Er ist einer der großen Liebenden der Literatur. An diesem Donnerstag wird der Schweizer Schriftsteller Paul Nizon neunzig.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Die Liebe und die Stadt sind die beiden Leidenschaften des Schweizer Schriftstellers Paul Nizon. Manche Metropole hat er schon in Besitz genommen, keiner aber so die Treue bewahrt wie Paris. Die französische Hauptstadt ist zum Nabel seiner Schriftstellerexistenz geworden. Seit mehr als vier Jahrzehnten hat er sie erkundet in ihren verborgensten Zonen und dunkelsten Versuchungen. Und in Abertausenden Seiten von Journalen hat er ihr die heißesten Liebeserklärungen zugeflüstert.

 

Kaum eine Straße, die er nicht durchstreift hätte, rastlos, vernarrt, besessen: „Ich muss mir Paris in täglichen leibhaften Übungen unausgesetzt anverwandeln, um den Traum oder das Movens meines Schreibens wachzuhalten“, notiert er einmal. In seinem Roman „Das Jahr der Liebe“ hat er der Stadt ein vor existenzieller Lebensgier bebendes Porträt gewidmet.

Sprachtrunkener Prosagesang

„Ich halte mich an das große Ding, das Hingestellte, Dastehende. Den Stadtgipfel, die Schattenfront, die benzingetränkte Wand“. In solchen Apostrophen hat sich der 1929 als Sohn eines frühverstorbenen russischstämmigen Chemikers in Bern Geborene in den Sechzigerjahren bereits eine andere Schöne unter den Städten gefügig gemacht: Roma. Mit dem sprachtrunkenen Prosa-Gesang seines „Canto“ tritt der vom Boxsport wie der Kunst gleichermaßen entflammte 1963 an die Öffentlichkeit. Selten beginnt eine Karriere mit einer kapitalen Niederlage. Hier war dies der Fall. Zum 90. Geburtstag Paul Nizons an diesem Donnerstag hat der Suhrkamp Verlag die lebenssüchtigen Beschwörungen dieses frühen Hauptwerks wieder aufgelegt. Eine gute Gelegenheit zu entdecken, wie weit dieser Stadt- und Seelenwanderer seiner Zeit voraus war.