Rheinhold Reichle hat Geschichte und Geschichten aus dem vorderen Remstal mit der Kamera gesammelt, festgehalten und archiviert. Am Donnerstag zeigt er in der Glockenkelter in Kernen-Stetten den Film „Wengerter und andere Leut“.

Der Mann mit der Kamera ist für die Menschen im vorderen Remstal ein vertrauter Anblick gewesen. 55 Jahre hat Rheinhold Reichle, der in Kernen-Rommelshausen aufgewachsen ist, lange Zeit in Berglen gelebt hat, wohin es ihn, nach einigen Jahren in Sillenbuch, nun auch wieder zieht, ihre Geschichte und Geschichten, aber auch die Veränderungen ihrer Lebenswelten festgehalten. „Ich habe die einfachen und die angesehenen Leute gefilmt“, sagt der 79-Jährige. Sein Filmvortrag „Wengerter und andere Leut“ ist an diesem Donnerstag von 19.30 Uhr an in der Glockenkelter in Kernen-Stetten zu sehen.

 

Wengerter sind Leute wie Margarethe und Hans Haidle aus Stetten, Werner und Margret Kuhnle aus Strümpfelbach, Hildegard Hermann aus Korb oder Gerhard Maile aus Rommelshausen. Andere Leut, das sind der Wetterprophet Ulrich Paul aus Schwaikheim, die Integrationsexpertin Christa Jooß und der Syrer Mahjoub Muhamad aus Berglen, der Künstler Karl Ulrich Nuß aus Strümpfelbach oder die Lammwirtin Emile Schrage aus Steinreinach, genannt d’s Emile. Rheinhold Reichle hat sie alle reden lassen, genauso wie Hermann Medinger, den „Mendel“ aus Stetten, der bei einer Rede Hitlers in Stuttgart das Übertragungskabel kappte.

In Berglen hat er sich als Protestler den Zorn der Altvorderen zugezogen

Rheinhold Reichle – das „h“, das er nur im Rahmen seiner künstlerischen Tätigkeit seinem Vornamen mit einem Augenzwinkern hinzufügt, ist sein Markenzeichen – ist schon immer ein wenig anders gewesen. Als er als junger Mann in Berglen lebte, von 1974 bis 1994, hat er den Zorn der Altvorderen auf sich gezogen, als er dagegen protestierte, dass alte Häuser abgerissen und Neubauten weichen mussten. „Damals habe ich mir ein paar Feinde in der Politik geschaffen, aber mittlerweile sind wir wieder versöhnt.“ Das ist gut so, denn Reichle sitzt in seiner Wohnung in Sillenbuch auf gepackten Umzugskisten. Denn im April kehrt er nach 30-jährigem Exil in Stuttgart wieder ins Remstal zurück. „Ich zieh mitten rein nach Berglen-Oppelsbohm.“

Schon als Bub habe er eine „freche Gosch“ gehabt, erzählt Reichle, der als Zehnjähriger für den Kinderfunk entdeckt wurde. Bei einem Auftritt mit dem Kinderfunk-Chor in der Caterina-Valente-Show erwachte seine Liebe für das Medium. „Die ganzen Kameras und was damit möglich war, hat mich fasziniert.“ Sein großer Traum, vom Filmemachen zu leben, hat sich nie erfüllt, aber der gelernte Industriekaufmann, der eine Werbeagentur hatte, hat sein Hobby professionalisiert.

Längst ist Rheinhold Reichle so etwas wie das „Remstäler Gedächtnis“ geworden. Er war in Kernen und Berglen unterwegs, in Steinreinach, Korb und Schwaikheim und hat seinen Fokus auf die Menschen, Tiere und die Pflanzen gerichtet, sowie auf den Wandel im Flecken. Möglichst authentisch und ungeschönt hat er alles dokumentiert – und anfangs nachsynchronisiert, weil er sich eine Tonkamera nicht leisten konnte. Und wie ein kleiner Lausbub kann sich Rheinhold Reichle noch heute darüber freuen, dass die Gäste der Seemühle in Stetten, die er in fröhlicher Runde sitzend gefilmt hat, genau in dem Moment die Lippen spitzten, in dem das Lied erklingt, das er darunter gelegt hat.

Reichles Werk zeigt den Wandel der Zeit und der Technik

Mittlerweile hat Reichle sein Filmmaterial digitalisiert, 150 Stunden Geschichte und Geschichten umfasst sein Archiv, von denen „vielleicht 40 Prozent nutzbar sind“, sagt er. Aus qualitativen Gründen. Denn nicht nur das vordere Remstal, sondern auch die Technik hat sich entwickelt. Anfangs, erzählt er, sei er mit einer Normal-8-Kamera, dann mit Doppel-8- und Super-8-Filmapparaten unterwegs gewesen, später dann mit einer digitalen Kamera und schließlich mit dem Smartphone.

Egal, welches Medium er in der Hand hielt, er hat den Leuten stets aufs Maul geschaut – und auf die Hände, denn auch die Veränderungen der Arbeitswelt, sei es in der Landwirtschaft oder im Handwerk, hat er festgehalten, in seinen Filmen sind Pferde- und Kuhgespanne zu sehen und Vollernter in den Weinbergen. Er habe nie kritische Filme machen wollen, hat er einmal gesagt, sondern das Leben im Ort dokumentieren: „Wie es ist und wie es sich verändert.“ Und so hat Rheinhold Reichle der Kargheit früherer Tage, von der beispielsweise der 102-jährige Karl Haidle in dem Film „Damals in Stetten“ erzählt, gerne mal die Fülle und Üppigkeit der heutigen Zeit gegenübergestellt.