Vor 725 Jahren wurde Oberaichen erstmals urkundlich erwähnt. Das wahre Alter ist nicht zu bestimmen, obwohl es Zeugnisse einer keltischen Siedlung gibt.

Oberaichen - Vor 725 Jahren, am 17. Juni 1287, wurde Oberaichen als „obernaichach“ zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Dieses Datum sagt jedoch wenig über das wahre Alter des Ortes aus. Bereits in der Latnezeit (5. - 1. Jahrhundert v. Chr.) gab es eine keltische Siedlung bei Oberaichen. Davon legt eine auf der Oberaicher Höhe im Gewann Kühtorhau erhalten gebliebene keltische Vierecksschanze Zeugnis ab. Die eigentliche Gründung Oberaichens erfolgte im hohen Mittelalter. Damit gehörte der Weiler nicht zur ältesten Siedlungsschicht der Zeit der Landnahmezeit (5. - 7. Jh. nach Chr.), der die auf -ingen endenden Orte (z.B. Echterdingen, Plieningen) zugerechnet werden.

 

Der Inhalt der Urkunde

Gegen Ende des 13. Jahrhunderts tritt Oberaichen nun durch eine Pergament-Urkunde des Klosters Bebenhausen ans Licht der Geschichte. Wir haben das Schriftstück einem Angehörigen des Hochadels, nämlich dem Markgrafen Heinrich von Burgau, zu verdanken. Er hat die Urkunde am 17. Juni 1287 ausgestellt. Die Burgauer waren mächtige Landesherren, deren Besitzungen schwerpunktmäßig in Bayerisch-Schwaben, um Augsburg herum, lagen. Sie waren aber auch im Stuttgarter Tal, um den Schönbuch herum und auf den Fildern begütert. Als enge Verwandte der Habsburger und der Württemberger verfügten sie über weitreichende Beziehungen, die bis nach Südtirol reichten. In der Urkunde werden außerdem das Kloster Bebenhausen, Ritter Wolfram von Bernhausen, ein Angehöriger des niederadligen Zweiges der Herren von Bernhausen sowie Graf Eberhard I. von Württemberg (1265-1325) als weitere Beteiligte genannt.

Eine Art Entschädigung

Ihr Inhalt ist wenig spektakulär; es geht um eine Besitzübertragung. Markgraf Heinrich von Burgau bestätigt, dass er dem Ritter Wolfram von Bernhausen seinen Hof in Oberaichen („obernaichach“; mittelhochdeutsch „aichach“ = Eichenwald) übertragen hat; Graf Eberhard I. von Württemberg stimmt dem zu. Dabei handelte es sich wohl um eine Art Entschädigung für Wolfram von Bernhausen. Denn dieser hatte wenige Monate zuvor – im Februar 1287 – seine Zehntrechte („Laienzehnt“) in Plieningen, die er ebenfalls von Markgraf von Burgau zu Lehen erhalten hatte, an das Kloster Bebenhausen verkauft. Auch dieser Vorgang wird in der Urkunde bestätigt.

Im Feudalzeitalter war der Zehnt eine Art Naturalsteuer, ein begehrtes Herrschaftsrecht, das seinen Inhaber berechtigte, den zehnten Teil des Ernteertrags einzuziehen. Ursprünglich war der Zehnt eine an die Kirche zu leistende Abgabe (Kirchenzehnt), die zum Unterhalt der Kirche diente. Allmählich geriet er auch in weltliche Hände („Laienzehnt“). Der Zehnt ruhte bis Mitte des 19. Jahrhunderts als Reallast auf den Feldern.

