Eindrucksvolle Dokumentation der Stuttgarter Kunstszene: Anlässlich des 90-jährigen Bestehens der Freien Kunstschule Stuttgart ist am Freitag eine Ausstellung im Rathaus eröffnet worden. Am 9. Dezember gibt es eine Auktion.

Stuttgart - Sie ist es, unverkennbar: Angie, streng im Herrenanzug und mit erhobenem Zeigefinger. Sieglinde Reiche hat diese Figur der Bundeskanzlerin 2005 in Ton modelliert und gebrannt. Hervorgegangen ist die Künstlerin aus der Freien Kunstschule, die in diesem Jahr ihr 90-jähriges Gründungsjubiläum begeht und zum Ende der Feierlichkeiten Kennern und Liebhabern der bildenden Kunst ein besonderes Geschenk macht: Mit einer Ausstellung, die einen Bogen des Schaffens der Studierenden und Lehrenden von den fünfziger Jahren bis heute schlägt und die hiesige Kunstszene eindrucksvoll dokumentiert. Und mit einer Auktion, bei der Bewunderung und Begehrlichkeit in Besitz umgemünzt werden kann.

 

144 Werke von 101 Künstlern zieren die Flure im zweiten und dritten Stock des Rathauses: Aquarelle, Bilder in Acryl, Radierungen, Linoldrucke, Lithografien, Serigrafien und Skulpturen. „Kein Gemischtwarenladen, sondern ein lebendiger Eindruck in die Historie der Freien Kunstschule“, betonte Rektor Martin R. Handschuh am Freitag bei der Vernissage. Mit bekannten Namen arrivierter Künstler wie Axel Arndt, Frieder Grindler, Herbert O. Hajek, Manfred Henninger, Petr Hrbek, Rolf Kilian, Gerd Neisser, Klaus Philipp, Jan Peter Tripp, Anton Stankowski, Ben Willikens und Lambert Maria Wintersberger. „Die Ausstellung hat allein nach den sehr niedrig angesetzten Schätzpreisen für die Auktion einen Wert von 50 000 Euro“, macht Handschuh klar. Und hofft auf eine deutliche Steigerung durch die Gebote am 9. Dezember bei der Auktion, deren Erlös der Kunstschule und der Finanzierung nötiger Investitionen zugute kommen soll.

„Kunst ist Liebe“

„Mit aller Energie und Liebe tätig sein, denn Kunst ist Liebe, Energie und Tat“, hat der Stuttgarter Künstler Adolf Hölzel, Wegbereiter der Abstraktion, seinen Schülern als Prinzip ans Herz gelegt, als er 1927 die Freie Kunstschule zusammen mit seinem Schüler August Ludwig Schmitt gegründet hat. Das gilt bis heute in den Ateliers und Werkstätten auf dem Campus im historischen Bau des ehemaligen Südzucker-Areals. Um dieser Leidenschaft zu folgen, sei sie einmal in der Woche, an ihrem freien Tag, von Heilbronn in die Kunstschule nach Stuttgart gefahren, erzählt beispielsweise Ulrike Brennscheidt, die in der Ausstellung mit einer fotografischen Arbeit vertreten ist. Die Kunsterzieherin hat es nicht beim Besuch der Kunstschule belassen, sondern anschließend noch an der Kunstakademie zwei Jahre Malerei und vier Jahre Bildhauerei studiert. Heute hat sie ein Atelier im Stuttgarter Westen und arbeitet, erzählt sie, vor allem mit Stein. Als Vorbereitung auf die Kunstakademie findet sich diese Ausbildungsstätte in der Biografie mancher arrivierter Künstler. „Das Studienangebot richtet sich an Menschen, die ihren kreativen Impulsen durch eine zielgerichtete Ausbildung nachgehen wollen“, heißt es in der offiziellen Beschreibung.

„Ist das alles nun freie oder angewandte Kunst?“, hat August Ludwig Schmitt einst gefragt. Und die ultimative und für alle Studierenden gültige Antwort gegeben: „Es ist beides zugleich, schlechthin Kunst.“

Die Ausstellung ist im Rathaus bis zum Samstag, 9. Dezember zu sehen. Um 11 Uhr beginnt im Großen Sitzungssaal die Versteigerung mit dem renommierten Kunstsachverständigen und Auktionator Gert K. Nagel.