80 Jahre Kriegsende in Denkendorf Zeitzeugen: Eine „hohle Zeit“ voller Ungewissheit und ohne Perspektive

Richard und Hilde Müller sowie Karl Westermann (von links) erinnern sich noch gut an die Tage des Kriegsendes. Foto: Ulrike Rapp-Hirrlinger

Am 8. Mai vor 80 Jahren kapitulierte die deutsche Wehrmacht. In Denkendorf war der Zweite Weltkrieg bereits im April 1945 vorbei. Zeitzeugen erinnern sich an diese historischen Tage.

Sie waren damals noch Kinder. Und doch haben sich Hilde Müller und ihrem Mann Richard, 91 und 92 Jahre alt, wie auch Karl Westermann (90) der 20. und 21. April 1945, die Tage des Kriegsendes in Denkendorf, ins Gedächtnis eingebrannt. Natürlich habe man es kommen sehen, sagt Karl Westermann. Schon Tage vor dem 20. April gingen bange Blicke in Richtung Neuhausen. Von dort sah man schließlich die französischen Panzer heranrücken. Insgesamt jedoch kam Denkendorf glimpflich davon.

 

Der 20. April, als Hitlers Geburtstag ein offizieller Feiertag, sei stets der Tag gewesen, an dem man als Zehnjähriger ins Jungvolk aufgenommen wurde. „Die Feier wurde auf den 18. April 1945 vorverlegt“, erinnert sich Westermann. Für den jungen Karl, dessen Familie wie auch die von Hilde und Richard Müller, den Nazis kritisch gegenüberstand, war das kein Tag der Freude: „Den Ausweis hat die Familie gleich verbrannt.“ Vom Klosterhof sollte es zur „Hitlerlinde“ hinaufgehen. Doch schon unterwegs wurde die Gruppe beschossen.

Der Volkssturm gibt ohne Widerstand auf

Bereits am 12. April war der Sulzbach-Viadukt von deutschen Pionieren gesprengt worden – eine unsinnige Maßnahme, da die Talquerung umgangen werden konnte, wie Reinhard Mauz, der sich intensiv mit der Denkendorfer Ortsgeschichte befasst, erklärt. Für Schulkinder wie Karl Westermann, der die Sprengung aus der Ferne beobachtete, war das allerdings ein spannender Anblick.

Die Friedrichstraße im Krieg Foto: Rapp-Hirrlinger

Heinrich Werner, damals evangelischer Pfarrer in Denkendorf, vermerkt in seinen Aufzeichnungen, dass in den folgenden Tagen die französischen Truppen immer nähergekommen seien und Scharnhausen und Neuhausen besetzt hätten. Die Straße zwischen Neuhausen und Denkendorf wurde beschossen. Weil kaum Gegenwehr kam, blieb der Ort selbst nahezu verschont. Dennoch starben laut kirchlichem Sterberegister am Abend des 20. April sieben Menschen, vermutlich Durchreisende, die in einem Behelfsheim in der Eichersteige 7 untergebracht waren, sowie ein Kind in der Deizisauer Straße 21 durch Beschuss. Eine Person wurde in der Karlstraße schwer verletzt. Zwei deutsche Kriegsgefangene wurden wenig später laut Pfarrer Werner „von betrunkenen französischen Soldaten ohne Grund erschossen“. Um 23 Uhr gab der Volkssturm, laut Mauz „alte Männer und junge Buben“, ohne Widerstand auf. Überhaupt leisteten die Denkendorfer wenig Gegenwehr. Zwar sei der Ortsbüttel gekommen und habe alle Bewohner aufgefordert, den Ort zu verlassen, „doch wohin hätten wir auch gehen sollen“, fragt Richard Müller. „Meine Oma sagte, wir bleiben hier. Die Denkendorfer hatten schon immer ihre eigenen Köpfe“, ergänzt seine Frau Hilde.

Die örtlichen Parteiorgane lösten sich auf, viele flohen und „alle Parteiabzeichen verschwinden wie ein Spuk“, berichtet Werner über den 20. April. Nicht wenige am Ort waren froh, dass die „Bonzen“ weg waren. „Man stand schon sehr unter deren Fuchtel“, erzählt Richard Müller. So seien etwa die Holzvorräte streng kontrolliert worden. Über Politik habe man besser nicht gesprochen. „Mund halten“ sei die Devise gewesen, sagt seine Frau.