Die Herren von Bernhausen trennten sich natürlich nicht freiwillig von dieser wichtigen Einnahmequelle. Der Verkauf beleuchtet schlaglichtartig die schlechte wirtschaftliche Situation der ehemaligen staufischen Ministerialen nach dem Zusammenbruch des Stauferreichs. Viele ehemalige Dienstmänner und Gefolgsleute der Staufer, die dem niederen Adel angehörten, befanden sich nun auf dem absteigenden Ast. So erging es auch den Herren von Bernhausen und anderen Ministerialen auf den Fildern wie auch den Herren von Echterdingen. Sie alle hatten die Herrschaft der Staufer vor Ort gesichert und der Bevölkerung Schutz und Schirm geboten. Nach dem Zusammenbruch des Stauferreichs war ihnen die wirtschaftliche Basis entzogen; sie mussten von der Substanz, von dem Verkauf ihres Besitzes leben. Es kam zu einem regelrechten Ausverkauf der Güter. So mussten sich die Herren von Bernhausen von weiteren Gütern und Rechten, die sie auch in Echterdingen, Leinfelden und Stetten hatten, nach und nach trennen.

Das Esslinger Katharinenspital

Heftige Konkurrenz auf den Fildern

Der Ausverkauf der Bernhäuser ging weiter: 1294 verkaufte der Sohn Wolframs, Marquard von Bernhausen, just die Güter in Oberaichen, die seinem Vater von Heinrich von Burgau zugesprochen worden waren, an das Spital in Esslingen: „huser, schüeren, garten, wisen, acker, weiden, weld, wasser mit aller zugehörd“ wechselten für 31 Pfund Pfennig Hällischer Währung (= Heller) den Besitzer. Zum Esslinger Spital und damit zum Territorium der Freien Reichsstadt Esslingen gehörten seit 1285 auch Möhringen und seit 1297 Vaihingen – eine heftige Konkurrenz auf den Fildern für die aufstrebende Grafschaft Württemberg.

Güterzersplitterung durch Realteilung

Das Katharinenspital betrieb in Oberaichen einen Hof, der ein Haus mit Garten und eine 1,5 Morgen (= 0,47 ha) große Wiese, 25 Äcker mit 74 Morgen (= 23,3 ha) und fünf Wiesen mit elf Morgen (= 3,47 ha) umfasste. Der Hof wurde vom Spital als Erblehen an Möhringer Bürger verliehen, was eine weitgehende Verfügungsgewalt für die Inhaber bedeutete. Das Spital blieb der Obereigentümer, an den die Abgaben zu leisten waren.

Im frühen 16. Jahrhundert wurde der Hof geteilt und immer mehr parzelliert. 1603 teilten sich ihn 22 Personen. Jetzt kamen nicht nur Auswärtige, sondern auch Unteraicher Familien bei der Bewirtschaftung der Teilhöfe zum Zuge. Der Grundherr – in unserem Fall das Esslinger Spital – sah die durch die Realteilung bedingte Güterzersplitterung nicht gern und versuchte die Einheit des Hofes durch die Einführung des sogenannten Trägersystems aufrechtzuerhalten. Danach wurde einer der Teilinhaber zum Träger bestimmt. Er hatte die auf dem Lehen ruhenden Abgaben anteilsmäßig bei seinen Mitinhabern zu erheben und sie an die Herrschaft abzuliefern. Dies war mit Sicherheit keine dankbare Aufgabe. Als Träger im 17. und 18. Jahrhundert werden Christoph Pommer, Hans und Michael Kercher, Melchior Reinhardt, Michel Stebler, Jakob und Jerg Stierlen sowie Martin Stoll genannt.

