Das Bayerische Pilgerbüro feiert sein 90. Jubiläum. Vizepräsidentin Irmgard Jehle über die Lust am Pilgern und das heilige Jahr in Rom.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Frau Jehle, warum pilgern Menschen?
Wer pilgert, will Orte sehen, wo authentisch etwas passiert ist oder noch passiert, was mit seinem Glauben zu tun hat. Dem Heiligen Land galt die erste Pilgerfahrt. Dann kam Rom dazu mit den Gräbern der Apostel und Heiligen. Heute geht es bei den Rom-Wallfahrten darum, zurück zu den Quellen zu gehen und Papst Franziskus als Nachfolger des Apostel Petrus zu begegnen.

 

Welche Rolle spielt das Pilgern angesichts sich auflösender traditioneller kirchlicher Bindungen?
Wir leben in einer säkularen Gesellschaft, in der die Religion zunehmend Privatsache ist. Pilgern ist Auszeit vom Alltag. Da wird nicht gefragt, bist du katholisch, evangelisch oder ungläubig. Da bin ich einfach Pilger.

Ist Pilgern immer noch vornehmlich eine Angelegenheit von Katholiken?
Das Pilgern ist nicht mehr nur auf die Katholische Kirche begrenzt. Wir haben viele Pilger aus der Evangelischen Kirche, bei denen der Jakobsweg sehr beliebt ist. Viele, die in den immer größer werdenden Pfarreien in der Anonymität untergehen oder mit der Institution Kirche Schwierigkeiten haben, erhalten durch das Pilgern wieder einen interessanten Zugang zum Glauben.

Macht das den Glauben erfahrbar?
Es ist immer etwas Besonderes, wenn man nicht nur in Büchern liest, sondern an den Orten steht, wo das Ereignis war oder gewesen sein könnte. Die Vorstellung, in Rom auf 2000 Jahren Kirchen- und Weltgeschichte zu stehen, ist atemberaubend. Wichtig sind auch die Rituale, wenn man als Pilger ankommt.

Was meinen Sie damit?
In Rom etwa werden die Füße der Petrus-Bronzestatue im Petersdom angefasst. Oder in Santiago de Compostela wird die Jakobus-Statue umarmt. Der Glaube wird so greifbar und erfahrbar. Es ist wichtig, auch zu spüren, ich bin da, ich bin angekommen.

Die erste Reise des Bayerischen Pilgerbüros ging 1925 in die Ewige Stadt. Der Anlass war auch im Jahr 1925 ein heiliges Jahr. Damals war es noch schwierig, über Landesgrenzen hinweg zu reisen.
Deshalb war es unser Ziel, die Pilger in der Organisation zu entlasten, damit sie frei sind fürs Pilgern und sich keine Sorgen zu machen brauchen, wo sie schlafen und wie sie reisen.

Und im 90. Jahr ihres Bestehens ist Rom wieder ein vorrangiges Ziel.
Heilige Jahre sind immer ein Höhepunkt, aber Rom-Reisen standen schon immer im Mittelpunkt unserer Arbeit. Letztes Jahr organisierten wir eine Ministranten-Wallfahrt mit mehr als 40 000 Teilnehmern nach Rom.

Wie viele Pilger bringt das Pilgerbüro jedes Jahr zu den historischen Stätten?
In Jahren mit Jubelfesten wie 2015/2016 dürften es mehrere Zehntausend sein. Es könnten auch bis zu 100 000 sein. Wenn die Heiligen Pforten geöffnet werden - in der Regel alle 25 Jahre -, wollen viele nach Rom reisen. Die Fahrten zur Öffnung der Heiligen Pforte am 8. Dezember 2015 und zur Schließung am 21. November ragen aus dem Programm heraus. Im Schnitt organisiert das Bayerische Pilgerbüro 50 bis 60 Fahrten nach Rom.

Aus Anlass des Endes des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) hat Papst Franziskus ein außerordentliches heiliges Jahr ausgerufen. Es steht unter dem Motto „Barmherzigkeit“. Jedes heilige Jahr hat ein Motto. 2000 war es „In das Dritte Jahrtausend“, jetzt ist es „Misercordiae vultus“ - was so viel bedeutet wie: Das Antlitz der Barmherzigkeit ist Christus. Zum letzten heiligen Jahr, das Papst Johannes Paul II. im Jahr 2000 ausrief, kamen 25 Millionen Pilger. Wird da Weltkirche greifbar?
Das macht die Faszination aus. Wenn die Menschen zum ersten Mal auf dem riesigen Petersplatz stehen, umgeben von mehreren Zehntausend Pilgern, ist das überwältigend. Dies zeigt die weltweite und gemeinschaftliche Dimension des Pilgerns. Über den eigenen Kirchturm rausschauen ist sehr wichtig.