Die deutschen Truppen zogen auf ihrem Rückzug auch durch Denkendorf. Der Abzug der Wehrmacht sei überwiegend in der Nacht geschehen, weshalb man nicht viel davon mitbekommen habe, sagt Westermann. Hilde Müller allerdings erinnert sich, „dass viele ihre Gewehre in den offenen Rohren der Abwasserkanäle zurückgelassen haben“.

Zugute kam den Denkendorfern, dass die meist französischen Kriegsgefangenen, die als Zwangsarbeiter eingesetzt waren, wohl überwiegend gut behandelt wurden. Sie unterstützten häufig die Frauen, deren Männer im Krieg kämpften, in der Landwirtschaft. Die meisten waren in Baracken im Heerweg untergebracht, nahmen aber tagsüber oft am Familienleben teil. So auch bei der Familie von Hilde Müller, deren Vater früh im Krieg fiel und deren kranke Mutter mit zwei kleinen Kindern auf Unterstützung angewiesen war. Man habe das, was man hatte, mit ihnen geteilt, sagt Müller.

Als am Morgen des 21. Aprils die ersten Panzer in Denkendorf einrollen, hissen die französischen Kriegsgefangenen die französische Flagge und berichten ihren Landsleuten, dass sie von den Denkendorfern gut behandelt worden seien. Drei örtliche Honoratioren - der Bürgermeister Karl Geiger, der Fabrikant Gottlieb Eppinger und der Mechanikermeister Adolf Silber – gehen den französischen Truppen über die Körschbrücke am Heerweg und die Neuhäuser Straße entgegen und übergeben den Ort. Panzer zogen vor dem Rathaus auf. Bedingung für die friedliche Übergabe war, dass in jedem Haus eine weiße Flagge gehisst werden sollte. Auch Waffen, Radios und Fotoapparate mussten abgeliefert werden.

Die Amerikaner übernehmen die Kontrolle über den Ort

Die französischen Soldaten blieben nur kurz in Denkendorf. Ehemalige Kriegsgefangene wurden laut Heinrich Werner als Bewacher im Dorf zurückgelassen. Wenig später übernahmen US-Truppen, die in Nellingen stationiert waren. Sie bauten eine Umgehungsstraße als Ersatz für den gesprengten Viadukt. Ihre Jeeps, Lastwagen und Sattelschlepper hätten die Jungs im Ort beeindruckt, erzählt Westermann. Zu einem tragischen Vorfall kam es am 28. Mai 1945, als der zehnjährige Gustav Walter von einem amerikanischen Militärfahrzeug überfahren wurde. Er sei vermutlich das letzte Kriegsopfer in Denkendorf gewesen, so Mauz.

Karl Westermann erinnert sich an die Zeit nach dem Kriegsende als „hohle Zeit“. Die Väter waren im Krieg oder gefallen, niemand wusste, ob sie wiederkommen würden. Es gab keinen Schulunterricht. Geflüchtete galt es unterzubringen. „Es war eine Zeit der Ungewissheit. Wir hatten keine Perspektive, wie es weitergeht. Die Erleichterung kam erst später“, sagt der ehemalige Unternehmer.

Denkendorf kam noch vergleichsweise glimpflich davon

Bedeutung
 Dass Denkendorf 1945 noch ein kleiner, dörflich geprägter Ort war, kam der Gemeinde zu Gute. Sie kam, was Beschädigungen etwa an Gebäuden betrifft, relativ glimpflich davon. „Denkendorf war militärisch völlig unwichtig, hatte keine Industrie und lag an keinem Hauptverkehrsstrang“, erklärt Reinhard Mauz. Auch Kriegsverbrechen hätten die Besatzer im Ort nicht verübt.

Genug zu essen
„Uns ging es besser als den Menschen in der Stadt, denn die meisten hatten Landwirtschaft“, erinnert sich Karl Westermann daran, wie er als Junge mit dem Leiterwagen Kartoffeln oder anderes Gemüse von der „Halde“, wo heute die Kleingartenanlage liegt, nach Hause transportierte. Ging es allerdings um Dinge wie Schuhe oder Kleidung, die man in der Stadt besorgen musste, sah es schon anders aus. Hilde Müller erzählt, dass dann oft Öl, Schmalz oder Wurstkonserven als zusätzliches Zahlungsmittel gefragt waren.

Vortrag
Über das Thema „Ende des Zweiten Weltkriegs in Denkendorf“ spricht Reinhard Mauz am 8. Mai um 14.30 Uhr im Seniorenkreis im Gemeindezentrum Auferstehungskirche in Denkendorf.

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