Für autonome Autos, Fern-Operationen und intelligente Fabriken braucht es ein neues Netz. Jetzt gibt es für den Mobilfunk einen internationalen Standard, an dem auch die Stuttgarter Bell Labs mitgewirkt haben. Damit ist der Weg für Investitionen und neue Geschäftsmodelle frei.

Geld/Arbeit: Daniel Gräfe (dag)

Barcelona - Auf der Mobilfunkmesse in Barcelona prangt ein Kürzel auf den Ständen, als habe sich die komplette Branche darauf eingeschworen. „5G“ steht auf den Werbebannern von Netzausrüstern wie Nokia, Netzbetreibern wie der Telekom, Chip-Herstellern wie Intel und von Smartphone-Produzenten wie Samsung. 5G steht für die fünfte Mobilfunk-Generation, die derzeit die Branche elektrisiert. Sie soll das viel gepriesene Internet der Dinge mit seinen vernetzten Geräten, Menschen, Häusern und Städten Realität werden lassen.

 

Von der Öffentlichkeit praktisch unbemerkt wurde im Dezember vergangenen Jahres der internationale Standard in Lissabon beschlossen, korrekt 5G New Radio genannt. Jahre zuvor hatte die Branche daran gearbeitet, dass Parksensoren, Fabrikroboter, Smartphones, Computeruhren und Fahrzeuge die gleiche Sprache sprechen können, wenn sie sich miteinander vernetzen. Bis 2020 wird es je nach Schätzung bis zu 100 Milliarden internetfähige Sensoren und Geräte geben. In Zukunft werden das Mobilfunknetz und das Festnetz mit weiteren Anwendungen verschmelzen und ein Kommunikationsnetz bilden, das mit dem heutigen wenig zu tun hat. „Es wird die Art, wie wir kommunizieren und interagieren, verändern“, sagt Mats Granryd, der Chef der Industrievereinigung der Mobilfunker GSMA.

Jetzt können die Firmen Milliarden investieren

Der Standard für das neue Mobilfunknetz ist der entscheidende Durchbruch. Jetzt können die Firmen verlässlich Milliarden in den Aufbau investieren und neue Geschäftsmodelle erschließen. Die Deutsche Telekom testet bereits. In einem Szenario lässt sie Reparaturen von Maschinen einer Fabrik aus der Ferne dirigieren. Dabei werden aus der Ferne Anweisungen auf die Datenbrillen der Techniker eingeblendet. Mit dem aktuellen Mobilfunkstandard ist die Verbindung bisher nicht stabil genug und die Übertragung verzögert. „Datenbrillen werden zu den Bedienungsanleitungen des 21. Jahrhunderts gehören“, kündigt Technologievorstand Claudia Nemat an.

Das 5G-Netz soll dafür die Voraussetzungen schaffen. Daten können damit bis zu 100-mal schneller als bisher übertragen werden – das Ziel sind fünf Gigabyte in der Sekunde. Außerdem sollen gesendete Daten praktisch ohne Verzögerung zum Empfänger gelangen. Im aktuellen Mobilfunknetz der vierten Generation benötigen sie im Schnitt 25 Millisekunden. Bei 5G soll die Übertragung – die so genannte Latenzzeit - weniger als in einer Millisekunde abgeschlossen sein. Das ermöglicht auch das autonome Fahren: Selbstfahrende Autos müssen in weniger als einer Millisekunde die richtigen Entscheidungen treffen können, wenn sie mit den Hunderttausenden Sensoren, die der Stadtverkehr der Zukunft vernetzt, kommunizieren. Außerdem soll das neue Netz extrem zuverlässig werden, Aussetzer werde es praktisch nicht mehr geben und weitaus mehr Menschen, Maschinen und Sensoren könnten dieselbe Funkzelle nutzen, heißt es. Dann könnte künftig auch eine Chirurgen-Koryphäe aus Oslo aus der Ferne und in Echtzeit einen Patienten in Stuttgart operieren – wenn das komplette 5G-System steht.

Nokia sieht sich als Schrittmacher

Nokia sieht sich selbst als Schrittmacher auf dem Weg zum Netz der Zukunft. „Bei der Infrastruktur geben wir das Tempo an“, sagt 5G-Experte Volker Ziegler. Tatsächlich haben auch die Nokia Bell Labs, die weltberühmte Forschungseinrichtung des Konzerns, einen Teil zur Standardisierung beigetragen – darunter auch der Standort in Stuttgart. Der Beitrag habe dabei geholfen, die Flexibilität des Funknetzes für unterschiedliche Anwendungen zu verbessern.

Das hilft auch der Industrie im Südwesten, für die das neue Netz eine entscheidende Rolle spielt. In den Fabriken könnten die bisher meist kabelgebundenen Roboter über das neue Netz gesteuert werden und flexibler agieren, betont Ziegler. Er erhalte Nachfragen auch von den kleineren Unternehmen des Landes, die ihre Geschäftsmodelle auf das neue Netz abstimmen wollten. Dass sich dem Südwesten mit 5G gerade bei der Automatisierung der Produktion sowie bei der Mobilität Chancen eröffnen, bestätigen auch andere Branchenexperten. „Die Industrie wird 5 G vorantreiben, heißt es bei der Telekom, die ihrerseits die Tests beim autonomen Fahren mit ihrem Netz unterstützt. „Wir gehen davon aus, dass wir 2020 mit 5G starten – bis dahin wird es aber noch viele Tests geben.“

Der Netzausrüster Nokia will schon zum Jahreswechsel die ersten Anwendungen schaffen, kündigte Präsident Rajeev Suri bereits am Sonntag an. Dabei stehen zuerst die Anwendungen für die Geschäftskunden und Industrie im Fokus. Schließlich sind die 5G-Endgeräte, die zurzeit weiterentwickelt werden, noch mehrere Pizzaschachteln groß.

Der Südwesten könnte bei den Industrie-Anwendungen punkten

Und wie sieht es mit den aktuellen Versuchen der anderen Anbieter aus? Bei den Anwendungen für Verbraucher hätten Südkorea, China, Japan und die USA derzeit die Nase vorn, sagt 5G-Experte Ziegler. Bei den Olympischen Spiele in Pjöngjang kam bereits ein abgespecktes 5G-Netz von Korean Telecom zum Einsatz, das allerdings nicht mit dem aktuellen Standard operierte. Dabei waren die Zuschauer virtuell ganz nah an den Ereignissen dran, konnten ihre Perspektiven variieren und Bilder nach Belieben anhalten.

Für Deutschland und Europa sieht Ziegler vor allem Chancen bei der künftigen Vernetzung des Automobil- und Maschinenbaus. „Da bin ich zuversichtlich. Der Wert von 5G für die Wirtschaft ist groß, deshalb ist der neue Standard so aufregend.“