Çağla Ilk, Co-Direktorin der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden und Kuratorin des Deutschen Pavillons bei der Biennale Venedig 2024, sprach in der Staatsgalerie Stuttgart als Gast unserer Gesprächsreihe „Über Kunst“ über ihre Arbeit.

Aus Venedig ist sie eben erst zurückgekehrt, besuchte dort die Architekturbiennale. Nach Venedig wird sie zurückkehren, 2024, als Kuratorin des Deutschen Pavillons bei der Kunstbiennale. Am Montagabend war Çağla Ilk zu Gast bei „Über Kunst“, der Veranstaltungsreihe unserer Zeitung. Vor großem und prominent besetztem Publikum sprach sie über ihre Arbeit als Co-Direktorin der Kunsthalle Baden-Baden, über öffentliche Räume und über ihren Weg zur Biennale Venedig 2024.

 

Veränderung denkt sie von den gesellschaftlichen Rändern her

Partizipation, Inklusion und ein prozesshaftes Arbeiten – dies sind Säulen, auf denen die Arbeit von Çağla Ilk ruht. Den öffentlichen Raum begreift sie als einen gesellschaftlichen, seine Veränderung denkt sie stets von den Rändern her. Geboren wurde sie 1976 in Istanbul, dort begann sie ein Architekturstudium, das sie nach 2004 in Berlin fortsetzte, ehe sie sich dem Theater zuwandte, am Ballhaus Naunynstraße und am Maxim Gorki in Berlin.

Seit 2020 leitet sie, gemeinsam mit Misal Adnan Yildiz, vormals Künstlerischer Leiter des Stuttgarter Künstlerhauses, die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden. Dort sieht Çağla Ilk einen Teil ihrer künstlerischen, politischen Zielsetzung verwirklicht. „Das sollte die Kunsthalle sein“, sagt sie im Dialog mit Nikolai B. Forstbauer, Autor unserer Zeitung: „Ein Ort, der von zwei Personen geleitet wird, die nicht in diesem Land geboren wurden, aufgewachsen sind, die eine andere Muttersprache haben. Wir bringen Neues in die Gesellschaft, andere Orte, andere Perspektiven.“

Früh schon hat Çağla Ilk Formen struktureller Gewalt thematisiert, denen sie als Migrantin in Deutschland begegnete; im Architekturstudium, sagt sie, habe deutliche Selektion stattgefunden, seien Studierende mit Migrationshintergrund benachteiligt gewesen. „In den 1980er und 1990er Jahren gab es nur die migrantische Kunst, die im eigenen Milieu beschlossen war.“

Gender, Klasse, Race – dies sind Themen, Stichworte, Fragestellungen, die von Çağla Ilk gleichberechtigt gedacht werden, auch mit Blick auf den öffentlichen Raum. Sie spricht von der neoliberalen Umstrukturierung dieses Raumes, die sie schon in den 1990er Jahren in Istanbul erlebte, vom Immergleichen in den Städten, vom Flanieren der wenigen.

Sie respektiere alles, was im deutschen Pavillon der Biennale Venedig geschah

Die Kunsthalle wird für sie zum Gegenbild. Das Projekt „Nature and State“, präsentiert von Juli bis Oktober 2022, und die aktuelle Ausstellung „Space Synthesis“ des Künstlers und Komponisten Jan St. Werner sind für Çağla Ilk Beispiele für eine neue Erfahrung öffentlicher Räume. Drei Jahre erkundete Jan St. Werner die akustischen Gegebenheiten der Kunsthalle – jetzt präsentiert er das Ergebnis. „Wir spielen mit der Wahrnehmung der Besucher“, sagt die Kunsthallen-Leiterin. „Sie gehen ganz in eine andere Welt hinein.“

Auch der Deutsche Pavillon der Biennale Venedig ist ein besonderer Raum, ein Raum mit Geschichte. „Ich respektiere alles, was bisher dort geschah“, sagt sie. „Und wie in der Kunsthalle Baden-Baden werde ich versuchen, neue Erzählformen für diesen Ort zu finden.“ Wird Çağla Ilk dem Vorbild Christoph Schlingensiefs folgen und den Deutschen Pavillon zu Gänze befüllen, oder wird sie zum anderen Pol tendieren, den Pavillon entleeren? Ihre Antwort ist so vielversprechend wie rätselhaft: „Beides“, sagt sie knapp. „Und ich meine das ernst.“

Großen Eindruck hinterließ bei Çağla Ilk der Deutsche Pavillon der Architekturbiennale. „Dort steht nun eine Rampe“, sagt sie. „Das gab es bisher noch nicht. Genau das brauchen wir, nicht nur für die Menschen, auch für die Gesellschaft. So sollte unsere Haltung sein: Wir sollten für alle Menschen, die ankommen, in diesem Land, eine Rampe bauen, und wir dürfen diese Rampe überall in unserem Leben bauen.“ Eine Revolution kann für Çağla Ilk nur noch an der Peripherie stattfinden, die Gesellschaft, sagt sie, könne sich sich von ihren Rändern her verändern. Dort, gelte es, die Hegemonien anders zu definieren – „Ich bin nicht so naiv, zu glauben, dass sie sich verändern werden, aber wir können versuchen, sie gerechter zu gestalten.“

Museales ist nicht die Zukunft

Die Lage der Welt zeichnet sich ab, auch in Venedig. „Wir gewöhnen uns daran, dass ein Land seinen Pavillon nicht mehr bespielen kann, weil die Menschen in diesem Land kein Geld mehr haben, um sich Nahrung zu kaufen. An einer Seite Europas herrscht Krieg, und auch daran gewöhnen wir uns. Aber diese Realitäten sind da, und es ist unsere Aufgabe, darauf aufmerksam zu machen. Sonst könnten wir auch museal bleiben. Aber das ist nicht die Zukunft.“

Zur direkten Zukunft im Deutschen Pavillon 2024 schweigt Çağla Ilk noch. Und doch gibt sie Hinweise. Den Menschen auch in der Stadt Venedig, sagt sie, möchte sie neue Möglichkeiten der Teilhabe eröffnen; den Pavillon selbst will sie betrachten wie eine Theaterbühne, einmal als geschlossenen, einmal als offenen Raum definieren. „Mal sehen, wie sich meine Dramaturgie, mein Drehbuch entwickeln“, sagt sie. „Ich bin gerade dabei, es zu schreiben.“ Spätestens im nächsten Jahr wird man dann das Ergebnis sehen können.