Junge Leute zwischen 18 und 23 Jahren kehren dem Ostalbkreis fürs Studium den Rücken, vor allem junge Frauen. Gestern hat der Landrat ein Strategiepapier vorgelegt, wie bis 2030 die Forschungs- und Bildungslandschaft aufgewertet werden kann.

Aalen - Auf der Hochschullandkarte Baden-Württembergs klafft im Nordosten ein blinder Fleck. Teilt man das Land bei Stuttgart in West und Ost, haben beide Landeshälften zwar verhältnismäßig gleich viele Schüler. Aber der Westen hat zweieinhalb Mal so viele Studierende, sechs Mal so viele Doktoranden, 14 Mal so viele universitäre Angebote – und 50 Mal so viele Mitarbeiter an Forschungsinstituten. Das hat Gerhard Schneider, der Rektor der Hochschule Aalen, heraus gefunden.

 

Diese Zahlen gefallen Klaus Pavel (CDU), der Landrat des Ostalbkreises, nicht. Er will den blinden Fleck bis zum Jahr 2030 gerne beseitigen. Am Dienstag hat er darum zusammen mit Schneider das Papier Hochschulstrategie 2030 vorgestellt. Die knapp 90 Seiten umfassende Studie macht Vorschläge, wie die drei Hochschulstandorte im Ostalbkreis stärker aufgestellt werden könnten.

Eine Universität würde den ländlichen Osten stärken

Dafür soll das Studienangebot ausgebaut, eine Forschungsinfrastruktur geschaffen und neue Forschungsinstitute zu Zukunftsthemen aufgebaut werden. Am Ende wünscht sich Pavel eine Universität, um den ländlichen Raum im Osten Baden-Württembergs zu stärken.

An der Hochschule in Aalen, der Pädagogischen Hochschule in Schwäbisch Gmünd (PH) und der Hochschule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd sind aktuell etwa 9000 Studenten eingeschrieben. Mit Abstand am stärksten sind die Ingenieurwissenschaften, gefolgt von den Lehramtsangeboten für Grundschule, Sekundarstufe I und Berufsschule an der PH und den Wirtschaftswissenschaften. Außerdem kann man im Ostalbkreis Fächer im Bereich der Pädagogik, Informatik und Naturwissenschaften, Gesundheitswissenschaften, Gestaltung und Kulturwissenschaften studieren. Das Einzugsgebiet ist übersichtlich. Etwa 60 Prozent der Studierenden kommen aus dem Ostalbkreis, den Kreisen Rems-Murr, Schwäbisch Hall und Heidenheim. Viele pendeln aus Göppingen und den benachbarten bayrischen Kreisen.

Es fehlt am akademischen Nachwuchs

„Hochschulen sind das Kraftzentrum der wirtschaftlichen Entwicklung“, sagt Pavel. Zwar steht der Ostalbkreis mit einer starken Industrie und einer hohen Patentdichte bei den Hightech-Betrieben als Indikator für Innovationskraft nach Schneiders Einschätzung auf einer soliden Basis. Diese tun sich aber schwer, akademisch gebildete Fachkräfte zu finden. Im Ostalbkreis sind nur 12,3 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten Akademiker. Landesweit liegt der Anteil laut Statistischem Landesamt bei 16,2 Prozent, im Kreis Böblingen sind es sogar 19,8 Prozent.

Der Vorstoß zum Hochschulausbau ist allerdings nicht nur der Wirtschaft geschuldet. Dem Ostalbkreis laufen die jungen Leute weg, vor allem die Frauen. Eine Studie im Rahmen des Kreisentwicklungsplanes stellte 2013 fest, dass mehr als ein Drittel der 18- bis 25-Jährigen ihr Zuhause verlassen, um woanders zu studieren. Zwei Drittel davon waren Frauen – und die, sagt Klaus Pavel, „kommen im Gegensatz zu den Männern nicht wieder zurück“. Obendrein sorgt auch noch der demografische Wandel dafür, dass die Gruppe der 18- bis 23-Jährigen bis 2030 um ein Fünftel schrumpfen wird. Dann wird im zurzeit gut 300 000 Einwohner zählenden Ostalbkreis fast jeder Zweite älter als 65 sein, und nicht mehr nur wie jetzt etwa jeder Dritte.

Studienangebote für Frauen sollen Abwanderung stoppen

Um die Damenwelt für den Charme der Ostalb zu erwärmen, schlägt das Strategiepapier vor, mehr Studienangebote für Frauen einzurichten. Dazu gehören zum Beispiel das Lehramt für Gymnasien, die Rechtswissenschaften, die Erziehungswissenschaften und die Psychologie, die Geistes- und die Gesellschaftswissenschaften. Vorstellbar sei auch eine stärkere Fachkräftequalifizierung im Bereich der digitalen Vernetzung und der Gesundheit.

Klar sei aber auch: „Wir stellen strukturpolitische Betrachtungen an“, sagt der Aalener Hochschulrektor Gerhard Schneider. „Aber die Hochschulen sind autonome Einrichtungen, ihre Gremien entscheiden, was sie anbieten möchten – in Abstimmung mit dem Wissenschaftsministerium.“ Es braucht also einen breiten Konsens im Ostalbkreis. Gestern hat der Kreistag die Studie präsentiert bekommen. In den kommenden drei Monaten werden die Industrie- und Handelskammer, die Handwerkskammer, die Gewerkschaften, die jeweiligen Hochschulsenate, die Kommunen und die Schulen um ihre Meinung zu dem Strategiepapier gebeten. Schon im Sommer aber will Klaus Pavel konkret werden und bei der Landesregierung für Zustimmung werben – und vor allem um Geld.