Nach dem Großalarm in Stuttgart-West: Um kurz nach halb sechs war alles vorbei und der Sprengkörper entschärft. Zuvor waren mehrere Straßenzüge evakuiert worden.

Stuttgart - Diesen Anblick kennt man im Stuttgarter Westen nicht mal an Heiligabend: Es herrscht absoluter Stillstand in der Rotebühlstraße. Eine knappe Stunde lang könnte man auf der Hauptschlagader des Autoverkehrs im Westen spazierengehen – aber es durfte sie niemand mehr betreten. Die Polizei sperrte wegen eines Blindgängers aus dem Zweiten Weltkrieg ein Gebiet im Umkreis von 300 Meter um den Fundort an der Ludwigstraße ab und evakuierte die Straßenzüge. Um 17.05 Uhr waren die Straßen geräumt, um 17.10 machten sich die Fachleute des Kampfmittelbeseitigungsdienstes an die Entschärfung. Der erlösende Satz kam dann um 17.30 Uhr über den Polizeifunk: Die amerikanische Fliegerbombe ist entschärft, es gibt Entwarnung an der Ludwigstraße im Hinterhof des Generationenhauses West. Während der 20-minütigen Aktion fuhren auch keine S-Bahnen mehr die Haltestellen Feuersee und Schwabstraße an.

 

Für Sven Dennerle ist es der zweite Einsatz dieser Art in dieser Woche gewesen. Zusammen mit seinem Kollegen Christoph Rottner hat er den Blindgänger in der Baugrube unschädlich gemacht. „Sieht aus wie neu“, sagte er nach getaner Arbeit und präsentierte den Zünder. Christoph Rottner wischte den Dreck der vergangenen sieben Jahrzehnte von dem Sprengkörper, um zu zeigen, dass sogar noch die Typbezeichnung M102 sowie das Herstellungsdatum April 1943 zu erkennen sind.

Evakuierung aufwendiger als beim Fund in Feuerbach

„Wir gehen davon aus, dass sie wohl durch ein Haus geschlagen ist und dann im Boden stecken blieb“, sagte Rottner. Die Bombe war für solche Einschläge konzipiert: SAP 1000lbs heißt der Typ, das steht für eine halb gepanzerte Bombe mit einem Gewicht von 1000 Pfund. Der Zünder war am Heck angebracht. Wie Sven Dennerle und Christoph Rottner sie genau entfernten, das verrieten sie nicht. Nur so viel: „Ein Gewinde, das 70 Jahre lang nicht mehr bewegt worden ist, löst man nicht so leicht.“ Rund 22 000 Bomben seien von den Alliierten auf Stuttgart abgeworfen worden. Die Blindgängerquote habe bei zehn Prozent gelegen. Rottner: „Wie viele noch im Boden liegen, wissen wir nicht.“

Nicht nur wegen der gewaltigen Sprengladung mitten im dicht besiedelten Stuttgarter Westen war die Entschärfung am Freitagnachmittag aufregend für alle Beteiligten. Die Evakuierung vor der Entschärfung übertraf bei weitem den Einsatz, den Polizei und Rettungskräfte schon am Dienstag in einem Feuerbacher Wohngebiet absolviert hatten, wo eine 250-Kilo-Bombe geborgen und 3700 Menschen in Sicherheit gebracht werden mussten. Im Westen mussten die Sicherheitskräfte dafür sorgen, dass etwa 5000 Menschen den Gefahrenbereich verlassen. Erst fuhr die Polizei mit Lautsprecherwagen durch die Straßen, dann gingen Beamte von Tür zu Tür und klingelten. 50 Personen trafen sie noch an, 28 Bewohner musste das DRK mit Krankenliegen abholen. Betroffen waren im Westen außer rund 3000 Schülern auch die rund 170 Mitarbeiter des städtischen Gesundheitsamtes und 1000 Beschäftigte bei der Württembergischen Versicherung sowie die Patienten und das Personal der Kinder- und Jugendpsychiatrie . Mit einem Hubschrauber suchte die Polizei kurz vor Einbruch der Dunkelheit die Straßen auch noch aus der Luft ab.

Anlieger reagieren mit Gelassenheit und Neugier

„Ich muss jetzt nachher halt noch mal ins Büro zurück und die Rechner ausschalten“, sagte die Journalistin Annik Aicher. Sie blieb ebenso gelassen wie Winnie Sailer, die mit ihrer Mutter am Bismarckplatz wohnt. „Ich bin sogar froh, so etwas mal mitzumachen“, sagte sie, „es ist beruhigend, wie sich die Polizei und die Helfer kümmern.“

Geduldig warteten auch der sechsjährige Linus und sein vierjähriger Bruder Emil auf das Ende der Absperrung. „Die Jungs freuen sich über die vielen Polizeiautos“, erzählte ihre Mutter Vera Neidhart in der von der Stadt eingerichteten Sammelstelle im Bürgerzentrum West. Gegen 18 Uhr normalisierte sich das Leben im Stuttgarter Westen allmählich wieder.