Die baden-württembergische Kleinstadt hat mit ihrer Absage an den türkischen Justizminister diplomatischen Wirbel verursacht. Dabei ging es dem Bürgermeister nach eigenen Angaben nicht um die große Politik – sondern um Parkplätze und einen Täuschungsversuch.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Es herrscht Siegesstimmung vor der Festhalle Bad Rotenfels in Gaggenau. „Wir haben hier die Demokratie verteidigt“, sagt eine Frau. In der Hand hält sie ein Plakat, worauf die Freilassung von Deniz Yücel gefordert wird, jenem deutsch-türkischen Journalisten der Tageszeitung „Die Welt“, der in der Türkei im Gefängnis sitzt. Doch was heißt es an diesem Abend in Gaggenau, die Demokratie zu verteidigen? „Es ist gut, dass der türkische Justizminister nicht aufgetreten ist“, erklärt Christoph Burkard, der mit Frau und Kind aus dem nahen Rastatt gekommen ist, um mit rund 150 Gleichgesinnten gegen Bekir Bozdag zu demonstrieren. Der türkische Politiker wollte in Gaggenau vor Hunderten in Deutschland lebenden Türken für die geplante Präsidialreform in der Türkei werben – ein System, das nach Ansicht der meisten Beobachter den Regeln der Demokratie widerspricht.

 

Die Begründung der Kleinstadt: Man rechne mit einem zu großen Besucherandrang, für den die Festhalle, die Zufahrten und auch die Parkplätze nicht ausreichen würden. Deswegen wurde „die Zulassung zur Überlassung der Festhalle von der Stadt Gaggenau widerrufen“, heißt es in der offiziellen Begründung.

Die türkischen Besucher sind verärgert

Der Bürgermeister der 29 000-Einwohner-Stadt betont, dass dieser Schritt nicht politischer Natur gewesen sei. Michael Pfeiffer (parteilos) hat sich nach eigenen Worten getäuscht gefühlt, weil die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) die Veranstaltung als Vereinstreffen mit 400 Personen deklariert habe, aber gewusst habe, dass sie politischen Charakter habe und deutlich mehr Besucher kommen könnten. Die UETD wollte die Gründung eines Kreisverbandes zum Anlass für die Einladung Bozdags nehmen. „Es wurde zumindest nicht die ganze Wahrheit gesagt“, sagt der Bürgermeister. Der Veranstalter habe den geplanten Ministerbesuch erst eingeräumt, als die Stadt ihn mit den entsprechenden Informationen konfrontiert habe.

Die wenigen Türken, die doch noch gehofft hatten, den Minister in Gaggenau sehen zu können, waren am Donnerstagabend sichtlich enttäuscht. „Was ist das für eine Meinungsfreiheit, wenn der Minister nicht auftreten darf?“, fragt ein junger Mann. Er sei kein Anhänger der AKP, der Partei des Präsidenten Tayyip Recep Erdogan, schiebt er hinterher, aber er habe sich über die Reformen in der Heimat seiner Eltern informieren wollen.

Wird mit der Absage die Meinungsfreiheit eingeschränkt?

Auch ein 53-jähriger Deutsch-Türke aus Gernsbach zeigt sich verärgert. „Ich habe mich drauf gefreut und jetzt kommt so eine Absage“, sagt er vor der Festhalle. „Wenn wir nicht mal hier zusammentreffen können und was anhören können, wenn man das nicht mal in Deutschland zulässt (. . .). Das ist keine Demokratie, was ihr habt.“ Der Restaurant-Betreiber, der bei dem Referendum für die Verfassungsreform stimmen will, versteht nicht, was die Deutschen gegen den türkischen Staatspräsidenten Recip Tayyip Erdogan haben. Der 53-Jährige erzählt, er sei schon als kleines Kind nach Deutschland gekommen – nun plane er aber, in die Türkei zurückzukehren. „Ich war fast so deutsch wie ihr“, sagt er. „Aber seit den letzten drei, vier Jahren, ich fühl mich nicht mehr als Deutscher.“

Auch Adrian Mörtl, ein junger Mann aus der Nähe von Gaggenau, hat sich anfangs gefragt, ob es gut ist, gegen den Auftritt des türkischen Ministers zu protestieren. „Ich kann doch nicht Meinungsfreiheit verlangen und dann selbst den Mann nicht reden lassen“, sagt er. Dann aber hat er für sich entschieden, dass die Zustände in der Türkei inzwischen so desaströs sind, dass es gerechtfertigt ist, auf die Straße zu gehen.

Ankara bestellt den deutschen Botschafter ein

Dieses Dilemma sieht auch Gabriele Katzmarek, SPD-Bundestagsabgeordnete aus Rastatt. Dennoch ist auch sie nach Gaggenau gekommen. „Es kann doch nicht sein, dass ein Politiker in seinem eigenen Land die Freiheitsrechte auf dieses Weise mit Füßen tritt und dann diese Rechte bei uns in Deutschland für sich einfordert“, sagt sie.

Wie groß die Wellen sind, die die Kleinstadt mit dem Verweis auf einen Mangel an Parkplätzen verursacht hat, wird erst am späteren Abend klar. Da bestellt Ankara den deutschen Botschafter Martin Erdmann ein, um seinem Missfallen über die Absage Ausdruck zu verleihen. In Gaggenau ist von diesem diplomatischen Rummel schon nicht mehr viel zu spüren. Die Gruppen vor der Festhalle haben sich zerstreut und die Straßen des Ortes liegen wieder ganz ruhig und dunkel da.