75 Jahre Bundespartei Wie die CDU das Land geprägt hat
Seit 75 Jahren besteht die Kanzlerpartei auf Bundesebene. Sie hat die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland entscheidend beeinflusst.
Seit 75 Jahren besteht die Kanzlerpartei auf Bundesebene. Sie hat die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland entscheidend beeinflusst.
Die CDU war schon an der Macht, als sie auf Bundesebene noch gar nicht existiert hat. Seit 1945 gab es Landesverbände der Christdemokraten. 1949 wurde mit dem ehemaligen Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer eine ihrer prägenden Figuren zum Bundeskanzler gewählt.
Als Bundespartei formierte sie sich jedoch erst ein Jahr danach. Das feierten Adenauers Nachfahren an diesem Mittwochabend mit einem Festakt. In ihrer Mitte: wiederum ein CDU-Kanzler – Friedrich Merz. Er repräsentiert jedoch eine Partei, die viel von ihrer einstigen Stärke eingebüßt hat.
Adenauers Partei konnte in den Anfängen der Bundesrepublik auf keine vergleichbare Kontinuität und langjährige Tradition zurückblicken wie die konkurrierende SPD. Deren Wurzeln reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück, in die Zeit vor dem Deutschen Kaiserreich. Die CDU war hingegen eine Erfindung der Nachkriegszeit. Sie knüpfte an Traditionen des katholischen Zentrums an, wollte aber auch das protestantische Milieu mit einbinden. Dieses konfessionsübergreifende Grundverständnis spiegelt sich im Begriff der „Union“.
Organisatorisch war die CDU lange eine Honoratiorenpartei. Erst in den 1970er Jahren wandelte sie sich in eine moderne Mitgliederpartei. Friedrich Merz ist überhaupt der erste von bisher zehn Bundesvorsitzenden, der durch einen Mitgliederentscheid ins Amt kam – und dies erst im dritten Anlauf. Solche innerparteilichen Kapriolen wären in den Anfangszeiten der Union undenkbar erschienen. Die CDU hatte lange Zeit deutlich weniger Mitglieder als die SPD. Anfangs waren es 360 000, am Ende der Adenauer-Ära nur noch 249 000. Zu Helmut Kohls Zeiten zählte sie nach der Wiedervereinigung 790 000 Mitglieder – da hatte die SPD fast eine Million. Inzwischen liegen beide Parteien fast gleichauf bei 365 000.
Gemeinsam mit ihrer bayrischen Schwesterpartei, der CSU, führte die Union in 55 von 76 Jahren Bundesrepublik die Bundesregierung und stellte sechs von zehn Kanzlern. Sie steht für maßgebliche Weichenstellungen: Adenauer forcierte die Westbindung und die Wiederbewaffnung. Unter seiner Ägide wurde Deutschland Mitglied der Nato. Er engagierte sich auch für eine politische Zusammenarbeit auf europäischer Ebene. Der Kurzzeit-Kanzler Ludwig Erhard, lange Jahre Adenauers Wirtschaftsminister, galt als „Vater des Wirtschaftswunders“ der späten 1950er Jahre und prägte das Verständnis von einer sozialen Marktwirtschaft, der sich alle seine Nachfolger verpflichtet fühlten. Kohl war der Regisseur der Wiedervereinigung – die er gegen Widerstände aus der SPD entschlossen vorantrieb.
Im Verbund mit der CSU verbuchte die Union in 31 nationalen Wahlen seit Bestehen der Bundesrepublik (21 Bundestags- und zehn Europawahlen) 27 Mal die meisten Stimmen. Bei der Bundestagswahl 1957 erreichte sie mit 50,2 Prozent sogar die absolute Mehrheit. Kohl gelang dies 1983 (48,8 Prozent) fast noch einmal. Angela Merkel schrammte 2013 dank der vielen Direktmandate der Union nur knapp an einer absoluten Mehrheit der Sitze im Bundestag vorbei – worüber sie aus parteitaktischen Gründen eher erleichtert war.
Das Ergebnis der Union bei der letzten Bundestagswahl im Februar dieses Jahres (28,5 Prozent) liegt fernab jener Erfolgswerte. Noch schlechter war das Wahlresultat vier Jahre zuvor (24,1 Prozent). Aber auch Adenauer hatte bei seiner ersten Wahl als Kanzlerkandidat nur 31 Prozent erzielt.
Aktuell regiert die Union in neun der 16 Bundesländer mit. In sieben Ländern stellt die CDU den Ministerpräsidenten. Auf Landesebene hat sie in ihrer Geschichte auch wiederholt absolute Mehrheiten erreicht: in Baden-Württemberg zum Beispiel von 1972 bis 1984 (mit maximal 56,7 Prozent), in Rheinland-Pfalz ebenfalls viermal, in Sachsen dreimal. Heute erscheinen solche Ergebnisse selbst für die CSU in Bayern unerreichbar. Das beste Wahlergebnis der CDU auf Länderebene in den vergangenen Jahren waren 43,4 Prozent 2022 in Schleswig-Holstein. In bundesweiten Umfragen liegt sie aktuell zwischen 24 und 27 Prozent.
Auffällig ist zunächst der hohe Zuspruch bei Wählern über 60. Deren Anteil an der Wählerschaft insgesamt wächst. Anders verhält es sich mit der „bis heute treuesten Wählergruppe“, wie der Politikwissenschaftler Frank Decker schreibt: das sind praktizierende Christen. Von ihnen vertrauen fast zwei Drittel ihre Stimme der Union an. Doch ihr Anteil an der Bevölkerung ist zuletzt stark geschrumpft. Decker zufolge war der weibliche Wähleranteil der Union bis in die 1990er Jahre stets höher als der männliche – obwohl die C-Parteien bis heute stark männlich geprägt sind. Das Verhältnis habe sich mit der Jahrtausendwende umgekehrt. Merkel zuliebe haben 2009 und 2013 wieder überwiegend Frauen die CDU gewählt. Inzwischen ist das wieder anders.
Was die Berufsstruktur angeht, so schneidet die Union besonders gut bei Landwirten, Selbstständigen und Beamten ab. In den Merkel-Jahren konnte sie prozentual sogar mehr Arbeiter an sich binden als die SPD, die sich für eine Arbeiterpartei hält.
Entgegen einem wohlfeilen Etikett war die CDU nie eine rein konservative Partei. Sie hatte neben überzeugten Konservativen stets auch Anhänger unter liberal gesinnten Wählern und Christen, die Wert auf eine soziale Politik legen. Zu Beginn der Ära Merz gab es heftigen Widerstand gegen Bestrebungen, die das christliche Attribut in Frage stellten und die CDU als ausgesprochen „bürgerliche“ Partei verorten wollten.
Unter Merkel vollzog die CDU eine beschleunigte Modernisierung: Sie bekannte sich dazu, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei, akzeptierte die Homo-Ehe, forcierte den Kita-Ausbau und beschloss nach einigem Hin und Her den Ausstieg aus der Atomenergie – was manche bedauern.
Merkels Flüchtlingspolitik 2015 wurde zur Zerreißprobe für die Union – wie auch für die CDU intern. In den späten Merkel-Jahren geriet die CDU von zwei Seiten unter Druck: Die Grünen machten ihr den Nachwuchs des urbanen Bürgertums abspenstig, die AfD wurde für etliche von Merkel verprellte Konservative zu einer Alternative.
So erklärt sich, dass der aktuelle Parteivorsitzende Merz zunächst die Grünen, inzwischen die Rechtsaußen-Partei zum „Hauptgegner“ erklärt hat.