Das Kloster Bebenhausen

Bebenhäuser Höfe nicht erhalten

Neben dem Esslinger Spital fasste auch das Kloster Bebenhausen am Ende des 13. Jahrhunderts in Oberaichen Fuß. Ritter Wernher von Neuhausen, genannt der „Tuzzer“, ein weiterer verarmter ehemaliger Ministerialer, verkaufte seine Güter und Rechte „ze Obernacha“ im April 1292 an die Zisterzienser. Das von den Pfalzgrafen von Tübingen 1187 gegründete Kloster Bebenhausen verfügte über umfangreichen Grundbesitz, vor allem in der Gegend von Tübingen, Stuttgart, im Remstal, im Zabergäu, auf der Schwäbischen Alb und am Rande des Schwarzwaldes. Auf den Fildern war es in Leinfelden, Musberg, Ober- und Unteraichen sowie in Plieningen, Bernhausen, Möhringen, Degerloch und insbesondere in Echterdingen begütert. Dort legen noch heute die ehemaligen Fronhöfe des Klosters, die Maierhöfe, vom Besitz und der Herrschaft der Mönche Zeugnis ab. Aber auch in Unteraichen besaß Bebenhausen vier Höfe, von denen keiner erhalten geblieben ist.

Papst Gregor IX. hatte dem Kloster Bebenhausen bereits am 8. März 1229 seine zahlreichen Besitzungen („possessiones“) bestätigt und es unter seinen Schutz genommen. Unter den aufgezählten Besitzungen werden auch die „in der Eich“ genannt. Damit ist Oberaichen oder Unteraichen gemeint. Wegen dieser Unklarheit wird das Jahr 1229 nicht für die erste urkundliche Erwähnung Oberaichens herangezogen. In dieser Urkunde werden zahlreiche Orte, unter anderem Stuttgart, aber auch Musberg und Stetten, erstmals erwähnt.

Ora et labora

Nach dem Selbstverständnis des Zisterzienser-Ordens sollten die Mönche eigentlich von der eigenen Hände Arbeit leben („ora et labora“ – „bete und arbeite“). Da das Kloster aber zur Eigenbewirtschaftung seines riesigen Streubesitzes personell nicht in der Lage war, wurden die Güter an ortsansässige Bauern verliehen. So auch in Oberaichen. 1356 besaß das Kloster in Oberaichen 60 Jauchert (= 28,3 ha) Äcker, 10 Jauchert (= 4,7 ha) Wiesen und 52 Jauchert (= 24,5 ha) Wald und war damit größter Grundbesitzer vor Ort. Die Güter wurden an fünf Oberaicher Bauern namens Kunberger, Rentz, Frech, Hofseß und Vogler verliehen, die hierfür jährlich entsprechende Geld- und Naturalabgaben leisten mussten. Die genannten Namen sind zugleich die ältesten überlieferten Oberaicher Familiennamen.

Die Abgaben waren beträchtlich

Die Güter wurden wohl um 1400 zu einem Hof („Maierhof“) vereinigt. Im Jahr 1547 hatten insgesamt elf Personen Anteile an dem Hof, dessen Träger Hans Geiger war. Im 17. Jahrhundert hießen die Träger Stebler, Stierlin und Pommer (Bommer) – wiederum alte Oberaicher Familiennamen. Die Abgaben waren beträchtlich, beliefen sich teilweise auf ein Viertel bis ein Drittel des Ernteertrags. Dazu kamen die Abgaben des kleinen und großen Zehnten, die auch für das Kloster zu erbringen waren.

Württemberg zieht die Herrschaft an sich

Neben Bebenhausen besaß auch das Kloster Denkendorf seit dem frühen 15. Jahrhundert einen Hof in Oberaichen. Er wurde als Erblehen an 13 Ober- und Unteraicher Bauern ausgegeben. Als Hofträger sind im 16. Jahrhundert Hans und Michael Geiger bekannt. Einer der letzten Träger war um 1820 Friedrich Burkhardt.

Oberaichen wird württembergisch

Im Laufe des 14. Jahrhunderts gelang es der Grafschaft Württemberg, auf den Fildern und in Oberaichen immer mehr Fuß zu fassen und die Ortsherrschaft an sich zu ziehen. Wie dies im Einzelnen vor sich ging, ist unklar. Den Einstieg bildete wohl nicht württembergischer Grundbesitz, sondern die Leibherrschaft. Sie ist für die Mitte des 14. Jahrhunderts in Oberaichen bezeugt. Nach einer Leibeigenenliste aus dem Jahr 1604 hatte Württemberg in Oberaichen die Leibherrschaft über 14 Männer, 16 Frauen und 31 Kinder. Wenig später ist dann auch ein württembergischer Hof in Oberaichen nachgewiesen.

