Die Stadt Ulm gedenkt der Hinrichtung der Geschwister Scholl vor 70 Jahren mit einer Reihe von Vorträgen, Lesungen und einem Theaterstück. Außerdem ist ein Buch über Sophis ältere Schwester Inge Aicher-Scholl erschienen.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ulm - Von der Verhaftung bis zur Ermordung war alles fürchterlich schnell gegangen. Am 18. Februar 1943 wurden Hans und Sophie Scholl festgenommen, als sie, Mitglieder der Widerstandsbewegung „Weiße Rose“, Flugblätter im Lichthof der Universität München auslegten. Drei Tage später wurden sie zum Tod verurteilt und am 22. Februar, zusammen mit Christoph Probst, hingerichtet. Am 13. Juli wurden auch die Gruppenmitglieder Kurt Huber und Alexander Schmorell enthauptet, Willi Graf starb am 12. Oktober durch das Fallbeil.

 

Keines der Gruppenmitglieder ist seither so bewundert, ja ikonisiert worden wie die Ulmerin Sophie Scholl. 70 Jahre nach ihrem Tod erinnern Ulmer Kulturinstitutionen mit einer Veranstaltungsreihe an die junge Frau und ihre Familie. Michael Sommer, Schauspieldramaturg am Ulmer Theater, hat ein Stück geschrieben, es heißt „Antigone/Sophie“. Es verknüpfe die Geschichten der beiden mythischen Figuren, kündigt Sommer an. Beide Frauenfiguren hätten ja gegen staatliche Herrschaft gekämpft, seien festgenommen und zum Tod verurteilt worden. Beide seien „erhobenen Hauptes“ in diesen Tod gegangen.

Das Theaterstück (Premiere: 9. März) ist Teil eines größeren Veranstaltungsprogramms, an dem auch die Volkshochschule Ulm und das Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg beteiligt sind. Das Fort Oberer Kuhberg, einst von den Nationalsozialisten als Konzentrationslager für politische Gefangene benutzt, ist seit langem eine Gedenkstätte. Hier, vor einer „monumentalen militärischen Machtarchitektur“, so Sommer, wird das Theaterstück auch aufgeführt.

Theater, Vorträge, Lesungen

Dazu zeigt das Theater den Film „Fünf letzte Tage“ von Percy Adlon aus dem Jahr 1992, veranstaltet Podiumsdiskussionen und Lesungen bis in den Mai hinein. Zu Vorträgen, szenischen Lesungen und Gesprächen über Sophie Scholl und andere Mitglieder der Weißen Rose lädt auch die Volkshochschule ein. Am Samstag, 23. Februar, wird es außerdem eine Stadtführung mit dem Titel „Die Scholls in Ulm 1932 bis 2013“ geben. Die Tour führt an den ehemaligen Wohnhäusern der Familie Scholl vorbei, auch am Untersuchungsgefängnis im Frauengraben, in das die ganze Ulmer Familie nach der Ermordung von Hans und Sophie geworfen wurde. Auch die Volkshochschule, von Inge Aicher-Scholl zu einer bundesweit beachteten Stätte der intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Naziterror gemacht, ist so eine historische Station.

Nur sechs Schauspieler bietet das Ulmer Theater für das Stück Antigone/Sophie auf. In der Fokussierung auf Sophie Scholl sieht der Theatermacher Sommer „eine Auseinandersetzung mit dem Mythos“. Oder schreibt er den Mythos weiter? „Das weiß ich nicht“, sagt Sommer dazu. Familienmitglieder, auch die noch lebende Elisabeth Hartnagel-Scholl, haben sich, zumal nach dem 2004 erschienenen Kinofilm „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ von Michael Verhoeven, stark gegen die Überhöhung Sophies gestellt.

Das Einvernehmen mit der Familie hat der Stückeschreiber Michael Sommer nicht eingeholt, wie er sagt. So wird die Ulmer Erinnerungswoche wohl leider ohne Elisabeth Hartnagel-Scholl vonstatten gehen.

