einen würdigen Geburtstag. Am 1. April 1516 hat der Ulmer Münsterpfarrer Ulrich Krafft seine Buchsammlung von rund 400 Folianten dem Rat der Freien Reichsstadt vermacht. Krafft, der nicht nur Gottesmann war, sondern ein weithin bekannter Jurist, wollte seine Werke über die Juristerei, die Theologie und den Humanismus per Testament keineswegs dem Zugriff des gemeinen Volkes ausgesetzt sehen – er dachte an eine den Geweihten und Eingeweihten vorbehaltene Gelehrtenbibliothek. Aber in der heraufziehenden Renaissance hielt die Beschränkung nicht lange, und der Stadtrat machte aus der Klerikerbibliothek ein öffentliches Bücherhaus, baute dafür beim Münster ein neues Gebäude und kaufte zu. Bis zum Jahr 1800 war der Bibliotheksbestand auf rund 50 000 Titel angewachsen. Heute beherbergt die Bibliothek rund 600 000 „Medien“, also neben Büchern auch CDs, DVDs, Zeitungen und Zeitschriften.

Architektonische Begeisterung zu Gunsten des Buches

Es kam der Krieg und noch ein Krieg, aber immer retteten irgendwelche verantwortungsvollen Stadtverordneten die Büchersammlung vor den Feuern. Und viel später, da waren schon die neunziger Jahre angebrochen, konnten schließlich auch Forderungen aus Reihen der Kommunalpolitik abgewehrt werden, die Bücherei müsse sich durch Leihgebühren ein für allemal selber tragen.

Stattdessen ist es in der Stadt nach der Jahrtausendwende zu einem architektonischen Begeisterungsausbruch zu Gunsten des gedruckten Buches gekommen. Am 1. Februar 2004 eröffnete, nach dreijähriger Bauzeit, zum ersten Mal die neue Zentralbibliothek neben dem historischen Rathaus, eine Glaspyramide, gebaut von dem Kölner Architekten Gottfried Böhm. Die Ulmer Spitzgiebelfreunde jaulten auf. Aber die Mehrheit in der Stadt bildeten sie nicht.

Schnell haben die Ulmer ihre Bibliothek lieb gewonnen. Rund 20 000 Ausweisinhaber, rund 600 000 Besucher und mehr als eine Million Ausleihen jährlich, das ist im   Verhältnis zur Einwohnerzahl nicht schlecht. Für die Kulturbürgermeisterin Iris Mann ist die Stadtbücherei nie mehr wegzudenken. Sie sei, mit ihren wertvollen historischen Beständen, für die wissenschaftliche Forschung interessant, sagt die Bürgermeisterin. Vor allem aber als kulturelle Institution, um gerade Kinder ans Lesen und damit an die Bildungsgesellschaft heranzuführen. Jedes Jahr gibt es dazu Dutzende Veranstaltungen mit Schulklassen, bei denen es darum geht, den Umgang mit Onlinedatenbanken wie dem Munzinger-Archiv, der Brockhaus-Enzyklopädie oder dem „Spiegel“-Archiv zu erlernen.

Die Zahl der E-Books soll erhöht werden

Es wäre geheuchelt zu behaupten, die Ulmer Stadtbibliothek habe den Kampf sowohl gegen die veränderten Informationsgewohnheiten durch das Internet oder die Unbildung ganz allgemein gewonnen. In Zukunft, sagt der Bibliotheksdirektor Martin Slatzki, werde der Freihandbestand in den Regalen angesichts des digitalen Wandels um wohl mehrere Tausend Titel abnehmen müssen. Dafür sollen, wenn möglich, mehr E-Books ausgeliehen werden. So steht es auch in einer im vergangenen Jahr vom Gemeinderat verabschiedeten Zielkonzeption zur Stadtbibliothek, die bis ins Jahr 2022 reicht. Bis dahin, so die Forderung, sollen mehr Kinder die Zentralbibliothek mit ihren Stadtteilablegern benutzen, soll die Beratungsqualität durchs Personal steigen und soll die Zahl der Ausweisinhaber „stabilisiert“ werden.

Das Jubiläumsjahr könnte helfen, das Interesse am gedruckten Wort in der Stadt nochmals zu heben. Was es auf Dauer nutzt, weiß zwar niemand, aber Hoffnung gibt es immer. Die Klerikerbüchersammlung des Pfarrers Krafft hatte gegen den Geist ihrer Zeit auch nicht ankommen können. Dafür entstand etwas anderes, Besseres.

Das Programm zum Jubiläum

Von Anfang April bis Oktober reicht ein Festprogramm, das rund 100 Veranstaltungen umfasst. Dazu gehört ein zentrales Stadtfest am 30. April in der Ulmer Glaspyramide. Es schließen sich wochenweise Führungen, Lesungen und Autorengespräche an – zum Beispiel mit Andreas Eschbach am 6. Mai. Im Bibliotheksfoyer werden bibliophile Schätze gezeigt. Mit dem Titel „Abenteuer aus fünf Jahrhunderten“ ist das Kinderprogramm überschrieben. Dazu gehören interaktive szenische Lesungen mit Schauspielern, sogenannte Abenteuer-Lesungen etwa über Ferdinand Magellan, die Titanic oder James Cook, oder auch Werkstätten, in denen Papier geschöpft oder ein Buchcover gestaltet werden kann. Am 24. Oktober, dem Tag der Bibliotheken, endet das Buchfeierjahr in Ulm. Und es wird politisch. Aus ganz Süddeutschland reisen Fachleute an, um über die Zukunft der Bibliotheken zu debattieren und Visionen zu entwerfen. Der Eintritt ist frei.