Nach dem Zusammenbruch der Stauferherrschaft war in Süddeutschland ein Machtvakuum entstanden, von dem vor allem die Württemberger profitierten. Sie galten als Sieger des Territorialisierungsprozesses des späten Mittelalters. Es gelang ihnen, zur wichtigsten politischen Kraft im mittleren Neckarraum aufzusteigen und die Landeshoheit zu gewinnen. Zu diesem Zweck betrieben sie eine kluge, planmäßige Territorialpolitik. Vorteilhafte Heiraten, Kauf oder Tausch von Rechten und Gütern, Erwerb von Vogteien etc. waren die Instrumentarien, mit denen die Württemberger ihr Gebiet erweiterten und arrondierten. Oberaichen war ein kleiner Baustein in diesem Mosaik. Die Zugehörigkeit zu Württemberg hatte für den Weiler im Städtekrieg zwischen Württemberg und der Freien Reichstadt Esslingen allerdings fatale Folgen: 1449 wurde Oberaichen wie Leinfelden, Unteraichen und weitere Filderorte von Esslingen in Brand gesteckt.

Eine Zehntscheuer gebaut

Nach der Einführung der Reformation durch Herzog Ulrich 1534 verbreiterte sich die wirtschaftliche Basis Württembergs: Sämtliche Güter der inzwischen aufgelösten Klöster kamen in seinen Besitz. Württemberg wurde so auch Rechtsnachfolger des Klosters Bebenhausen. Die grundherrlichen Abgaben und den Großen Zehnten mussten die Oberaicher Bauern ab 1535 an die herzogliche Kastkellerei bzw. die Bebenhäuser Pflege in Stuttgart leisten. Im Jahr 1784 ließ letztere eine Zehntscheuer in Oberaichen erbauen – sie wurde längst abgerissen.

Filderorte kamen zum Amt Stuttgart

Die Württemberger gingen im 15. Jahrhundert daran, ihren umfangreichen neuen Besitz in Ämter einzuteilen und so eine landesherrliche Verwaltung aufzubauen. Die Filderorte kamen zum Amt Stuttgart. Innerhalb dieses Amtes wurde ein Unteramt eingerichtet, das 1524 erstmals urkundlich erwähnte Leinfelder Ämtlein. Hierzu zählten Oberaichen, Unteraichen, Leinfelden, Musberg, Stetten, Hof und Weidach sowie sieben Mühlen im Reichenbachtal. Leinfelden wurde Verwaltungssitz des „Leinfelder Ämtleins“, das in dieser Form bis 1810 bestand.

Zum Kirchgang nach Musberg

War Leinfelden quasi der politische Mittelpunkt des Ämtleins, so war Musberg der kirchliche und schulisches Zentrum der westlichen Ämtleinsorte. Musberg hatte als erster Ort in Württemberg nach der Reformation im Jahr 1563 die ersehnte eigene Pfarrei erhalten. Oberaichen zählte von da an – wie Leinfelden und Rohr – zum neuen Pfarrbezirk Musberg. Die Oberaicher mussten nun viele Jahre lang zum Gottesdienst nach Musberg gehen. Die Kinder betraf dies genauso: Sie gingen nach Musberg in die Schule. Daran änderte sich lange Zeit nichts. Erst 1897 erhielt Oberaichen ein eigenes Schulgebäude, nachdem das zehn Jahre zuvor errichtete Gemeindehaus mit dem charakteristischen Glockentürmchen zum Schul- und Rathaus umgebaut worden war. 1964 schließlich kam es zur Gründung der evangelischen Pfarrei Oberaichen und zur Einweihung der Friedenskirche.