Bauen/Wohnen/Architektur : Nicole Golombek (golo)
Was meinen Sie damit?
Es geht nicht darum, ein Werturteil über eine Figur abzugeben, sondern darum, sich für die Beweggründe einer Figur zu interessieren. „Talent ist Interesse“, sagt Brecht. Es geht darum, Gedanken, Gefühle, Vorgänge an sich heranzulassen, die einem möglicherweise sehr fremd sind, ohne die eigene Haltung dabei aufzugeben.
Das Internet macht Wissen oberflächlich zumindest schnell verfügbar. Zudem sind die Selbstdarstellungsmöglichkeiten dank sozialer Medien gewachsen. Hat das Auswirkungen auf die Studierenden?
Was ich immer häufiger erlebe, ist die Angst, sich überhaupt zu entscheiden. Und dann auch noch dazu stehen zu müssen. Das Risiko einzugehen, auch mal in einem Fettnapf zu versinken, erfordert Mut. Aufgrund der sozialen Medien will jeder ‚gut rüberkommen’, sympathisch wirken. Weniger ausgeprägt ist der Schritt davor, nämlich sich zu fragen und dann bewusst zu entscheiden: welche Wirkung möchte ich wodurch und warum und wofür erzielen?
Im „Spektrum“ finden sich in Kurzitaten von Studierenden Wünsche nach einem erfüllenden Privatleben. Ganz schön brav. Klingt eher nach einem beschaulichen Beamtendasein als nach einer Künstlerexistenz.
Ich bin an Theatern sozialisiert, an denen Menschen arbeiteten, die all die Mitbestimmungs- und Demokratisierungsbemühungen der 68er mitgemacht haben. Die sind weitgehend gescheitert. Mitbestimmung ist in künstlerischen Prozessen nicht immer der Königsweg. Dennoch finde ich es notwendig, dass die Jungen sich zusammenschließen und für ihre Rechte streiten. Von der tariflich festgelegten Mindestgage von 1850 Euro brutto kann man kaum leben, wenn man in einer Stadt mit so horrenden Mieten wie in Stuttgart, München oder Hamburg lebt. Freizeitausgleich für Überstunden wird es am Theater wohl eher nicht geben.
Viele berühmt gewordene Schauspieler berichten, dass man ihnen an der Schauspielschule Talentlosigkeit bescheinigt hat. Wie ist das möglich? Lässt sich Talent, Charisma nicht sofort erkennen?
Ansatzweise schon, aber es lässt sich nicht absehen, was daraus wird. Wir irren uns immer! (lacht). Naja, fast immer. In der Schule haben Studierende Zeit zu wachsen, nach der Schule geht es aber erst wirklich los. Und da kann dann manchmal auch erst nach Jahren etwas mit den Künstlern geschehen, durch die Begegnung mit Kollegen, mit einem Regisseur.
Sie nehmen acht Studenten pro Jahrgang auf. Sind die Schwierigen die Besseren?
Sagen wir so: Freundlichkeit und Talent verhalten sich nicht unbedingt proportional zueinander. Hoffnungsvoll machen mich immer die Eigenwilligen, die etwas wollen. Ein Studierender, der sich auseinandersetzen will, der uns fordert, ist für uns Lehrer ein Geschenk. Ärgerlich ist nur Bequemlichkeit.
Studenten bewerben sich erst an X Schulen und verlieren dann die Lust, wenn sie sich unter 500 Konkurrenten durchgesetzt haben?
Was ich meine, ist die Trägheit der Seele. Wenn ein Schauspieler schon am ersten Tag meint, alles zu wissen, wenn er zu schnell zufrieden ist. Dabei bietet der Beruf etwas Einmaliges: die Chance, Dinge zu erleben, zu fühlen, zu denken, die man im Leben so noch nie erlebt, gefühlt, gedacht hat. Wenn solch ein Student dann aber beginnt, sich in Frage zu stellen, wenn er eine Krise durchlebt und durchsteht – das verändert alles, dann wird alles möglich.