Vor 60 Jahren trat die Landesverfassung in Kraft. Sie ist Ausdruck der Eigenstaatlichkeit Baden-Württembergs. Doch trotz diverser Reformen des Föderalismus geraten die Länder immer mehr in den Schatten des Bundes.

Stuttgart - Es gab doch bereits ein Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, weshalb brauchte es da noch eine Verfassung für Baden-Württemberg? Diese Frage mag aufwerfen, wer sich über den – genau genommen um einen Tag verspäteten – Festakt wundert, der heute im Stuttgarter Neuen Schloss an das Inkrafttreten der Landesverfassung vor 60 Jahren erinnert: am 19. November 1953, 9 Uhr, gewann die Landesverfassung Rechtskraft; eineinhalb Jahre nach der Geburt des neuen Bundeslandes am 25. April 1952 und vier Jahre nach Gründung der Bundesrepublik. Erster Ministerpräsident war der FDP/DVP-Politiker Reinhold Maier, der neben den Liberalen die SPD sowie den BHE (Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten) in seine Regierung aufnahm. Die CDU stellte zwar die größte Parlamentariergruppe in der verfassungsgebenden Landesversammlung, verblieb aber zunächst in der Opposition.

 

Weshalb aber eine Verfassung fürs Land? Die Antwort gab das Bundesverfassungsgericht in mehreren Urteilen, in denen den deutschen Ländern eine staatliche Souveränität zugestanden wurde, die nicht vom Bund abgeleitet ist. Das Grundgesetz macht dazu nur einige allgemeine Vorgaben. „Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern“, so heißt es in Artikel 28, „muss den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen.“ Die Landesverfassung wiederum verweist in Artikel zwei pauschal auf den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes als „Bestandteil dieser Verfassung und unmittelbar geltendes Recht“. Die Bundesländer, so erhellt sich aus alledem, sind nicht nur Verwaltungseinheiten. Sie erschöpfen sich auch nicht in ihrer Rolle als Identität stiftende, folkloristisch untermalte Ausläufer einer weit ins Mittelalter zurückreichenden partikularistischen Vergangenheit. Vielmehr wird ihnen eine eigene Staatlichkeit zugesprochen, zu der eben auch eine Verfassung gehört.

Zwei Entwürfe standen damals zur Debatte. Die CDU legte im Verfassungsausschuss einen Entwurf vor, der etwa neben dem Landtag einen Senat als zweite Kammer vorsah. Dort sollten Kommunalvertreter, Berufs- und Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften sowie die Kirchen ihren Platz finden. Vergleichbares gab es in Bayern, wurde dort aber, weil unnötig, per Volksentscheid abgeschafft und beendete zum Ablauf des Jahres 1999 seine Existenz. Außerdem plädierte die CDU für die Volkswahl eines vom Parlament nur teilweise abhängigen Staatspräsidenten, wie ja auch die Weimarer Verfassung noch die Direktwahl des Reichspräsidenten kannte. Die Regierungsfraktionen hingegen machten sich das parlamentarische System ganz zu eigen. Nach dem Vorbild des Grundgesetzes sollte der Ministerpräsident nur mit einem konstruktiven Misstrauensvotum, also mit der Wahl eines Nachfolgers, gestürzt werden können. So stand es dann auch in der Verfassung.

Streit um die Bekenntnisschulen

Der CDU gelang es jedoch, für Württemberg-Hohenzollern die christlichen Bekenntnisschulen, also die Konfessionsschulen, zu retten, die sich bis dahin neben den christlichen Gemeinschaftsschulen gehalten hatten. Letztere unterrichten Katholiken und Protestanten gemeinsam, mit Ausnahme des Fachs Religion. Mit den heutigen Gemeinschaftsschulen hat das aber nichts zu tun. Erst die große Koalition unter Hans Filbinger (CDU) beendete auf Druck der SPD 1967 per Verfassungsänderung die Bekenntnisschulen.

In seiner Rede zur 50-Jahr-Feier der Landesverfassung verlangte der damalige Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) mit Verve eine Abkehr von „zentralistischen Tendenzen“ in der deutschen Verfassungsentwicklung. Unter anderem beklagte er, dass die konkurrierende Gesetzgebung von Bund und Ländern – wer zuerst zugreift, hat das Regelungsrecht – „fast ausnahmslos zum Bund gegangen“ sei. Und er monierte, dass der Bund sich mit Mischfinanzierungen immer mehr in die Länderkompetenzen hineindränge. Das Ergebnis brachte Teufel auf die Formel: „Im heutigen System des Föderalismus sind Bund und Länder für alles zuständig, aber niemand ist für irgendwas verantwortlich.“

Der Befund fand damals viel Beifall. Und es tat sich etwas. Zwei Föderalismuskommissionen mit einigen Erfolgen bei der Trennung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern später sieht es aber so aus, als habe sich der Wind erneut gedreht. Die Länder gieren nach Geld für mehr Ganztagsschulen und für die Hochschulen. Das Kooperationsverbot in der Bildungspolitik, so heißt es unisono, habe sich nicht bewährt. Das sieht auch der Bund so, doch Geld gibt er nur gegen Mitsprache, was wiederum zumindest die selbstbewussten Länder wie Baden-Württemberg nicht akzeptieren wollen. Die Verfassungsentwicklung, so zeigt sich, ist niemals abgeschlossen.