Mehr als ein Jahr musste unsere Berlin-Korrespondentin Katja Bauer auf dieses Treffen warten. Doch nach zwei Abfuhren und einem langen Brief lud Hannelore Kohl sie ein, sie zu porträtieren. Ein unvergessliches Treffen an einem Frühjahrstag im Jahr 1995.

Stuttgart - Ich weiß nicht mehr genau, welcher Tag es im Frühjahr 1995 war. Aber ich weiß noch, dass ich mehr als ein Jahr auf diesen Moment gewartet und wenige Stunden vorher nicht mehr an ihn geglaubt hatte. Da saß ich gerade im Zug nach Bonn – kurz vor dem Ziel. Und der Zug fuhr nicht, seit einer Stunde. Und ich hatte eine Verabredung im Bungalow des Bundeskanzlers. Mit dessen Frau Hannelore Kohl. Ich würde zu spät kommen. Ein Handy hatte ich noch nicht, also hastete ich in die erste Klasse und bettelte einen Geschäftsmann an, mich mit seinem sündteuren Hundeknochen telefonieren zu lassen. Was heute undenkbar wäre: Hannelore Kohl verschob unseren Termin etwas.

 

Bedacht darauf, nur preiszugeben, was sie wollte

Zu diesem Zeitpunkt kannten wir uns schon ein bisschen, weil ich sie bei ein paar Terminen begleitet hatte. Wir hatten eine Klinik für Hirnverletzte besucht und waren auf der Cebit gewesen. Ein Jahr zuvor hatte ich der Konferenz der Politikredaktion vorgeschlagen, diese Frau zu porträtieren. Das Schweigen der Herrenrunde war recht durchdringend. Die ein oder andere Augenbraue hob sich. Eine Frau ohne Amt und Mandat? Aber zur DNA der Redaktion gehörte nicht nur Seriosität, sondern auch zwei andere Dinge: Liberalität und der Mut zum journalistischen Versuch. „Probieren Sie es“, sagte der Chef der Seite Drei. Nach zwei Abfuhren und einem langen Brief sagte Hannelore Kohl zu.

Nun saßen wir also im Bungalow. Die Gastgeberin wie immer mit weißer Umschlagkragenbluse, die Haltung gerade, seismografenhaft aufmerksam. Sie achtete genau darauf, nur das preiszugeben, was sie wollte. Sie hatte Grund dazu. Wie tief die Verletzungen der Jahrzehnte reichten, das erzählte sie ein bisschen später doch. Eine Weile ging das Gespräch so dahin wie ein Spiel mit den immer selben Karten. Irgendwann aber musste sie über einen Wortwechsel lachen. Da blitzten ihre Augen, sie fasste auf das Tischchen neben sich und holte sich eine ihre Mentholzigaretten aus der Schachtel. „Nicht schreiben, dass ich rauche!“ Und dann erzählte sie. Wie sie die Beobachtung der Medien empfand: als stehe sie im Fadenkreuz. Weil sie glaubte, nicht zeigen zu können, was sie ausmachte.

Sprachbegabt, naturwissenschaftlich interessiert, schnell im Kopf

Wir sprachen darüber, was vielleicht aus ihr geworden wäre, hätte sie sich nicht in Helmut Kohl verliebt. Sie sagte: in ihrer Generation hätten Frauen einfach kein Rezept dafür gehabt, Kinder zu haben und gleichzeitig zu arbeiten. Das öffentliche Bild von ihr als „blondes Dummchen vom Land“, es tat ihr weh. Sie sprach vier Sprachen fließend, war brennend an Naturwissenschaften interessiert, unglaublich schnell im Kopf. Sie bestand sehr darauf, dankbar zu sein für das Leben, das sie hatte. Das ergab Sinn, als sie später im Gespräch von der Flucht der letzten Kriegstage sprach. Davon, wie sie, mit dem Gesicht nach unten, im Graben lag. Irgendwann kam Helmut Kohl in seiner dicken Strickjacke herein. Es ist komisch, das zu sagen, aber: Der Bundeskanzler störte. Er legte mir die Hand auf die Schulter und sagte: „Mädchen, schreiben Sie was Ordentliches.“ Als er ging, konnten wir weitersprechen.