Der Kanadier Jean Béliveau ist in elf Jahren um die Erde gewandert und hat dabei einige Schuhe verschlissen. Am Sonntag kehrt er heim.

Quebec - Jean Béliveau ist auf der Zielgeraden. Die letzten zehn oder 20 Kilometer sind ein Katzensprung angesichts seiner Leistung in den vergangenen elf Jahren. Wenn er am Sonntag Montreal erreicht, hat er 75.543 Kilometer hinter sich und den Erdball umrundet. Seine Freunde werden den Weg zum Place Jacques Cartier in der Altstadt zum Triumphzug für Béliveau machen, der das Abenteuer seines Lebens unter ein hehres Motto stellte: Er wanderte für eine friedliche Welt für Kinder.

 

Es nieselt und der Himmel ist grau, als der 56-Jährige vor wenigen Tagen am Parlament in Ottawa eintrifft und später die Brücke über den Ottawa-Fluss überquert, die die Stadt mit Gatineau in Quebec verbindet. An seinem kleinen dreirädrigen Buggy, in dem er unter einem blauen Regenschutz Zelt, Schlafsack, Kochgeschirr und Klamotten mitführt, steckt bereits neben dem kanadischen Ahornblatt die Lilienflagge Quebecs.

Als er die Mitte des Flusses erreicht, der die Grenze zwischen den beiden Provinzen bildet, reißt er die Hände in die Höhe. "Zurück in Quebec!", ruft er, und seine Augen strahlen unter den buschigen grauen Brauen. "Es ist ein emotionales Chaos", beschreibt Béliveau seine Gemütslage. Es ist die Nostalgie, nach elf Jahren wieder das vertraute Quebecer Französisch zu hören. Es ist die Erwartung, bald mit seiner Partnerin Luce Archambault vereint zu sein, aber auch die Unsicherheit, wie er sich in den Alltag einfinden wird.

Die Wanderung sollte den Kindern der Welt dienen

An seinem 45. Geburtstag, am 18. August 2000, hatte Béliveau die Wanderung um die Welt begonnen. Es war der Versuch, seine Midlife-Crisis zu überwinden und einer Depression zu entgehen. Monatelang bereitete er sich vor, weihte aber erst kurz vor dem Start seine Familie ein. Seine Frau Luce Archambault war schockiert, sagte ihm aber ihre Unterstützung zu.

Die Wanderung sollte allerdings auch einem humanitären Ziel dienen. Die Vereinten Nationen hatten gerade das Jahrzehnt einer "Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit zu Gunsten der Kinder der Welt" ausgerufen. Auch deshalb wurde Béliveaus Weg zu einer "Wanderung um die Welt für den Frieden und für die Kinder". Wo immer es möglich war, sprach er über sein Anliegen und besuchte Organisationen, die für und mit Kindern arbeiten - Schulen, Vereine, Flüchtlingslager.

Während er durch Gemeinden zwischen Ottawa und Montreal geht, erzählt er von seiner Reise, die ihn über Amerika nach Afrika und Europa führte. Im Oktober 2006 erreichte er Deutschland. Hier traf er mit seiner Tochter und erstmals mit seinem Enkel zusammen, der während seiner Wanderung geboren wurde. Asien, Australien und Neuseeland waren weitere Etappen. Er durchquerte sechs Wüsten und 63 Länder, bevor er am 30. Januar 2011 in Vancouver erstmals wieder kanadischen Boden betrat. Einmal im Jahr reiste Luce Archambault zu ihrem Mann, den sie ein wenig finanziell unterstützte, damit sie einige Wochen zusammen verbringen konnten. "Wir hatten elfmal Flitterwochen", sagt sie.

Béliveau wird auf seiner Wanderung vielfach unterstützt

"Es war eisig, als ich die Rocky Mountains durchquerte, und in den Wäldern Ontarios schlief ich bei Eichhörnchen und Bären", erinnert sich Béliveau. Er trägt die grau-orangefarbene Jacke, die ihn vor dem kalten Wind schützte. Er lebte von dem, was die Leute ihm schenkten. Meist luden ihn Menschen, die er traf, zu sich ein, nur selten musste er in Hotels übernachten. "Neunmal schlief ich in Gefängnissen oder Zellen bei der Polizei, einmal in Deutschland. Nirgends waren die Zellen so sauber wie dort", erzählt er lachend. Wo das war, weiß er allerdings nicht mehr.

Vielleicht kommt die Erinnerung ja wieder, wenn er zu Hause die Kisten mit seinen Souvenirs durchwühlt. Etwa 20 Kartons mit Geschenken, Landkarten und Fotos stapeln sich in seiner Wohnung, dazu weitere Kisten mit 50 Paar durchgelaufener Schuhe. "Das 53. habe ich in Ottawa im Kriegsmuseum gelassen, weil es eine Ausstellung über Menschen plant, die sich für den Frieden engagieren." Mit dem 54. Paar wird der Wanderer nun in Montreal ankommen.

So genau weiß Jean Béliveau noch nicht, wie sein Leben nun verlaufen soll. Vielleicht wird er ein Buch schreiben, eines über seine Abenteuer. "Ich werde mich weiter für Frieden und für Kinder engagieren", sagt er. Sicher ist: eine große Wanderung wird er nicht mehr unternehmen. "Jetzt ist die Zeit gekommen, mit meiner Frau zusammen zu sein. Ich werde nur noch mit ihr spazieren. Und sie wird mich an der kurzen Leine halten."