Sie hatte keine Chance: Nach ihrer Geburtstagsfeier im August 2016 wurde eine 77-jährige Frau in Remseck versehentlich von ihrer Bekannten überfahren. Dafür steht diese nun vor dem Amtsgericht Ludwigsburg.

Ludwigsburg - Der 13. August 2016 ist ein herrlicher Sommertag. Ein langjährig gewachsener Freundeskreis trifft sich in Neckarrems zu Kaffee und Vesper und feiert damit den 77. Geburtstag von Marianne F. (alle Namen geändert) nach. Um 20 Uhr verabschiedet sich die Festgesellschaft vor deren Haus. Doch dann passiert ein tragisches Unglück, weshalb sich eine Freundin von Marianne F. an diesem Mittwoch vor dem Amtsgericht Ludwigsburg verantworten musste – wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung.

 

An jenem Abend ist die damals 76 Jahre alte Freundin Brigitte S. in ihren am Straßenrand abgestellten VW Touran eingestiegen. Sie wollte den Wagen um einige Meter zurücksetzen, um ihren gehbehinderten Mann einsteigen zu lassen. Dieser stand mit einem Bekannten weit genug weg oben in der Hofeinfahrt – doch für zwei Frauen, die sich in der Einfahrt nahe dem Gehsteig unterhielten, ging das Fahrmanöver fatal aus. Die 77 Jahre alte Jubilarin wurde vom Hinterrad des Touran zunächst überrollt, dann etwa fünf Meter weit mitgeschleift; anschließend wurde ihr Kopf gegen eine Betonmauer gedrückt. Sie starb noch an der Unfallstelle. Auch die 72 Jahre alte Gertrud K. kann dem buchstäblich heranrasenden Fahrzeug nicht mehr ausweichen. Sie trug erhebliche Prellungen am gesamten Körper davon und leidet bis heute unter den Folgen der Verletzungen, wie sie vor Gericht aussagte.

Kein technischer Defekt

Obgleich der Fall klar zu sein scheint – die Beschuldigte leugnete den Unfall nie – ging es bei der Gerichtsverhandlung vor allem um eines: Hat Brigitte S., die nach eigener Aussage von allen Freunden als eine „absolut sichere und versierte Autofahrerin“ bezeichnet wird, versehentlich zu fest aufs Gaspedal gedrückt, oder lag ein technischer Defekt vor, wie sie bei ihrer ersten Vernehmung durch die Polizei gemutmaßt hatte? Unklar ist zudem, weshalb sie zunächst rückwärts fuhr, dabei ihre Bekannte tötete, dann anhielt und nochmals kräftig Gas gab, um weitere 15 Meter zu fahren und dabei die andere Freundin verletzte.

Eindeutig geklärt werden konnte am Mittwoch zunächst nur die Frage nach dem technischen Defekt; diesen konnte ein Gutachter klar ausschließen. Nach einer ersten technischen Überprüfung, als auch nach einer Probefahrt konnte man mit Gewissheit sagen, dass der VW zum Unfallzeitpunkt in technisch einwandfreiem Zustand war. „Die Bremse war funktionsfähig, es gab keine Auffälligkeiten und keinerlei Hinweise darauf, dass das Gaspedal geklemmt haben könnte“, berichtete der Gutachter.

Vielmehr sei die Frau in dem Moment, in dem sie sich nach hinten umgedreht habe, offenbar zu fest aufs Gaspedal gekommen und habe dies bis zum Anschlag durchgetreten. Dabei habe sie vermutlich eine Geschwindigkeit von bis zu 15 Stundenkilometern erreicht. „Das war eine extrem zügige Anfahrtsbeschleunigung. Mehr gibt das Auto technisch nicht her.“

Die Opfer hatten keine Chance

Die Frauen, die dort standen, hätten keine Chance gehabt, dem Auto auszuweichen, so der Experte. Seine Berechnungen ergaben zudem, dass vom ersten Gasgeben bis zur ersten Kollision mit der 77-jährigen Frau gerade einmal eineinhalb Sekunden vergangen sein konnten. Hätte man den Fahrfehler bemerkt und eine sofortige Vollbremsung eingeleitet, hätte das Auto noch einen Weg von etwa sieben Metern zurückgelegt; der Zusammenprall geschah allerdings bereits nach etwa fünf Metern.

Mehrere Zeugenaussagen stützten die Aussagen des Gutachters. „Es war ein lautes Dröhnen, wie von einer Rakete, dann gab es einen Schlag“, erinnert sich das Unfallopfer Gertrud K. Von einem aufheulenden und sehr lauten Motorengeräusch berichten auch die Nachbarn. Der Verteidiger der Angeklagten sah sich am Mittwoch „außerstande, ein Plädoyer zu halten“. Zu groß sei seine Verantwortung für seine Mandantin. Diese befindet sich seit kurzem in psychologischer Behandlung. Ein Urteil wird für Montag, 3. April, erwartet.