Das Risiko eines Stromausfalls soll durch die Abschaltung von Atommeilern gestiegen sein. Im Sommer sei das Risiko noch beherrschbar.  

Bonn - Das Risiko eines Stromausfalls sei im Sommer noch beherrschbar, im Winter könnte es sich deutlich erhöhen. Das meinen die Experten der Bundesnetzagentur in Bonn. Sie haben den Bericht über die Auswirkungen der Abschaltung von sieben alten Atomkraftwerken fortgeschrieben und die Ergebnisse vorgelegt.

 

Eine Folgerung daraus ist, dass die Stromnetze sehr viel schneller ausgebaut werden müssen. Weiterhin müssen insbesondere in Süddeutschland zusätzliche Kraftwerkskapazitäten bereitgestellt werden. "Wir sind mit eigenen Prüfungen zu einer gewissen Lücke gekommen", sagte Matthias Kurth, der Präsident der Bundesnetzagentur, bei der Erläuterung des Berichts. Die Netzbetreiber, die für eine stabile Stromübertragung verantwortlich sind, hatten erklärt, dass 1400 bis 2000 Megawatt Kapazität aus den abgeschalteten Atomkraftwerken weiterhin gebraucht würden. Das könne er nicht widerlegen, sagte Kurth. Seine Fachleute meinen, dass mindestens 1000 Megawatt bereitgestellt werden müssten, was in etwa einem Atomkraftwerk entspricht. Er fordere das nicht, sagte Kurth. Im Winter wäre es aber gut, sich eine solche Option zu erhalten. Heute stehe allerdings noch nicht fest, wie hoch der zusätzliche Bedarf sei und ob er durch andere Kraftwerke gedeckt werden könne, räumte Kurth ein. Die Behörde will die Lage deshalb noch bis Mitte August weiter prüfen. Im Süden sehe es aber mit der Zuschaltung von anderen Kraftwerkskapazitäten mau aus, sagte Kurth.

Versorgung im Sommer besser beherrschbar

Dass die Versorgungsunternehmen zeitgleich mit den gesetzlich verfügten Abschaltungen auch Wartungsarbeiten durchführen und damit weitere Atomkraftwerke vom Netz nehmen, hält Kurth für richtig. Es sei gut, dass sie die Revisionen im Sommer durchführten, sagte er, weil die Versorgung dann besser beherrschbar sei als im Winter. Bisher habe es keine erheblichen Belastungen durch veränderte Stromflüsse im Netz gegeben, sagte Kurth. Das liege auch an dem hohen Potenzial der erneuerbaren Energien. In der Spitze könnten sie eine Last von 28 Gigawatt decken, heißt es im Bericht. Das entspreche annähernd 28 Atomkraftwerken. In günstigen Wetterlagen sei damit die Versorgung beherrschbar. Allerdings sei diese Leistung nicht gesichert, wenn kein Wind wehe und die Sonne nicht scheine. Die vorhandenen Pumpspeicherkapazitäten reichten nicht annähernd aus, um den zeitweisen Ausfall der erneuerbaren Energien auszugleichen.

Die Abschaltung der Atomkraftwerke hat dazu geführt, dass Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten im Stromnetz verzögert werden. Dazu müssen die Leitungen oft abgeschaltet werden, was aber wegen der veränderten Netzbelastung nicht möglich ist. Auch Ausbau- und Umbaumaßnahmen werden dadurch behindert. Deshalb müssten verstärkt neue Stromtrassen gebaut werden, verlangte Kurth. Es gehe nicht, dass dafür 15 Jahre gebraucht würden, sagte er. Künftig sollen vier bis fünf Jahre genügen.

Eingriffe in den Netzbetrieb verursachten Probleme

Die Stromversorgung sei durch die historisch einmalige zeitgleiche Abschaltung von 5000 Megawatt Leistung in eine Ausnahmesituation geraten, sagte Kurth. Dass sie ohne erkennbare Störungen funktioniere sei einer Reihe von Maßnahmen zu danken, die für den Ausfall von Kraftwerken und Leitungen gedacht seien. Damit sei das Netz nun aber voll ausgelastet. "Wenn jetzt noch Störungen hinzu kommen, wird die Lage kritisch", sagte Kurth. Das Risiko, dass solche Störfälle nicht mehr beherrscht werden können, sei deutlich gestiegen.

Die Eingriffe in den Netzbetrieb verursachten erhebliche Probleme. Sie seien energiewirtschaftlich zweifelhaft, ökonomisch ineffizient und ökologisch schädlich, heißt es in dem Bericht. Zurzeit seien sie aber nicht vermeidbar und für eine Übergangszeit hinnehmbar.

In dem Bericht werden verschiedene Szenarien untersucht. Als gerade noch beherrschbar gilt ein Tag mit starker Stromnachfrage im Sommer, bei dem viele Atomkraftwerke wegen des Moratoriums und wegen Revisionen nicht am Netz sind. Kritischer sei ein Starklast-Tag im Winter mit geringer Einspeisung erneuerbarer Energien, an dem auch noch eine hoch belastete Nord-Süd-Leitung ausfällt. Das sei kein theoretischer Fall, sagte Kurth. Dann könnte es durchaus zu einem großflächigen Stromausfall kommen, der auch auf Nachbarländer übergreife.

Heidelberg-Cement und die Stromkosten

Standort: Explodierende Stromkosten könnten bei dem Baustoffhersteller Heidelberg-Cement deutsche Standorte gefährden. „Wenn die deutschen Energiekosten spürbar über denen im benachbarten Ausland liegen, dann kann es in unserem europäischen Verbundsystem mittelfristig zu Verschiebungen kommen“, sagte Vorstandschef Bernd Scheifele.

Grenzregion: Gefährdet sind insbesondere Werke nahe der Grenze zu anderen europäischen Ländern. Scheifele: „In Grenzregionen spielen Stromkosten eine Rolle, die man gegen die Logistikkosten abwägen muss.“

Belastungen: Laut Scheifele sind die Stromkosten in Deutschland im Vergleich zu 2010 bisher um etwa 25 Prozent gestiegen.