Ab an die Côte d’Azur Und ewig lockt der Süden

Man träumt vielleicht von der glamourös einsamen Côte d’Azur der 1920er Jahre, dann aber liegt man doch dicht gedrängt am Strand – so hat Martin Parr 2015 die französische Riviera fotografiert. Weitere Bilder auch aus früheren Zeiten der berühmten Küste aus dem Buch „Light on the Riviera“ sind in der Bildergalerie zu finden. Foto: Martin Parr / Magnum Photos // teNeues Verlag

Wer träumt in diesen Krisenzeiten nicht vom schönen Leben? Wie sich die französische Riviera über Jahrhunderte hinweg als unbeschwerter Sehnsuchtsort inszeniert.

Bauen/Wohnen/Architektur : Nicole Golombek (golo)

Das schöne Leben ist immer woanders. Hinterm Brenner zum Beispiel, wenn es mit einem Schlag ein paar Grad wärmer und viel heller wird. Die Luft satter, die Gerüche süßlich, scharf, Pasta, Tomaten, Knoblauch, Duft von Espresso, an den auch der teuerste Kaffeeautomat daheim zumindest gefühlt nicht rankommt.

 

Wer nicht nur südliche Heiterkeit erleben will, sondern ein nostalgischer, glamour- und kunstverliebter Mensch ist, der biegt bei Genua rechts ab. Mit der Grandezza der Riviera ligure, der italienischen Riviera, ist es nicht mehr weit her, Freunde von Lost Places werden hier noch glücklich.

Und Leute, die nichts gegen hässliche Hotelkästen einzuwenden haben, vielleicht aus Nostalgie, weil sie als Kinder hier einfach nur froh waren, in den Sommerferien im Wasser planschen zu können und ihnen der anstrengende Wander- oder Kultururlaub erspart blieb.

Man lässt also San Remo, Imperia, Ventimiglia hinter sich und kommt ins Land, in dem die Zitronen auch blühen, Frankreich, Menton. Wer im Winter reist, bleibt am besten gleich da, weil in der Zeit das Klima das mildeste der Küste ist. So wie bereits die ersten wohlhabenden Touristen, die im 18. Jahrhundert an die Côte d’Azur kamen, wie die französische Riviera auch heißt, um ihrer Gesundheit Gutes zu tun.

Also: Zitronenbäume am Straßenrand, Zitronenmarmelade bei der Manufaktur Herbin. Mittelalterliche Altstadt mit den üblichen engen Gassen, verschnörkelte Altbauten aus dem 18. und 19. Jahrhundert in den Hügeln und am Strand.

Und Kunst. Jean Cocteau bemalte in den 1950ern das Standesamt, pastellfarbene Fresken, die einfache Menschen zeigen. Hochzeitspaare aus der ganzen Welt reisen an. Neben all den südlichen Düften und Temperaturen bestaunt man hier dann auch schon das, was der Küste ihren Namen gegeben hat, das intensive Blau, das sich so fabelhaft macht zu dem kräftigen Dunkelgrün der Pinien.

Das berühmte Yves-Klein-Blau

Das Azur hat der Künstler Yves Klein mit dem nach ihm benannten Farbton intensiviert, wie ein paar Kilometer weiter in Antibes zu sehen ist. Im Klein-Museum oder vor dem Gebäude, direkt am Meer nämlich. Neben Klein und Cocteau ließen sich andere Künstler von Licht und Wärme inspirieren, Autoren wie F. Scott Fitzgerald und Katherine Mansfield, Maler wie Renoir, Monet, Picasso, Chagall, Matisse. Der befand, „alles war unecht, absurd, unglaublich, köstlich“.

Nachzulesen ist das im von Geneviève Janvrin herausgegebenen Bildband „Licht der Riviera“, der die Geschichte der Fotografie an der französischen Riviera aufs Schönste dokumentiert und mit einem kenntnisreichen Text von Sophie Wright erhellt. Winterurlauber und Sommerfrischler seit dem 19. Jahrhundert sind zu sehen. Der Fotograf Jacques-Henri Lartigue hat die elegante Leichtigkeit, die Melancholie auch der 1920er in dieser Region – und das verheißungsvolle Glitzern des Wassers zu jeder Zeit – besonders eindrucksvoll festgehalten.

