Dem Unternehmen Purdue wird vorgeworfen, mit seinem Schmerzmittel Oxycontin ein Wegbereiter der Opioid-Epidemie in den USA gewesen zu sein. Wegen zahlreicher Klagen will die Eigentümerfamilie Sackler die Firma nun in die Insolvenz schicken. Wie sieht es mit der Medikamenten-Abhängigkeit in Deutschland aus?

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

New York/Stuttgart - Der US-Pharmakonzern Purdue Pharma, gegen den mehr als 2000 Klagen wegen des süchtig machenden Schmerzmittels Oxycontin laufen, hat Gläubigerschutz beantragt. Die Firma soll in eine Stiftung der öffentlichen Hand überführt werden. Doch die Vereinbarung ist höchst umstritten und wird von vielen Klägern abgelehnt.

 

Opioid-Epidemie in den USA

Bundesstaaten, Städte und Landkreise fordern von dem Unternehmen der lange Zeit vor allem durch ihr Mäzenatentum bekannten Familie SacklerMilliarden von Dollar zurück, die sie für den Kampf gegen Opiat-Abhängigkeit und Überdosierung ausgegeben haben.

Opioide sind zum Teil synthetisch hergestellte Arzneimittel – wie etwa Oxycontin – mit unter anderem schmerzlindernden Eigenschaften. Sie bergen jedoch auch enorme Abhängigkeitsrisiken und hohes Missbrauchspotenzial.

Eigentümerfamilie will Insolvenz

Purdue und den Sacklers wird vorgeworfen, solche Schmerzmittel unter Verschleierung der Suchtgefahren mit rücksichtslosen und aggressiven Methoden vermarktet zu haben. Damit wurde aus Sicht der Kläger ein wesentlicher Grundstein für die verheerende Opioid-Epidemie in den USA gelegt, die in den vergangenen Jahren laut US-Behörden zu Hunderttausenden Toten durch Überdosierungen führte.

Das Magazin „Forbes“ schätzte das Vermögen der Familie zuletzt auf etwa 13 Milliarden Dollar. Der Clan hat seinen Reichtum maßgeblich durch das Geschäft mit umstrittenen Schmerzmitteln angehäuft. „Während unser Land sich von dem Massensterben erholt, dass die Sacklers mit ihrer Gier angerichtet haben, versucht die Familie, sich aus der Verantwortung zu ziehen“, sagte New Yorks Generalstaatsanwältin Letitia James.

Deutschland: Fast zwei Millionen Menschen abhängig von Medikamenten

In Deutschland sind laut einer Studie fast zwei Millionen Menschen abhängig von bestimmten Medikamenten. Allein bei Schmerzmitteln seien 1,6 Millionen Menschen betroffen, heißt es in einer Antwort des Bundesgesundheitsministeriums auf eine FDP-Anfrage.

Von Schlaf- und Beruhigungsmitteln sind demnach 361 000 Menschen abhängig, wie aus hochgerechneten Zahlen des noch unveröffentlichten Epidemiologischen Suchtsurveys (Epidemiological Survey of Substance Abuse/ESA) des IFT Instituts für Therapieforschung in München für 2018 hervorgeht.

Millionen leiden an chronischen Schmerzen

Nach Angaben der Deutschen Schmerzgesellschaft leiden in Deutschland schätzungsweise 23 Millionen Menschen unter chronischen Schmerzen. „Sie berichten über so häufige und anhaltende Schmerzen über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten, dass sie nach der Definition der Internationalen Schmerzgesellschaft zur Gruppe der Patienten mit chronischen Schmerzen gehören“, erklärt der Neurologe Thomas R. Tölle, der Geschäftsführender Oberarzt des Zentrums für Interdisziplinäre Schmerztherapie am Klinikum rechts der Isar in München ist.

Die Zahl chronischer, nicht tumorbedingter Schmerzen mit starker Beeinträchtigung und assoziierten psychischen Beeinträchtigungen, also einer Schmerzkrankheit, liegt Tölle zufolge bei 2,2 Millionen Menschen.

Unterschiedliche Abhängigkeiten bei Frauen und Männern

Jüngere Frauen zwischen 18 und 20 Jahren sind laut ESA-Studie auffällig häufiger von diesen beiden Medikamentengruppen abhängig als Männer. Mit zunehmendem Alter wird eine Abhängigkeit bei Männern dann eher häufiger, bei Frauen seltener. Präzise Auswertungen zu Geschlecht und Alter seien wegen geringer Fallzahlen aber nicht möglich.

Der Epidemiologischen Suchtsurvey ist eine seit 1980 wiederholte Befragung der Bevölkerung in Deutschland zu Gebrauch und Missbrauch psychoaktiver Substanzen.