Im Krieg ausgebrannt, nach dem Krieg platt gemacht: Das Kronprinzenpalais. Der Archivar und Autor Rolf Bidlingmaier macht den Prachtbau virtuell wieder erlebbar.

Stuttgart - Stuttgart - Weg mit dem alten Kruscht! Diesem Diktat des Zeitgeistes, von keinerlei Sinn für kulturelles Erbe und die Bedeutung von Denkmälern gebändigt, sind in Stuttgart nach dem Zweiten Weltkrieg viele Zeugnisse der Stadtgeschichte zum Opfer gefallen: „Die Ruine der Karlsschule und die gesamte Vorderfront des Rathauses“, beklagt Bernd Langner vom Schwäbischen Heimatbund (SHB) nur einige der herben Verluste. Vor allem aber das Kronprinzenpalais am Schlossplatz: „Verschwunden, weil es im Weg stand“. Ihm kämen schier die Tränen, wenn er heute im Lapidarium das kümmerliche Relikt eines Fensterbogens aus der einst prachtvollen Fassade sehe: „Als ob man damit Geschichte erhalten könne!“

 

„Sündenfall des Abrisses“

Geschichte erhalten, das kulturelle Erbe wieder gewinnen und das verlorene Denkmal wieder, wenn auch nur virtuell, sichtbar machen: Darum und nicht um Nostalgie geht es Rolf Bidlingmaier bei seiner intensiven Beschäftigung mit dem Kronprinzenpalais. Und weniger um den Sündenfall des Abrisses, wie er betont. Obwohl der Stuttgarter und Leiter des Stadtarchivs in Metzingen die Verantwortlichen, nämlich den Nachkriegs-OB Arnulf Klett und seinen Generalbaudirektor Walter Hoss, nicht schont, als er im Hospitalhof vor einem hochinteressierten Publikum das verlorene Baudenkmal wieder erstehen lässt und sogar zu einem Rundgang durch die fürstlichen Gemächer einlädt. Wie hat das Kronprinzenpaar Karl und Olga gelebt und gewohnt? Der Tanzsaal war von überwältigender Pracht. Die Gestaltung und das Mobiliar sind dem Geschmack der Zeit geschuldet. Diesen Blick, nicht nur durchs Schlüsselloch, erlaube, so Bidlingmaier, eine gute Quellenlage.

400 00 Gulden und keinen Kreuzer mehr

Für Karl und Olga von Württemberg wurde das Palais zwischen 1846 und 1850 von Hofkammerbaumeister Ludwig Friedrich Gaab erbaut. Bauherr war König Wilhelm I. Mit der finanziellen Maßgabe: „400 000 Gulden und keinen Kreuzer mehr!“ Und es sollte genau dieser Standort am Schlossplatz sein, als Vis-à-vis und Pendant zum Wilhelmspalais, das König Wilhelm I. 1834 – 1840 von Giovanni Salucci für seine Töchter hatte bauen lassen. Jetzt wird mit der Neueröffnung des Wilhelmspalais als Stadtmuseum wieder über eine neue Gestaltung und Aufwertung der Verbindungsachse Planie gesprochen. Das ruft den Stuttgartern den Verlust des Gegenüber umso schmerzlicher in Erinnerung. Denn die Älteren erinnern sich: Das Kronprinzenpalais rundete den Schlossplatz zusammen mit dem Königsbau als perfektes Ensemble ab. Selbst noch als Potemkin’sche Fassade, hinter der nur leere und ausgebrannte Mauern gähnten. Die Bewohner wechselten, die Ausstattung auch und nach der Revolution von 1918 wurde das Palais von der Stuttgarter Handelshof AG, einem Vorläufer der heutigen Messegesellschaft, übernommen. Mit dem Ziel, hier eine Edelmesse für Juwelen, Gold und Silber für die wohlhabenden Bürger zu etablieren. 1929 wurde das Palais zur Dependance der Staatsgalerie. Nach den Bombenangriffen vom März und Juli 1944 stand nur noch die Fassade da.

Und stand im Weg für die Pläne von Klett und Hoss, einen Planiedurchbruch und Boulevard in den Westen zu schaffen. Widerstand wurde vom Tisch gefegt, weder Proteste der Bürger, noch der Bund für Heimatschutz, der Vorläufer des Schwäbischen Heimatbundes, und der Architekt Paul Bonatz fanden Gehör. OB Klett hatte mit dem Land den Deal ausgehandelt, dafür dem Bau des Landtags im Akademiegarten zuzustimmen. 1962 schlug die Abrissbirne zu. Aus dem Planiedurchbruch über der Erde wurde der Planietunnel und darüber der Kleine Schlossplatz.

Das Kronprinzenpalais aber hätte leicht wieder aufgebaut werden können, versichert Bidlingmaier. Und es gab auch Interessenten, zum Beispiel ein Kaufhaus. In Braunschweig ist eine solche Nutzung hinter der Schlossfassade heute zu besichtigen. Und heute gäbe es wohl auch keine Stuttgarterin mehr, von der ein Herr im Publikum erzählt: Sie habe vor Jahrzehnten auf seine Frage, warum es hier so wenige historische Gebäude gebe, geantwortet: „Wisset se, mr send froh, dass der alte Kruscht weg ist.“