Der Band wartet mit Landschaften, Architekturpracht und Künstlerfotos auf. Und mit Berühmtheiten. Helmut Newton in Pumps und seine bemerkenswerten Beine zeigend in Monte Carlo, Yul Brynner in Saint-Tropez, Brigitte Bardot in Cannes und Grace Kelly, bevor sie Fürstin Gracia Patricia von Monaco wurde.

Seit der Erfindung der Filmfestspiele von Cannes 1946 wird die Welt (ein Traum für Marketingprofis) zuverlässig Jahr für Jahr daran erinnert, was für eine Kulisse dieser Sehnsuchtsort bietet – für Stars, für solche, die welche werden wollen, und für Leute, die gern auf Tuchfühlung mit den Schönen und Reichen gehen. Und sei es nur im Geiste. Am Ende erholen sie sich auch ganz gut auf dem Campingplatz von Ramatuelle oder dicht gedrängt am Strand von Antibes oder Bandol.

Natur, Kunst und Glamour bilden eben ein unwiderstehlich anziehendes Trio. Und zwar entlang der kompletten Küste von dem italienisch angehauchten Trubel Mentons über die Millionärshochhäuser von Monte Carlo bis zum vergleichsweise dörflichen Cassis mit seiner schroffen Küste.

Die Unbefangenheit spielt jedoch wieder und wieder vor dunklem Hintergrund, die Küste ist ein Ort von weltpolitischer Relevanz. Nach dem Ersten Weltkrieg erholen sich hier die rekonvaleszenten Soldaten; die Picknicks von Künstlern wie Paul und Nusch Éluard, Roland Penrose, Man Ray und Ady Fidelin, von Lee Miller fotografiert, finden vor kriegsbedrohter Kulisse in den 1930ern statt; nach Sanary-sur-Mer flüchteten während des Zweiten Weltkriegs Autoren wie Thomas Mann und Bertolt Brecht vor den Nationalsozialisten ins Exil.

Während der Fotograf Martin Parr 2015 den Massentourismus am Strand von Nizza fotografiert, findet dort ein Jahr später der Terroranschlag eines Islamisten statt, der 86 Menschen das Leben kostet. Der Tod siegt nicht übers Leben. Trotzreaktion in gleißendem Licht, so sieht es aus. Die Strände sind wieder voll und diejenigen, die gerne so ungestört wären wie einst die Luxusurlauber in den 1920ern, suchen verzweifelt die letzten stillen Plätze. Meist vergebens.

Ein Ort der Schönheit und Demütigung

Denn so wie die Mutter einem schon gesagt hat, dass man eine schöne Frau, einen schönen Mann nie ganz allein hat, hat man auch die herrliche Küste nicht für sich allein. Zumindest nicht im Sommer – Staus auf den Küstenstraßen, die einem im Stop-and-go gar nicht mehr so malerisch vorkommen. Schier grässlich erscheint einem, wie hier in jede felsige schmale Ecke Apartmenthäuser hineingebaut werden.

Auch wer in der Hochsaison mit der Fähre auf die Insel Porquerolles übersetzt, wird wenig Spaß haben. Lange Märsche bis zur Bucht, von der aus man dann einen Blick auf viele, viele Jachten hat, die feinen Hotels sind hinter Bäumen versteckt. So ist die französische Riviera ein Ort der Schönheit und der Demütigung.

Während der Mensch in der Hitze herumstolpert, denkt er an eine Reportage über Georges Simenon, der hier einige seiner Krimis spielen ließ und Zeit auf der Insel verbrachte – in der Sendung war von Ruhe und Einsamkeit die Rede. Während man aber auf die Fähre wartet und ein Plätzchen in einem von Stroh bedachten Café findet, stellt sich zumindest kurz doch noch die berühmte Porquerollitis ein, die Lust am Leichten, an Spaß und am Nichtstun.

Da die Sommer offenkundig immer heißer werden und die ersten Grauen Drückerfische die Leute im sudwarmen Meer in die Waden beißen, erfolgt die nächste Fahrt über den Brenner, dahin, wo das Leben schön ist, besser im Winter. Womöglich wird die französische Riviera wie zu ihren Anfängen wieder ein Wintervergnügungsort – jetzt für alle, nicht mehr nur für die Reichen mit den schwachen Lungen.

Weitere Themen

Weitere Artikel zu Frankreich Urlaub Kunst Cannes