Es sind Bilder, die in Erinnerung bleiben sollen. Vor 80 Jahren legen alliierte Jagdbomber die Schleglerstadt in Schutt und Asche. Zeitzeugen erinnern sich.
Der 18. April 1945 ist ein Mittwoch, zwei Wochen nach Ostern. Es soll ein sonniger Frühlingstag gewesen sein, viele Menschen sind im Freien, arbeiten auf den Feldern und in den Gärten, als wie „aus heiterem Himmel“ vormittags kurz vor 11 Uhr das Inferno über das Städtchen nahe der Autobahn hereinbricht: Ein Dutzend französische Tiefflieger werfen Brandbomben über der Ortsmitte ab. Heimsheim brennt!
Genau 80 Jahre ist dieses schreckliche Ereignis kurz vor Kriegende am 8. Mai 1945 her. Die Menschen, die sich heute noch daran erinnern, waren Kinder und Jugendliche. Gudrun Hauck ist eine von ihnen. „Der Brand steckt immer noch in meinem Kopf drin“, sagt die damals Sechsjährige. „Wir wohnten etwas außerhalb des Stadtkerns, am Mühlrain. Ich war an dem Tag mit meiner Mutter Wasser am Brunnen holen – wir hatten ja kein fließendes Wasser, als die Sirenen ertönten.“
Sie hätten alles stehen lassen, die Mutter sagte zu ihr: Spring heim und geh zu den Nachbarn in den Keller. „Dort waren wir schon öfter, auch nachts, die hatten einen sehr tiefen Keller. Auf einmal hat‘s geheißen, es brennt, es brennt! Wir sind aus dem Keller raus und sahen es. Am Mühlrain steht auf der anderen Seite noch die Stadtmauer. Über die Mauer hinweg waren Flammen zu sehen. Bis zu uns herüber kamen sie aber nicht“, so ihre Erinnerung an diesen Tag, an dem der alte Ort mit seinen Holzhäusern und Scheunen, eng beieinanderstehend, in Flammen aufgeht. „Meine Mutter ist gleich wieder fort, um beim Löschen zu helfen. Es war ja keine Feuerwehr da. Im ganzen Dorf waren die jungen Männer fort.“ Doch es gibt auch kaum Wasser, mit dem gelöscht werden könnte. „Ich bin mit meiner kleinen Schwester zu den Großeltern, bei denen auf der anderen Seite der Stadt das Schafhaus stand. Dorthin kamen am Abend viele Menschen, die keine Bleibe mehr hatten.“
Hans Hämmerl ist zehn Jahre alt, als seine Heimatstadt in Flammen steht. „Wir konnten von unserem Haus direkt hinüberschauen zum Kirchturm und sahen, wie der gebrannt hat und später am Tag zusammengefallen ist“, erzählt er.
„Ich bin als Bub rein in die Stadt gelaufen, um zu schauen, was los ist. Aus den brennenden Häusern konnten die Menschen kaum etwas retten. Das Vieh war schon beim Luftalarm teilweise aus den Ställen herausgetrieben worden. Die zwei, drei Feuerwehrleute konnten wenig ausrichten. Man konnte nur zuschauen, wie die Stadt abgebrannt ist“, so seine Erinnerung. Sein Elternhaus wird zwar nicht getroffen, aber die Scheune ist von Bombensplittern durchlöchert.
Eine Heimsheimerin, die namentlich nicht genannt werden möchte, ist damals als Jugendliche schon berufstätig. Sie erinnert sich lebhaft daran, wie die Frau des Pfarrers Fausel die Menschen um Hilfe gebeten hat, die guten Bücher ihres Mannes aus dem brennenden Pfarrhaus in die Kirche zu retten. „Vorne hat man die Bücher in die Kirche reingetragen, hinten von der Sakristei ist der Brand in die Kirche hereingekommen. Die Bücher sind alle verbrannt“.