Neues Buch: Puzzleteile eines Frauenlebens

Die sanfte Gewalt“, so ist Inge Aicher-Scholl, die Schwester von Hans und Sophie Scholl, von Wegbegleitern bewundernd genannt worden. Und so lautet auch der Titel eines gerade erschienen Buches, das von Christine Abele-Aicher, der Schwiegertochter der Buchhauptfigur, herausgegeben wurde. Es handelt sich nicht um eine klassische Biografie, sondern um ein erzählerisches Puzzlewerk, zu dessen Mitwirkung die Herausgeberin fast 50 Zeitzeugen eingeladen hat. Ihre Schwiegermutter habe sie als „taffe, harte Frau, die ihre Ziele gnadenlos durchgesetzt hat“ wahrgenommen, sagt Christine Abele-Aicher. Aber auch als eine Frau, „die in der Tiefe sehr verletzt war“ und die nicht in einer Opferrolle verharrt habe.

Mit ihrem Mann, dem Designer Otl Aicher, baute Inge Aicher-Scholl in Ulm die Hochschule für Gestaltung (HfG) auf. Sie sammelte dafür Millionenspenden, gründete und leitete dazu die Ulmer Volkshochschule, schrieb das Buch „Die Weiße Rose“. Das erste ihrer fünf Kinder, Eva, kam behindert zur Welt, Inge Aicher-Scholl kümmerte sich zeitlebens um Eva, gründete, auch das scheinbar nebenher, in Ulm eine Ortsstelle des Vereins „Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind“. In Mutlangen saß sie unter die Demonstranten gegen die atomare Aufrüstung.

Die großen Lebenslinien Inge-Aicher Scholls sind bekannt, die Aufsatzsammlung ermöglicht, jedenfalls bei jenen Autoren, die über einen Grußwortton hinausfinden, einen fast mikroskopischen Blick auf diese Frau, die 1998 in Rotis im Allgäu starb. Dieser Blick bestätigt, was sich ahnen lässt: Eine solche Lebensleistung hat mit Leichtigkeit nicht viel zu tun, dafür alles mit Selbstdisziplin, Strenge, manchmal Rücksichtslosigkeit, auch Selbstquälerei. Der Tag begann früh und endete oft spät abends an der Schreibmaschine. Mit die schönsten Details der Textsammlung stammen von der früheren Köchin der Aichers, Rosa Salzgeber, die beschreibt, wie sie sich gegen Otl Aichers Wutanfälle wehren musste und wie sie befremdet darüber war, dass in diesem Haushalt scheinbar keine Zeit für Vertrautheiten war. Hildegard Hamm-Bücher sah eine Getriebene, mit der sie sich dennoch sehr verbunden gefühlt habe. „Bei aller Sanftheit ihres Wesens war sie unglaublich zäh, in moralischen Grundsatzfragen unerbittlich“. Sie habe sich „als einzige Vollstreckerin des politischen Erbes ihrer Geschwister“ gesehen.

Was genau trieb Inge Aicher-Scholl an? Das Buch liefert manche Deutung, die vielleicht klügste stammt von Helena Aicher, einer Enkelin Inge Aicher-Scholls. Sie schreibt: „Die Vergangenheit, insbesondere der Verlust ihrer jüngeren Geschwister Hans und Sophie, für deren Tod sie sich als ältere Schwester möglicherweise (unbewusst) verantwortlich fühlte, und das Verschwinden ihres Bruders Werner, hatten tiefe Spuren bei ihr hinterlassen.“ Und: „Möglicherweise hatte sie damit zu kämpfen, dass Sophie so viel Beachtung erhielt, und versuchte dies durch ihr Engagement und ihre Disziplin zu kompensieren.“

In einem ihre späten Texte schrieb Inge Aicher-Scholl selber einmal: „Ich begriff, dass das Alleinsein gelernt werden musste. Das erinnernde Schreiben war eine sinnvolle Arbeit, die solche Situationen bewältigen hilft.“ Das gilt wohl auch für die Nachkommen Inge Aicher-Scholls, die für die Sammlung Beiträge geliefert haben. Der ganze Band ist ja eigentlich ein Familienbuch: Also auch da, um zu trösten und zu verstehen.

Christine Abele-Aicher:
Die sanfte Gewalt. Erinnerungen an Inge Aicher-Scholl. Jan Thorbeke Verlag. 175 Seiten, 19,90 Euro.