Macht das den Sinn des Pilgerns aus?
Natürlich. Man wartet vor den Papst- Audienzen schon ein bis zwei Stunden auf dem Petersplatz. Das ist aber nie langweilig, weil man mit Pilgern aus aller Welt zusammentrifft und sich austauscht.

Wie lange dauert eine Rom-Fahrt?
Wenn man mit dem Flugzeug anreist, dauert sie mindestens fünf Tage, mit dem Zug in der Regel sieben Tage. Man braucht als Minimum drei Tage in Rom, weil man im heiligen Jahr die sieben Hauptkirchen Roms aufsucht. Zusätzlich besuchen wir verschiedene Kirchen, die das Thema der Barmherzigkeit als einen Schwerpunkt haben.

Und was ist mit den Katakomben?
Katakomben sind stets Teil unseres Programms, weil die Begegnung mit der Urkirche wichtig ist. Hier wird der Glaube greifbar. Ein Gottesdienst in der Domitilla-Katakombe ist eine ganz neue Erfahrung.

Sind Pilgerreisen nur was für Ältere?
Auf keinen Fall, da machen auch Jüngere mit - gerade bei Ministranten- oder Familien-Wallfahrten.

Wird man bei den Rom-Fahrten auch Papst Franziskus sehen?
Bei jeder Pilgerfahrt ist eine Papst- Audienz dabei. Den Papst zu sehen, ist einer der Hauptgründe, nach Rom zu fahren. Wenn es nicht am Mittwoch bei der Generalaudienz auf dem Petersplatz klappt, dann am Sonntag um 12 Uhr beim Angelus-Gebet.

Sie haben Ihr Angebot in den letzten Jahren beträchtlich erweitert. Was waren die Gründe?
Der heutige Pilger will nicht nur Rosenkranz beten, sondern auch den Ort erleben, in seine Geschichte eintauchen und seine Kunstwerke kennenlernen. Darum ist es uns wichtig, dass die Pilger qualifizierte Reiseleiter und Geistliche dabeihaben, die ihnen das vermitteln können. Und so kamen die Studienreisen 1978 dazu, die eine intensive Erfahrung der Kunst, Kultur und Geschichte eines Landes versprechen. Außerdem bot das Pilgerbüro 1994 die ersten Wanderreisen auf dem Jakobsweg an.

Wie ist es bei Ihren Reisen um die Spiritualität bestellt?
Das Pilgerbüro reagierte mit diesen Reisen - etwa auf dem Jakobsweg - auf neue Bedürfnisse seiner Kunden, durch Wandern innere Ruhe zu finden und umgeben von Gottes Schöpfung eine besondere Nähe zu Gott zu erleben.

Außerdem finden sich auch Kreuzfahrten oder Reisen für Menschen mit eingeschränkter Mobilität in unseren Katalogen.Sind sie konfessionell beschränkt?
Auch Nichtchristen, Muslime oder aus der Kirche Ausgetretene können mitfahren. Jeder ist herzlich willkommen. Gerade auf dem Jakobsweg gehen viele mit, die auf der Suche sind. Pilgerreisen können zum Glauben hinführen.

Will das Bayerische Pilgerbüro Ungläubige bekehren?
Viele weigern sich anfangs, sich als Pilger zu bezeichnen. Sie werden das erst auf der Reise. Auf Studienfahrten spielt die Religion keine große Rolle. Auf Pilgerfahrten weiß man, wir sind katholisch und offen für alle.

Professionalität zeigt sich auch an der Zahl der Reiseleiter. Wie sieht es da bei Ihnen aus?
Wir haben 170 professionell ausgebildete Reiseleiter und 200 aktive geistliche Begleiter. Das sind Priester und Bischöfe, die mit unseren Gästen reisen. Priester sind aber nur bei den Pilgerreisen dabei.

Irmgard Jehle wurde 1956 geboren und studierte von 1977 bis 1980 katholische Theologie, Archäologie und Geschichte. Nach einer Baby-Pause schloss sie das Studium 1993/1994 ab und promovierte in Theologie. Dem Bayerischen Pilgerbüro ist sie seit ihrer Studienzeit treu geblieben. Seit 1973 ist sie Reiseleiterin. Heute ist sie dessen Vizepräsidentin. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder.