Die vom Bodensee stammende Dramatikerin ist vor ein paar Jahren nach Freiburg gezogen. Und prompt vermisst sie jetzt ihren alten Balkon im Quadrat L 14.

 

Ausgerechnet seitdem ich nicht mehr in Mannheim lebe, sehne ich mich nach Mannheim. Inzwischen gibt es bei mir sogar eine Art Mannheimverklärung, die sich nicht mehr darum kümmert, ob Mannheim schön oder hässlich ist. Vielleicht wirkt in Mannheim alles ein wenig unwirklicher als in anderen Städten. Die warmen, nach Brezel riechenden Winde, die an Sommerabenden durch die Planken sausen. Die BASF nebenan – wie ein Spielzeug aus dem 19. Jahrhundert. Im Sommer auf der Rheinterrasse unter Platanen sitzen wie in einem Monetbild. Um die Ecke das Gefühl, als sei man in Paris. Dann wieder Siebziger-Jahre-Hochhäuser, die fast schon etwas von Ruinen haben. Jedes noch so idyllische Versprechen wird hier sofort enttäuscht. Mannheim ist – wohin auch immer man blickt – ein Fast, ein Beinahe. Nie kriegt man von etwas zu viel, aber auch nie genug. Nicht vom Hässlichen, nicht vom Schönen. Von keiner Stadt kenne ich soviel Kunst am Bau, die vor sich hinrostet. Lauter alt gewordene Zukunftsversprechen. Man möchte sie am liebsten vor ihrer eigenen Behauptungshärte in Schutz nehmen. Stehe ich vor ihnen, merke ich vor allem, wie wenig man sich aussuchen kann, woran man hängt.

Es gibt viele Städte, in denen man hätte auf einem Balkon sitzen können wie ich vor fünfzehn Jahren, nur dass meine Adresse L 14 hieß und Mannheim in Quadraten angelegt ist, die Schneisen für Licht und Wind schaffen, durch die ein Sonnenuntergangslicht flutet, als sei die Stadt von mehreren Abendsonnen umzingelt. In vielen Städten gibt es Innenhöfe, in die sich an Sommerabenden Schwalben stürzen, während vom oberen Balkon Knackgeräusche zu hören sind, wenn Herr Sims sich seine Zehennägel schneidet, die Jahr für Jahr auf meinen Balkon rieselten. Doch es würde dort überall jenes Mannheimer Licht fehlen. Dieses messingscharfe und dabei alles in eine Ferne rückende Licht.


Große Jubiläumsbeilage 60 Jahre Baden-Württemberg am Samstag, 21. April 2012 in der Stuttgarter Zeitung.