Das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst (BND) nutzen Spionagetechnik der Amerikaner und lieferten den Amerikanern Daten – allerdings nur in kleinem Umfang, sagen sie.

Berlin - Die Verteidigungslinie, die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der NSA-Spähaffäre gezogen hat, wird immer brüchiger. Merkel hat sich stets damit verteidigt, nichts von den US-Aktionen gewusst zu haben, bis Anfang Juni die ersten Berichte erschienen sind. Der „Spiegel“ will jetzt aber Einblick in geheime Dokumente des US-Militärdienstes erhalten haben, die einen anderen Schluss nahelegen. Demzufolge nutzen die deutschen Geheimdienste Bundesnachrichtendienst (BND) und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ein NSA-Überwachungsprogramm namens „XKeyscore“, das „annähernd die digitale Totalüberwachung“ ermögliche. Vor allem BND-Chef Gerhard Schindler sei den Papieren zufolge mit „Eifer“ bei der Sache. Der BND habe „daran gearbeitet, die deutsche Regierung zu beeinflussen, dass sie Datenschutzgesetze auf lange Sicht laxer auslegt, um größere Möglichkeiten für den Austausch von Geheimdienst-Informationen zu schaffen“.

 

180 Millionen von rund 500 Millionen Datensätzen, die im Dezember 2012 von der NSA in Deutschland abgesaugt worden seien, soll das System „XKeyscore“ erfasst haben. Ende April seien außerdem zwölf hochrangige BND-Mitarbeiter bei der NSA zu Gast gewesen, um mit dortigen Experten das Thema „Datenbeschaffung“ aufzuarbeiten.

BfV und der BND haben den Einsatz der NSA-Spähsoftware inzwischen eingeräumt, die massenhafte Weitergabe von Daten an die USA aber bestritten. Das BfV teste das Programm, setze es aber „derzeit“ nicht ein, sagte Präsident Hans-Georg Maaßen der „Bild am Sonntag“. BND-Chef Schindler sagte, dass der Auslandsdienst in Einzelfällen auch Datensätze deutscher Staatsbürger an die USA übermittelt habe. „Eine millionenfache monatliche Weitergabe von Daten aus Deutschland an die NSA“ finde jedoch „nicht statt“.

Damit gerät der Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Ronald Pofalla (CDU), immer stärker unter Druck. Als Mitglied des Kabinetts dürfte es dem Merkel-Vertrauten zunehmend schwerfallen zu behaupten, die Bundesregierung habe keine Ahnung gehabt. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann sagte: „Das erschüttert die Glaubwürdigkeit der Kanzlerin bis ins Mark.“ Oppermann ist Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, das die Dienste überwachen soll. Er kündigte an, Pofalla zu einer Sondersitzung des Gremiums einzuladen.

Auch der Druck auf SPD und Grüne wächst

Allerdings wird auch die Situation von SPD und Grünen immer unkomfortabler. Nach Darstellung des früheren NSA-Chefs Michael Hayden hatten die USA ihre Geheimdienst-Kooperation mit den Europäern nach den Anschlägen vom 11. September 2001 massiv ausgeweitet. Die Zusammenarbeit wurde angeblich bei einem geheimen Treffen der US-Dienste mit den Chefs der europäischen Dienste kurz nach den Anschlägen vereinbart. „Wir waren sehr klar darüber, was wir vorhatten in Bezug auf die Ziele, und wir baten sie um ihre Kooperation“, sagte Hayden, der sich deshalb in einem ZDF-Interview verwundert über die angebliche Ahnungslosigkeit deutscher Politiker zeigte. Für Rot-Grün sind Haydens Äußerungen äußerst unangenehm. Denn damals zogen Gerhard Schröder und Otto Schily (beide SPD) sowie der Grüne Joschka Fischer die Fäden. Die CDU sprach deshalb von „verantwortungsloser Heuchelei“.

Merkel versucht nun, mit der Forderung nach internationalen Datenschutzabkommen in die Offensive zu kommen. Und auch im Streit über die Vorratsdatenspeicherung gibt sie sich kompromissbereit. Der Welt am Sonntag sagte sie, eine Speicherzeit von drei statt sechs Monaten wäre „denkbar“. Ohnehin sei erst ein Urteil des Europäische Gerichtshof abzuwarten.