Die Ereignisse rund um den 18. April beschreibt der damalige Pfarrer Heinrich Fausel in der Ortschronik „Heimsheim – einst und heute“ ausführlich und lebhaft. Er muss miterleben, wie das Pfarrhaus und die Kirche verbrennen. „Um dreiviertel vier hörte man die Kirchenuhr zum letzten Mal schlagen, um 5 Uhr war die ganze Kirche ausgebrannt.“ Das Rathaus wird „mit allen Akten, Grundbüchern, Kassenbeständen“ zerstört. „Kein Stück Papier, nicht einmal der Gemeindestempel, konnten geborgen werden“. In der alten Stadt wütet das Feuer, zwei Feuerwehrleute aus Leonberg verlieren bei ihrem Einsatz in Heimsheim ihr Leben. In den folgenden Tagen wird sich herausstellen, dass von den rund 300 Wohnhäusern der Stadt 180 verbrannt sind. Mehr als 75 Prozent des Ortes werden zerstört, doch wie durch ein Wunder bleiben der Schleglerkasten und das Graevenitz’sche Schloss nahezu unversehrt und dienen den Obdachlosen jetzt als erste Zuflucht.
Obwohl die Stadt auch in den folgenden Tagen mit heftigem Artilleriefeuer und Granatenbeschuss belegt wird, sind nur vier Getötete aus dem Ort zu beklagen. Die letzten deutschen Soldaten ziehen am Abend des 18. April ab, an den deutschen Frontlinien auf dem Betzenbuckel bleibt es in dieser Nacht ruhig, schreibt der Pfarrer in der Chronik. Am Morgen des 19. April wird klar: Es muss sofort die Verpflegung der Obdachlosen organisiert werden. 700 Menschen werden mit Erbsenbrei, der von Höfingen herbeigefahren wird, versorgt – unter anhaltendem Artilleriebeschuss, wie Fausel berichtet. Später liefern die umliegenden Gemeinden Lebensmittel und Einrichtungsgegenstände.
Im überfüllten Schlosskeller werden die von Granatsplittern Verletzten versorgt. Die Gemeindeschwester Luise, heute noch vielen Heimsheimern in Erinnerung, spielt dabei eine große Rolle. Er selbst, schreibt Heinrich Fausel, habe am 20. April mit einem weißen Tuch und mit französischen Kriegsgefangenen im Ort nach den anrückenden Truppen Ausschau gehalten. Die Marokkaner kommen als erste, „in ihren aus grobem grün-grauem Stoff bestehenden Kutten und entsprechend überzogenen Stahlhelmen.“
Mädchen und Frauen verstecken sich
Um Übergriffen vorzubeugen, ist ein Großteil der Frauen und Mädchen im Schleglerkasten und im Schlosskeller untergebracht und wird bewacht, „weshalb im Vergleich mit andern Gemeinden in der Nachbarschaft wenig passiert“ sei, so der Pfarrer. Die schwierigen Tage der folgenden Besatzungszeit und erst recht der mühsame Wiederaufbau der Stadt liegen in diesem Moment noch vor den Heimsheimern. Heinrich Fausel wird später gerade für seinen Einsatz in dieser Zeit und seinem Bemühen, ein halbwegs funktionierendes Gemeinwesen aufrecht zu erhalten, mit der Ehrenbürgerwürde der Stadt ausgezeichnet.
Warum gerade das kleine, überwiegend landwirtschaftlich geprägte Städtchen Heimsheim in Schutt und Asche gelegt wird, dazu gibt es verschiedene Erklärungsversuche. Es sei bis zuletzt Widerstand geleistet worden oder der geflüchtete NS-Ortsgruppenleiter hätte die Aufforderung zur Übergabe verweigert, es sei die strategische Lage des Ortes zwischen dem versperrten Würmtal und der gesprengten Autobahn gewesen, auf dem sich das französische Militär seinen Weg nach Stuttgart frei bombardierte, denn es habe einen Wettlauf zwischen Amerikanern und Franzosen gegeben, wer zuerst die Landeshauptstadt erreicht. Auf jeden Fall waren die Zerstörungen für so einen kleinen Ort in dieser Region ungewöhnlich groß.
Glockenläuten und Trauerbeflaggung
Erinnerung
Auch in diesem Jahr werden am 18. April um 12 Uhr die Glocken der Stadtkirche zur Erinnerung an die Folgen des Bombenangriffs läuten. Vom 18. 4. bis 8. 5., dem Kriegsende vor 80 Jahren, hängen die Flaggen auf halbmast. Am Karfreitag wird in der Stadtkirche zwischen 12 und 20 Uhr in einem Raum des Gedenkens und der Erinnerung eine Dauer-Präsentation in Wort und Bild der Ereignisse von 1945 gezeigt.